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GESUNDHEIT II : Wenn die Brücke zum Hotspot wird

Fachleute fordern eine verstärkte Suizidforschung und mehr Hilfsangebote

19.10.2015
2023-08-30T12:28:10.7200Z
2 Min

Psychologen und Mediziner setzen sich für eine bessere Suizidprävention ein. Es gebe Risikogruppen, die einer besonderen Zuwendung bedürften, erklärten Psychiatriefachverbände und Ärztevertreter vergangene Woche in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses. Sie empfahlen den Ausbau der Präventionsangebote, eine gezielte Ansprache gefährdeter Menschen, eine bessere Kontrolle giftiger Substanzen und bestimmter Medikamente sowie eine verstärkte Suizidforschung und die Sicherung sogenannter Hotspots wie Brücken.

In der Anhörung ging es um einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/5104) mit dem Ziel, Selbstmorde zu verhindern. Viele Menschen, die sich aus Verzweiflung, Vereinsamung oder fehlender Wertschätzung selbst töten wollten, suchten Hilfe, bekämen diese Hilfe aber oft nicht, heißt es in einem Antrag. Das Thema Suizid sei nach wie vor tabuisiert. So würden Suizidgedanken häufig nicht rechtzeitig erkannt. Die Sachverständigen machten deutlich, dass sie Handlungsbedarf sehen, obgleich die Zahl der Selbstmorde zurückgegangen ist, von 13.924 Fällen 1990 auf 10.076 Fälle 2013. Psychiater sehen dies als Folge der ausgebauten Anti-Depressions-Programme, Krisendienste und Telefonseelsorge. Inzwischen deutet sich aber wieder eine Trendwende an, außerdem ist die Zahl der Suizidversuche um ein Vielfaches höher.

Einsame Männer Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) treten Selbstmordgedanken am häufigsten in psychosozialen Krisen und bei psychischen Erkrankungen auf, oft bei schweren Depressionen. Als Risikogruppen gelten Homosexuelle und Transsexuelle, Migranten und Flüchtlinge, junge Frauen, Menschen, die bereits eine Suizid-Krise durchgemacht haben, und alte, einsame Männer. Bei den über 70-Jährigen liegt die Suizidrate der Männer vier Mal so hoch wie die der Frauen.

Die DGPPN forderte, der Zugang zu Hotspots müsse verhindert werden, etwa durch Verschalung von Brücken, Eisenbahnlinien und Türmen. Oft seien Menschen mit Selbstmordabsicht auf bestimmte Stellen fixiert und ließen von ihrem Vorhaben ab, wenn der Zugang erschwert sei. In der Anhörung regte eine Sprecherin des Verbandes zudem an, in Jobcentern Profis einzusetzen, die einschätzen könnten, ob jemand suizidgefährdet sei. Der Deutsche Caritasverband erklärte, das Wissen in der Bevölkerung über Erkennungsmerkmale und Vorkehrungen bei einer Suizidgefährdung sei gering. Die Relevanz des Themas werde unterschätzt. Immerhin gebe es mehr als doppelt so viele Suizidtote wie Verkehrstote. Ein Caritas-Vertreter betonte in der Anhörung: ,,Wir reden nicht über ein Randphänomen." Nach Angaben der Fachleute sind auch Jugendliche gefährdet. Insofern sollten Aufklärungs- und Hilfsangebote bis in die Schulen reichen.

In der Anhörung beklagten mehrere Sachverständige, dass erfolgreiche lokale Projekte zur Krisenprävention immer wieder aus Geldmangel eingestellt werden müssten. Hier sei eine Verstetigung wichtig, zumal mit wenig Geld viel erreicht werden könne. Ein Sprecher des Nationalen Suizid Präventions Programms für Deutschland (Naspro) forderte die Abgeordneten dazu auf, sich über Fraktionsgrenzen hinweg auf konkrete Initiativen zu verständigen, um die Zahl der Selbstmorde einzugrenzen. Es handele sich immerhin um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.