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ARMENIEN-RESOLUTION : »Angriff aus das gesamte Parlament«

Bundestag und EU-Parlament verurteilen Drohungen aus der Türkei scharf

13.06.2016
2023-08-30T12:30:02.7200Z
3 Min

Schon Tage bevor der Bundestag am Anfang Juni die vor 100 Jahren an den Armeniern verübten Massaker in einer Resolution als Völkermord einstufte, hagelte es Proteste: Besonders die elf türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten erhielten Schmähbriefe und Drohungen, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte, ein Beschluss würde die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei ernsthaft beschädigen. Doch was nach der Verabschiedung des Antrags (18/8613) von Union, SPD und Grünen geschah, entsetzte selbst mit allen Wassern gewaschene Politprofis: Die türkischstämmigen Abgeordneten wurden auf Internetseiten aufs Übelste diffamiert und bedroht; der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu sprach von hunderten E-Mails mit Hasskommentaren oder direkten Morddrohungen. "Es läuft eine regelrechte Hetzjagd gegen uns", sagte Mutlu, der nach eigenen Angaben "Beleidigungen gewohnt" ist, der "Berliner Zeitung". Die Drohungen hätten eine neue Qualität angenommen, die er so bisher noch nie erlebt habe.

Erdogan warf den Abgeordneten wegen ihres Abstimmungsverhaltens vor, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in Deutschland zu sein und forderte Bluttests, um nachzuweisen, dass sie keine Türken mehr seien. Grünen-Chef Cem Özdemir, der sich maßgeblich für die Resolution eingesetzt hatte, steht seither unter Polizeischutz. Zu anderen Abgeordneten haben die Sicherheitsbehörden Kontakt aufgenommen, um zu prüfen, ob sie besonders geschützt werden müssen.

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), schrieb dem türkischen Präsidenten daraufhin einen Brandbrief, in dem er die Worte des türkischen Präsidenten "auf das Schärfste" verurteilte und ihm einen "absoluten Tabubruch" vorwarf. "Als Präsident eines multinationalen, multiethnischen und multireligiösen Parlaments gestatten Sie mir folgenden Hinweis", schrieb er Erdogan. "Die freie Mandatsausübung von Abgeordneten ist ein entscheidender Grundpfeiler unserer europäischen Demokratien."

Ebenso deutliche Worte fand am vergangenen Donnerstag auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). ."Wir stellen uns jeder Kritik, und wir ertragen auch persönliche Angriffe und Polemik", sagte er zum Auftakt der Plenarsitzung. "Doch jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen: Er greift das ganze Parlament an." Lammert versicherte den bedrohten Abgeordneten, begleitet vom wiederholten Beifall des ganzen Hauses, die Solidarität aller Kolleginnen und Kollegen und stellte klar: "Wir werden darauf entsprechend reagieren - mit allen Möglichkeiten, die uns im Rahmen der Gesetze zur Verfügung stehen."

Hochrangigen türkischen Politikern warf Lammert vor, die Drohungen und Schmähungen durch ihre Äußerungen befördert zu haben. "Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten", sagte er.

Die Fraktion Die Linke zog nach dieser Erklärung Lammerts eine von ihr verlangte Aktuelle Stunde zur Bedrohung von Abgeordneten infolge der Armenien-Resolution zurück. Doch das Thema ist damit nicht vom Tisch. Nicht nur, dass Erdogan seine Worte, die elf Abgeordneten hätten "verdorbenes Blut", wiederholte. Die Zeitung "Hürriyet" meldete zudem, dass eine Gruppe türkischer Abgeordneter - die sich Kampfverband für Gerechtigkeit nennt - die türkischstämmigen Bundestagskollegen wegen "Beleidigung des Türkentums und des türkischen Staates" angezeigt habe.

Der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) stellte sich hinter die deutschen Parlamentarier. Zwar sei der Inhalt der Armenien-Resolution in der türkischen Gemeinde umstritten, betonte der Bund in der vergangenen Woche. Doch das sei legitimer Bestandteil demokratischer Auseinandersetzungen. Die in Deutschland lebenden Türken forderte der TBB auf, "zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren und diese demokratiefeindlichen Kreise zu isolieren".