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GESUNDHEIT : Wunderliche Wanzen und tödliche Tumore

Die akute Strahlenkrankheit weist viele unterschiedliche Symptome auf. Auch Erbgutveränderungen gehören zu den Folgen einer schweren Verstrahlung

15.08.2016
2023-08-30T12:30:05.7200Z
4 Min

Manchmal lohnt es sich, genauer hinzusehen, um das Grauen zu entdecken. Cornelia Hesse-Honegger, naturwissenschaftliche Zeichnerin, hat das getan und illustriert, was lange kaum ein Biologe wahrhaben wollte. Auch eine geringe atomare Strahlung kann offensichtlich, über einen längeren Zeitraum hinweg, das Erbgut von Organismen schädigen und sichtbare Mutationen hervorrufen. 1987, rund ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, reiste die Schweizerin nach Schweden, weil dort der höchste atomare Niederschlag nach dem Super-Gau gemessen worden war. In mehreren Ortschaften entdeckte sie an ihren Lieblingstieren, Wanzen, die befürchteten drastischen Deformationen.

In der Berliner "tageszeitung" erinnerte sich die forschende Zeichnerin und Malerin unlängst an das einschneidende Erlebnis vor beinahe 30 Jahren. "Ich hatte angenommen, dass Tschernobyl einen Einfluss haben könnte, aber keine Vorstellung, wie der aussehen könnte. Als ich die erste missgebildete Wanze sah, wusste ich es. Sie hatte einen deformierten Fuß. So etwas hatte ich nie zuvor gesehen. Ich stellte mir vor, wie die Deformation im selben Maßstab bei einem Menschen aussehen würde." Inzwischen sind ihre Beobachtungen auch in Fachkreisen anerkannt und erweitern das Wissen von möglichen Folgen ionisierender Strahlung.

Ionen sind elektrisch geladene Teilchen. Ionisierende Strahlung wird unterschieden in Alpha-, Beta-, und Gammastrahlung, Neutronenstrahlung oder elektromagnetische Strahlung (z.B. Röntgenstrahlung). Die Strahlung kann Moleküle verändern, Zellen, Organismen und das Erbgut schädigen.

Strahlendosis Ob und wie Organismen geschädigt werden, hängt von der Intensität und Dauer der Strahlung ab, wobei zwei Messgrößen unterschieden werden: Sievert (Sv) und Gray (Gy). Die Maßeinheit Gray steht für die Strahlungsenergie, die vom Körper absorbiert wird, während die biologische Wirkung der Strahlung als Produkt von Organenergiedosis und dem sogenannten Wichtungsfaktor in Sievert gemessen wird. Je höher die Strahlendosis, umso wahrscheinlicher ist das Auftreten organischer Schäden und schwerer Krankheiten wie Krebs und speziell Leukämie (Blutkrebs).

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) schreibt: "Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die krebsauslösende Wirkung ionisierender Strahlung in allen Geweben oder Organen des Körpers hervorgerufen werden kann." Ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung sei für Tumore bereits bis zur Grenze von 200 mSv (Millisievert) zu beobachten. Hohe Strahlendosen können langfristig aber auch zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schäden am Verdauungstrakt und an den Atmungsorganen führen sowie zu Unfruchtbarkeit.

Laut Strahlenschutzverordnung darf die effektive Dosis für "beruflich strahlenexponierte Personen" im Jahr 20 Millisievert nicht übersteigen. Die Maximaldosis für ein ganzes Berufsleben liegt bei 400 mSv. Für Kinder und schwangere Frauen gelten grundsätzlich niedrigere Grenzwerte. Bei einer Röntgenaufnahme des Brustkorbs liegt zum Beispiel die Strahlenexposition bei 0,01 bis 0,03 mSv. Eine kurzfristige Belastung mit mehr als 8.000 mSv führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod.

Strahlenkrankheit Bei Atomunfällen wie 1986 in Tschernobyl oder 2011 in Fukushima sowie beim Einsatz von Atomwaffen wie 1945 in Hiroshima und Nagasaki kann die in solchen Fällen enorme Menge an freigesetzter Strahlung eine akute Strahlenkrankheit auslösen, die sich mit sehr unterschiedlichen Symptomen zeigt und vom zeitlichen Ablauf in vier Kategorien eingeteilt wird: Prodromalphase (Vorlauf), Latenzzeit, manifeste Erkrankung und schließlich Genesung oder Tod. Bei niedriger Strahlendosis und guter Behandlung ist die Überlebenschance gut. Je nach Höhe der absorbierten Strahlendosis kommt es bereits innerhalb weniger Stunden oder nach Ablauf weniger Tage zu Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Fieber und Durchfall. Später kann dann Haarausfall hinzukommen sowie allgemein körperliche Schwäche und Müdigkeit. Auf der Haut können sich Blasen oder Geschwüre bilden. Symptome einer schweren Verstrahlung sind außerdem Schwindel, Krämpfe und Lähmungen. Auch leichtere Formen der Strahlenkrankheit führen zu einem erhöhten Infektionsrisiko, weil durch Strahlenschäden an blutbildenden Zellen und die in der Folge geringere Zahl von roten und weißen Blutkörperchen die Immunabwehr des Menschen geschwächt ist. Da auch weniger Blutplättchen gebildet werden, kommt es vermehrt zu Blutungen. Bei einer vom ganzen Körper absorbierten Energiedosis von mehr als 6 Gray ist der Tod des betroffenen Menschen in wenigen Tagen sehr wahrscheinlich.

Bei einem Atomunfall oder einer Atombombenexplosion werden radioaktive Isotope (Variante eines chemischen Elements) freigesetzt, darunter Jod, das in die Schilddrüse gelangt und dort mit hoher Wahrscheinlichkeit Krebs auslöst. Um das zu verhindern, können Kaliumjodidtabletten eingenommen werden mit dem Ziel, den Jodbedarf des Körpers komplett zu decken (Beitrag oben). Da die Schilddrüse nur begrenzt Jod aufnehmen kann, bleibt das radioaktive Isotop bei vollem Speicher nicht in der Schilddrüse, sondern wird ausgeschieden, der Schaden für den Körper ist begrenzt. Jedoch dürfen die Jodtabletten weder zu früh noch zu spät genommen werden, weil sonst die beabsichtigte Wirkung verpufft.