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BERLINALE : Frühlingsblüten

Die Berliner Filmfestspiele blicken zurück auf deutsche Produktionen aus Ost und West vor 50 Jahren

01.02.2016
2023-08-30T12:29:55.7200Z
4 Min

Die Maus wand sich im Pfeifenfeuer. Dr. Bernhard Tieschowitz von Tieschowa, wandte sich von dannen." So berichtete "Der Spiegel" 1966 von den Filmfestspielen in Cannes. Der Kulturattaché der Deutschen Botschaft hatte lautstark fluchend die Premiere von Volker Schlöndorffs "Der junge Töless" verlassen. Seine Abneigung wurde vom Auswärtigen Amt geteilt: Die Adaption von Robert Musils Roman um die Quälereien eines Kadetten der k.u.k.-Monarchie fehlte im Programm der Goethe-Institute.

Diese Episode und der gleichzeitige Jubel bestärkten die jungen Filmemacher um die Unterzeichner des Oberhausener Manifests. Auf den von ihnen angestoßenen westdeutschen Filmfrühling folgte eine lange Blüteperiode. Ihre Kollegen in der DDR erholten sich dagegen nie vollständig von den staatlichen Eingriffen des Jahres 1965, die die Blüten einer zeitgemäßen Filmästhetik in einer kulturpolitische Eiszeit erfrieren ließen.

An diese Filme erinnert die diesjährige Berlinale-Retrospektive "Deutschland 1966 - Filmische Perspektiven in Ost und West". Die Werkschau zeigt 20 lange Spiel- und Dokumentarfilme sowie mehr als 30 kurze und mittellange Filme. Sie dokumentieren die Aufbruchstimmung auf beiden Seiten der Elbe. Die Filmemacher waren inspiriert von den künstlerischen Strömungen des Weltkinos, negierten den kitschigen "Ufa-Touch" und waren nahe an der Realität.

Die Voraussetzungen waren vor 50 Jahren in beiden Ländern ähnlich. Das Pantoffelkino hatte den Kinobesuch als beliebteste Freizeitbeschäftigung abgelöst. Mit Genrekino wurde das Publikum wieder gelockt. Pierre Brice begeisterte in den vom christlichen Versöhnungsgedanken geprägten "Winnetou"-Adaptionen, Gojko Mitic in den vom Geist des Widerstands der Indianer durchdrungenen Wild-West-Abenteuern des Ostens. Jeder zweite Besucher eines DEFA-Films löste 1966 eine Karte für "Die Söhne der großen Bären".

In beiden deutschen Staaten stand zeitgleich eine junge Regiegeneration in den Startlöchern, die Lust am Experimentieren hatte. Ihre Vorbilder fanden sie im italienischen Neorealismus und der Nouvelle Vague, im Cinema Verité und dem Direct Cinema. Jean Marie Straub und Danièle Huillet loteten in "Nicht versöhnt oder es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht" 1965 die ästhetischen Grenzen der Filmsprache aus. im Osten setzen Konrad Wolfs "Der geteilte Himmel" und Frank Beyers Klassiker "Karbid und Sauerampfer" Maßstäbe für eine modifizierte Auffassung des sozialistischen Realismus.

Der deutsche Film brauche sein Haupt nicht länger verhüllen, jubelte die FAZ 1966 aus Cannes. Neben Schlöndorff lief "ES" von Ulrich Schamoni und "Nicht versöhnt" von Jean-Marie Straub. In Venedig gewann Alexander Kluges "Abschied von Gestern" im gleichen Jahr einen Sonderpreis der Jury. Die FSK forderte trotzdem Schnitte vor dem Kinoeinsatz.

Zensur in der DDR Währenddessen spielte sich in der DDR unbemerkt von der Öffentlichkeit ein künstlerisches Drama ab. Das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED beanstandete im Dezember 1965 die Hälfte aller produzierten Filme. Auch etliche Stunden im Schneideraum konnten die aufmüpfigen Werke nicht vor den engstirnigen Augen der Zensur retten. Filme wie "Spur der Steine", "Karla" oder "Jahrgang 45" verschwanden im Giftschrank.

Die Autoren und Regisseure erzählten dialektisch von den Widersprüchen und Problemen beim Aufbau des Sozialismus. Sie porträtierten idealistische Lehrer, die an der Realität scheitern. Aufmüpfige Jugendliche, die sich treiben lassen. Ein besonderer Dorn im Auge waren den Funktionären Generationskonflikte und Arbeiter, die nicht zum Bild des selbstlosen Heroen passten.

Arbeiter zählen im jungen westdeutschen Film selten zu den Protagonisten. Die Autorenfilmer zeichnen ihre Altersgenossen als Generation im Wartestand. Sie sind unzufrieden mit der beengten Moral der Gesellschaft und den begrenzten Perspektiven. Doch noch fehlt ein Gegenentwurf.

Das Schicksal von Frauen und die Gleichberechtigung rückten in den Fokus, allerdings unter verschiedenen Vorzeichen. Durch die Antibabypille waren ungewollte Schwangerschaften in der DDR kein Thema mehr, im westdeutschen Film sind sie oft Motor der Handlung. Frauen stören die Lebensentwürfe der Männer und ordnen sich diesen unter. In den DEFA-Filmen im Osten sind sie formal gleichberechtigt, hadern aber mit der Doppelbelastung von Beruf und Familie sowie kleinbürgerlichen Moralvorstellungen.

Filmförderung Das Ost-Publikum vermisste die verbotenen Gegenwartsfilme jedoch kaum. Selbst die Mitarbeiter aus den Gewerken wollten sie nicht sehen, klagten die Filmemacher. Auch im Westen zeigten die Zuschauer den auf Festivals umjubelten Filmen die kalte Schulter, weshalb sie nicht vom 1968 verabschiedeten Filmförderungsgesetzes profitierten. Es belohnte ausschließlich Produzenten mit Filmfördermitteln, deren Werke zuvor an der Kasse reüssiert hatten. ARD und ZDF füllten die Lücke. Sie waren neben dem 1965 gegründeten Kuratorium des Jungen Deutschen Films der wichtigste Finanzier von Faßbinder, Wenders, Kluge, Schamoni und Co. Sie retteten auch den Kurz- und Dokumentarfilm, der zu Gunsten der Werbung aus den Filmtheatern gedrängt wurde.

Die Babelsberger Regisseure im Osten machten dagegen einen großen Bogen um den Deutschen Fernsehfunk, der dem ideologischen Einfluss der SED ausgesetzt war. Die DEFA unterstand dem liberaleren Kulturministerium. Durch die Bildung künstlerischer Arbeitsgruppen innerhalb der DEFA entkamen sie für einige Monate 1963 der Kontrolle durch die SED. Ihre Filme galten als verschollen, wurden vergessen und erst nach 1990 wieder entdeckt. Trotz der Querelen blieben die Regisseure im Land, überwinterten in Nischen und loteten die Grenzen der Zensur erneut aus. Für ihre West-Kollegen waren die aufregenden Jahre der Beginn von Karrieren, die von etlichen Filmpreisen und Oscars gekrönt wurden.