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gesundheit : »Kassensturz« soll in der Pflege für Klarheit sorgen

Minister Spahn bringt höhere Beiträge ins Spiel

22.05.2018
2023-08-30T12:34:29.7200Z
4 Min

Die Bombe platzte einen Tag vor der ersten Beratung über den Gesundheitsetat 2018. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) teilte am vergangenen Donnerstag mit, der unerwartet hohe Anstieg an Leistungsempfängern und die höheren Leistungsbezüge in der gesetzlichen Pflegeversicherung führten 2018 zu Mehrausgaben von rund zwei Milliarden Euro. Das Defizit werde bei drei Milliarden Euro liegen statt einer Milliarde. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reagiert prompt und brachte eine Beitragssatzerhöhung von mindestens 0,2 Prozentpunkten spätestens 2019 ins Spiel. Derzeit liegt der Pflegebeitragssatz bei 2,55 Prozent des Bruttoeinkommens (2,8 Prozent für Kinderlose).

In der Haushaltsdebatte des Bundestages erläuterte Spahn dann am vergangenen Freitag die neue Lage. Mit den Pflegereformen habe es eine vermehrte Nachfrage nach Leistungen gegeben. Dies sei durchaus positiv, jedoch falle die Nachfrage höher aus als angenommen. Er werde nun mit den Pflegekassen beraten und zunächst einen "Kassensturz" vornehmen. Im Plenum regte sich kein Widerspruch, dafür wurden andere Entwicklungen kritisch hinterfragt sowie die Gesamtausrichtung des Haushaltes, der mit rund 15,20 Milliarden Euro nicht so klein, aber mit allein 14,5 Milliarden Euro Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds auch weitgehend verplant ist. Mit diesem Geld werden versicherungsfremde Leistungen finanziert, so etwa die beitragsfreie Familienmitversicherung oder Aufwendungen für Schwangerschaft und Mutterschaft. Zum Größenvergleich: Die beitragsfinanzierten Leistungsausgaben der GKV liegen pro Jahr bei deutlich mehr als 200 Milliarden Euro.

Pflegestellen Bestimmendes Thema in der Beratung waren erneut die teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Pflege. Spahn räumte ein, dass viele Pflegekräfte in einer schwierigen Lage seien und versprach, den Alltag der Fachkräfte mit dem Sofortprogramm für mehr Pflegestellen zu verbessern. So sollen nunmehr 13.000 neue Stellen in Altenpflegeeinrichtungen geschaffen werden. Spahn betonte, man müsse wertschätzen, was die vielen Pflegekräfte leisteten und ihnen im Alltag konkret helfen.

Die AfD-Fraktion warf dem Minister vor, die aus ihrer Sicht verfehlte Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre fortzuschreiben. Axel Gehrke (AfD) monierte, es heiße ja, neue Besen kehrten gut, fügte jedoch in Anspielung auf den neuen Minister hinzu: "Das ist kein neuer Besen, das ist bestenfalls ein alter Besen mit neuen Borsten." Gehrke forderte den "Rückbau des menschenverachtenden DRG-Systems im Krankenhaus" und rügte, dass Versicherte "fast blind" sein müssten, um in der GKV eine Brille bezahlt zu bekommen.

Parität Die FDP stört sich an der ab 2019 geplanten Rückkehr zur vollständigen paritätischen Finanzierung der Beiträge in der GKV. Michael Theurer (FDP) warnte vor zusätzlichen Belastungen der Arbeitgeber, die schon die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ganz allein zu schultern hätten. Er warf dem Minister zudem vor, dieser wolle im "Handstreich" wichtige Vorhaben angehen, sorge damit aber eher für Schlagzeilen als für eine konkrete Umsetzung. So habe Spahn mit seinem Zickzackkurs bei der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) unlängst für große Verunsicherung gesorgt. Erst habe er die Gesundheitskarte abschaffen wollen, dann sei er wieder zurückgerudert. Das Digitalprojekt für einen sicheren Datenaustausch sei in mehr als zehn Jahren kaum vorangekommen, das sei ein Armutszeugnis.

Redner der SPD verteidigten ihre Forderung nach einer Rückkehr zur Parität. Karl Lauterbach (SPD) betonte, die Arbeitnehmer könnten künftige Kostensteigerungen im Gesundheitswesen nicht alleine tragen. In der Kranken- und Altenpflege sei eine große Kraftanstrengung nötig. In der Altenpflege fehlten womöglich zwischen 50.000 und 100.000 Kräfte. Den Vorschlag des Pflegebeauftragten Andreas Westerfellhaus, Pflegekräfte mit Prämien zur Rückkehr zu bewegen, nannte er "innovativ und richtig". Er fügte hinzu, die Krankenpflege sei "kaputtgespart" worden. Hier sei eine "Totaloperation" nötig mit einem System der Kostendeckung.

Rücklagen Gesine Lötzsch (Linke) erneuerte die Forderung ihrer Partei nach Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung. Sie sprach in Anspielung auf Nichtversicherte sowie unterschiedliche Leistungsangebote für gesetzlich und privat Versicherte (PKV) von einer "Dreiklassenmedizin". Susanne Ferschl (Linke) kritisierte, manche Angehörige seien mit dem Eigenanteil in Pflegeheimen finanziell überfordert. Auch die Preise für Medikamente hätten sich in den vergangenen Jahren vervielfacht.

Kordula Schulz-Asche (Grüne) betonte: "In der Pflege brennt die Hütte." Schnelle Hilfe sei nötig, sagte sie und forderte angesichts der absehbar höheren Kosten einen Nachtragshaushalt für die Pflege. Die problematische demografische Entwicklung beginne gerade erst. Maria Klein-Schmeink (Grüne) monierte, der Haushalt gebe keine Antworten auf drängende Fragen. Sie warnte den Minister davor, mit einer gesetzlichen Regelung darauf hinzuwirken, dass hohe Rücklagen der Krankenkassen aufgelöst werden. Dies werde ein "Beitrags-Jojo" auslösen. Die Gelder fehlten am Ende für wichtige Ausgaben.

Ebola Mehrere Redner gingen auch auf die aus ihrer Sicht wichtige Förderung der internationalen Gesundheitspolitik ein. Im Haushalt sind dafür rund 98 Millionen Euro eingeplant, 23 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.

Karsten Klein (FDP) verwies in seiner Rede auf die jüngst im Kongo aufgetretenen Ebola-Fälle. Dies zeige, wie wichtig etwa die Zuschüsse zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) seien. Krankheiten machten an Grenzen nicht halt, sie müssten global bekämpft werden, betonte der Liberale. Auch Emmi Zeulner (CSU) sagte, in der Gesundheitspolitik müsse über Grenzen hinaus gedacht werden. Die dafür vorgesehenen Gelder seien gut angelegt.