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Entwicklung : »Milliardenschwere Mogelpackung«

Der Etat soll in diesem Jahr deutlich steigen. Doch die Freude der Fraktionen hält sich angesichts der Zukunftspläne von Finanzminister Olaf Scholz in Grenzen

22.05.2018
2023-08-30T12:34:29.7200Z
4 Min

Der Etat 2018 - für die Entwicklungspolitiker im Bundestag ist er schon fast kalter Kaffee. Nicht, weil das Haushaltsjahr bereits gut zur Hälfte vorüber ist. Und schon gar nicht, weil sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und die Fachpolitiker im Parlament laut Entwurf der Bundesregierung (19/1700) ziemlich sicher über ein kräftiges Plus in der Kasse freuen können, 9,4 Milliarden Euro und damit 10,5 Prozent mehr als 2017 soll das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in diesem Jahr ausgeben dürfen. Damit läge der Anteil der öffentlichen Entwicklungsausgaben am Bruttonationalprodukt ("ODA-Quote") bei 0,5 Prozent.

Doch die Fraktionen und auch der Minister selbst richteten den Blick bereits in die Zukunft, nämlich auf den von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgelegten Finanzplan für die Haushaltsjahre 2018 bis 2022 - und da droht nach übereinstimmender Auffassung Ungemach. Die ODA-Quote wird danach im kommenden Jahr wieder auf etwa 0,47 Prozent sinken, und das, obwohl diese laut Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD eigentlich "deutlich steigen" soll. Außerdem hatte die Große Koalition vereinbart, den Anstieg der Entwicklungsausgaben eins zu eins an den Anstieg der Verteidigungsausgaben zu koppeln.

Dass die Regierung diese Zusagen derzeit offenbar nicht einzuhalten gedenkt, rechneten Michael Leutert (Die Linke) und Anja Hajduk (Bündnis 90/Grüne) auf Basis der von Scholz vorgelegten Zahlen im Plenum im Detail vor. Leutert sprach von einem Verstoß gegen den Koalitionsvertrag, Hajduk von einer "milliardenschweren Mogelpackung", sollte es dabei bleiben.

Auch Ressortchef Müller zeigte sich verärgert. Zwar könne das BMZ mit dem Plus in 2018 "eine Menge zusätzlich tun und Probleme vor Ort lösen, etwa in den Krisengebieten um Syrien". Jedoch müsse in den Jahren darauf ein Absinken der ODA-Quote unter das jetzt erreichte 0,5-Prozent-Ziel unbedingt verhindert werden, stellte er klar. Er forderte von den Bundestagshaushältern eine "Verstärkungsmilliarde" für alle so genannten ODA-Ministerien - neben dem BMZ das Auswärtige Amt, das Umweltministerium und das Gesundheitsministerium -, um "den weiter wachsenden Mehrbedarf in den Krisenregionen abzudecken".

Müller hatte zuvor ebenso wie Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) schriftlich Einwände gegen die Haushaltspläne erhoben, an die Einhaltung des Koalitionsvertrages appelliert und Nachbesserungen beim Etatentwurf für 2019 gefordert. Dieser soll in den kommenden Wochen konkretisiert werden.

Die SPD stellte sich ebenfalls hinter den Minister. Ihre Fraktion werde sich weiter für die Erreichung des ODA-Ziels einsetzen, sicherte Sonja Amalie Steffen zu. "Dafür brauchen wir Aufwüchse bei der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch beim Auswärtigen Amt in der humanitären Hilfe, im Umweltministerium für Klimaschutzmaßnahmen und im Gesundheitsministerium für globale Gesundheit."

Kritik an EU-Politik Dass mehr Geld allein allerdings nicht reicht, um bessere Entwicklungspolitik zu machen, stellten den Fraktionen auch klar. So kritisierten Anja Hajduk und Michael Leutert unter anderem die Subventionspolitik der Europäischen Union, die verhindere, dass Afrika wettbewerbsfähige Strukturen in der Landwirtschaft aufbauen könne. Hajduk verwies darüber hinaus auch auf die sinkenden Zuwendungen Deutschlands für multilaterale Organisationen wie die Vereinten Nationen. Habe der Anteil an der ODA-Quote im Jahr 2011 bei 62 Prozent gelegen, sei er inzwischen auf 26 Prozent abgesunken, kritisierte die Grünen-Abgeordnete. "Das halte ich für nicht glaubwürdig und nicht richtig - schon gar nicht in Zeiten, wie wir sie im Moment angesichts der Flüchtlingsdynamik erleben."

Ähnlich äußerten sich Michael Georg Link (FDP) und SPD-Politikerin Steffen. Gerade in der humanitären Hilfe seien die Budgets zum Beispiel des Welternährungsprogramms und des UN-Flüchtlingswerks UNHCR "dramatisch defizitär", warnte Steffen. "Deshalb ist hier eine stärkere finanzielle Unterstützung unbedingt erforderlich." Link betonte: "Dort, wo wir uns global koordinieren, können wir mehr erreichen." Er warf dem Minister vor, "lieber seine eigenen bilateralen Schauplätze" zu pflegen und den Etat "für seine Lieblingsprojekte, die sogenannten Sonderinitiativen, um mehr als 200 Millionen Euro" zu erhöhen, obwohl er darin die gleichen Themen behandle wie an anderer Stelle. Im BMZ befassen sich derzeit drei Sonderinitiativen mit der Hungerbekämpfung, der Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika und Nahost sowie der Hilfe für Flüchtlinge. Im Plenum kündigte Müller an, 25 Prozent des Etats unter anderem in eine neue Sonderinitiative "Ausbildung und Beschäftigung" investieren zu wollen. Eine weitere mit dem Titel "Perspektive Heimat" soll Flüchtlinge bei der freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland unterstützen und ist seit einem Jahr im Aufbau.

Mittel kürzen als Strafe? Für die AfD-Fraktion bezeichnete Volker Münz das Verhältnis zwischen den in Deutschland aufgewendeten Kosten für Asylbewerber und den Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit als nicht angemessen. "Mit den rund 50 Milliarden Euro pro Jahr, die Deutschland für Asylbewerber aufbringt, könnten wir einhundertmal mehr Menschen in den Herkunftsregionen Hilfestellung und eine Lebensperspektive bieten", zeigte er sich überzeugt. Er forderte zudem, Ländern die Entwicklungshilfemittel zu kürzen, sollten sie ihre als Asylbewerber in Deutschland abgelehnten Staatsbürger nicht zurücknehmen wollen.

Ressortchef Müller hat diese Forderung jedoch schon mehrfach abgelehnt. Eine Kürzung der Mittel treffe die Falschen, warnte er erst vergangene Woche in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Deutschland habe beispielsweise im irakischen Mossul die Trinkwasserversorgung für Hunderttausende Menschen wieder hergestellt und 180 Schulen für mehr als 100.000 Kinder aufgebaut. "Soll ich ihnen den Wasserhahn wieder zudrehen, damit die Menschen verdursten? Soll ich die Schulen wieder schließen? Soll ich die Kinder dafür bestrafen, dass es mit dem Irak noch kein Rücknahmeabkommen gibt?" Müller verwies darauf, dass gerade Entwicklungshilfe vor Ort viele Menschen davon abhalte, nach Deutschland zu fliehen.