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Generaldebatte : Geld-Welle rollt

Differenzen in der Großen Koalition wegen Asyl und Armee

22.05.2018
2023-08-30T12:34:29.7200Z
4 Min

Früheren Finanzministern und Kanzlern trieb das Wort "Steuerschätzung" oft Sorgenfalten ins Gesicht. Seit dem Etatabschluss 2014 ist alles anders. die "Schwarze Null" steht und wankt nicht. Im Gegenteil: Die Staatskassen werden mit Geldwogen überspült. Über Ursachen des Milliardensegens und die Konsequenzen daraus gingen die Meinungen in der Haushaltswoche des Bundestages diametral auseinander. Die Koalition will sich in Europa spendabel zeigen und soziale Leistungen verbessern. Die Opposition will mehr investieren oder sogar Steuern senken. Am radikalsten formuliert dabei die AfD, für die die hohen Steuereinnahmen (Details siehe Text unten) nichts anderes sind als "Ausbeutung des Steuerzahlers nach Gutsherrenart".

Eine Bilanz der Generalaussprache zum Etat der Bundeskanzlerin in der vergangenen Woche zeigt: Die Zeiten des Kammertons der letzten Legislaturperiode sind vorbei; der Ton ist scharf geworden. Mit einer durchgehend forschen, streckenweise auch polemischen Rede eröffnete AfD-Oppositionsführerin Alice Weidel die Debatte. Sie warf der Koalition "Tarnen und Täuschen" vor. Im Bundeshaushalt würden nicht alle Ausgaben aufgeführt. So würden 30 Milliarden Euro, die Deutschland nach Brüssel transferiere, im Budget ebenso verschwiegen wie die Haftungen für andere Länder und Garantien für Euro-Rettungsfonds - "ganz zu schweigen von den Target 2-Salden, mit denen wir unsere Exporte selbst bezahlen". Eine "absurde Steuerpolitik" belaste kleine und mittlere Einkommen. "Während die Infrastruktur dieses Landes zerfällt, der Staat seine Bürger nicht mehr schützen kann, fließen Abermilliarden in die Aufnahme und Alimentierung illegaler Einwanderer und in die Sozialsysteme." Das sei keine zukunftsorientierte Politik, kritisierte Weidel und fuhr fort: "Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern."

Ordnungsruf Für diese Bemerkung, die zu tumultartigen Szenen bei den anderen Fraktionen geführt hatte, bekam die AfD-Politikern von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) einen Ordnungsruf. Weidel diskriminiere alle Frauen, die ein Kopftuch tragen würden, sagte Schäuble. Der Einspruch der AfD-Politikerin wurde vom Bundestag zurückgewiesen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ging in ihrer Rede auf die Vorwürfe der Oppositionsführerin nicht ein. Sie nutzte die Debatte zu einer generellen Darstellung ihrer Politik und streifte auch den Haushalt nur kurz, der angesichts der Schuldenreduzierung "Generationengerechtigkeit pur" sei. In der Europapolitik sprach sie sich für den Umbau des Euro-Rettungsfonds ESM zu einem Währungsfonds aus. Die Kanzlerin warnte vor einer Schwächung der deutschen Autofirmen. Deren Investitionsfähigkeit müsse erhalten bleiben.

Merkel bedauerte die Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran durch die USA. Sie bekannte sich zur Verantwortung für die europäische Nachbarschaft und nannte besonders Syrien und Afrika. Zugleich sprach sie sich für Regelung und Steuerung der Migration aus. Auf die Kritik aus der SPD an den geplanten Ankerzentren, aus denen abgelehnte Asylbewerber nach kurzem Verfahren abgeschoben werden sollen, reagierte sie mit dem Hinweis: "Ich finde, jetzt sollten wir auch alle dazu stehen." Merkel sprach sich auch für größere Investitionen in das Militär aus. Es gehe "nicht um Aufrüstung, sondern es geht ganz einfach um Ausrüstung". Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles reagierte ablehnend. In den letzten Jahren seien die Mittel für Verteidigung nicht einmal ausgeschöpft worden. Die SPD-Politikerin lobte die Beschlüsse zu Verbesserungen in der Pflege und zusätzliche Stellen bei Justiz und Polizei. Der Rechtsstaat werde nicht aufgegeben. "Wir packen die großen Themen an und wir handeln", versicherte Nahles.

FDP-Fraktionschef Christian Lindner erinnerte, 2007 hätten die Gesamteinnahmen 540 Milliarden Euro betragen, 2020 würden es 905 Milliarden sein. Es hätte nicht nur eine "Schwarze Null" geben dürfen, sondern Überschüsse seien "möglich und nötig". Lindner verlangte Steuersenkungen: "Wir können es uns nicht leisten, die höchsten Steuersätze der Welt zu haben."

Sahra Wagenknecht (Linke) begrüßte Merkels Kritik an der Iran-Politik des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Eine eigenständige und selbstbewusste europäische Außenpolitik fordere die Linke schon lange. Wagenknecht kritisierte die zu geringen Investitionen und sagte, diese "grandiose Mannschaft von schwarzen und roten Nullen" schaue zu, wie Straßen, Brücken und öffentliche Gebäude verrotten würden. Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, sagte, der Haushalt sei gefangen in den alten Routinen. Unzureichend seien die geplanten Maßnahmen gegen steigende Mieten und den Wohnungsmangel.

Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, ging auf die "Kopftuchmädchen"-Äußerung von Weidel ein: Wie die AfD-Politikerin über andere Menschen gesprochen habe, habe nichts mit einem christlichen Menschenbild zu tun. "Was Sie heute gemacht haben, ist das glatte Gegenteil davon, und dafür sollten Sie sich schämen", so Kauder.