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fußball-WM : Kein Sekt mit Putin

Bundesregierung soll Politik Russlands deutlich kritisieren, fordert der Bundestag

18.06.2018
2023-08-30T12:34:30.7200Z
4 Min

Der Ball rollt. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland hat begonnen. In einem Land, in dem es laut der Menschenrechtsorganisation "Memorial" 158 politische Gefangenen gibt, das in Sachen Pressefreiheit im Ranking von "Reporter ohne Grenzen" auf Rang 148 von 180 Staaten liegt und dessen Präsident Wladimir Putin in den vergangenen sechs Jahren mehr als 30 Gesetze und Gesetzesänderungen durchgesetzt hat, die die Bürgerrechte einschränken. Darunter zählt die Regelung, dass sich Organisationen, die internationale Unterstützungsgelder erhalten, als "ausländische Agenten" registrieren lassen müssen. Ebenso auch Gesetze, die die Rechte Homosexueller einschränken.

Während sich am vergangenen Donnerstag in Moskau im WM-Eröffnungsspiel der Gastgeber und Saudi-Arabien gegenüberstanden, debattierte der Bundestag auf Basis von Anträgen der FDP (19/2672) und der Grünen (19/2667) darüber, welcher politischer Umgang mit WM-Gastgeber Putin, aber auch mit den Verantwortlichen des Weltfußballverbandes Fifa angemessen sei. Ein Boykott, da herrschte Einigkeit, sei der falsche Weg. Ein "buisness as usual" seitens der Bundesregierung gehe aber auch nicht, wie Manuel Sarrazin (Grüne) betonte. Statt mit Russlands Präsident Putin oder Fifa-Chef Infantino "auf der Vip-Tribüne zu kuscheln und Sekt zu trinken", müsse sie sich für politische Gefangene einsetzen und die vorhandenen Probleme klar ansprechen, forderte er.

Brücken bauen Roderich Kiesewetter (CDU) gab sich hoffnungsvoll. Die WM könne Brücken bauen über Abgründe, die die russische Führung in den letzten Jahren verursacht habe, sagte der Unionsabgeordnete. Aber: "Der Sport wird uns nicht vereinen, wenn wir nicht gezielt die Mängel ansprechen, die das deutsch-russische und das europäisch-russische Verhältnis belasten", fügte er hinzu.

Wenn Präsident Putin versucht, mit der WM von seiner schlechten Menschenrechtsbilanz abzulenken, sollte der Spieß umgedreht werden, befand Britta Dassler (FDP). "Wir sollten die Schattenseiten der russischen Regierung beleuchten", sagte sie. Dassler verwies auch auf zuletzt stattgefundene Demonstrationen der Bevölkerung in Russland. Dies zeige, wie stark der Wunsch nach Rechtsstaatlichkeit in der Bevölkerung sei.

Auch aus Sicht von Andre Hahn (Die Linke) gibt es "keinen Grund, die zweifellos vorhandenen Defizite Russlands zu beschönigen". Gleichwohl könne er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier mit zweierlei Maß gemessen werde. Es sei befremdlich, dass derartige Anträge immer dann in den Bundestag eingebracht würden, wenn es gegen Russland gehe. Bei anderen Staaten sei die Sensibilität offenbar deutlich weniger ausgeprägt. Hahn verwies auf die Situation 1996 in Atlanta, wo vor den Sommerspielen 9.000 obdachlose Afroamerikaner festgesetzt worden seien. Als 2002 die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City stattgefunden haben, sei zum gleichen Zeitpunkt Guantanamo eingerichtet worden, "wo bis heute Menschen ohne Prozess und Urteil festgehalten werden". Zu all diesen Dingen habe es keinen Antrag im Bundestag gegeben, sagte der Linken-Abgeordnete.

Kritik an den Anträgen gab es von Seiten der AfD. Darin fänden sich viele Binsenweisheiten, bemängelte Jürgen Braun (AfD). Das sich "zwei formell deutsche Nationalspieler", Özil und Gundogan, dem türkischen "Gewaltherrscher Erdogan an den Hals geworfen" hätten, finde hingegen keine Erwähnung. Anders als Nationalspieler Emre Can, der sich dem Treffen mit Erdogan verweigert habe, seien die beiden sogar noch "mit einer Privataudienz beim Bundespräsidenten" belohnt worden, kritisierte Braun.

Weiter ging es in der Debatte mit einem Blick in die Zukunft. Auf Russland folgt in vier Jahren Katar als Ausrichter der WM. "Wir beobachten mit großer Sorge, dass internationale Sportgroßveranstaltungen immer häufiger in Länder vergeben werden, in denen Presse- und Meinungsfreiheit sowie Menschenrechte nicht gewahrt, sondern mit Füßen getreten werden", beklagte Dagmar Freitag (SPD). Als "beispiellosen Vorgang" bezeichnete sie es, das der Journalist Hajo Seppelt von der ARD-Dopingredaktion nicht in Russland dabei sein könne. "Wegen unkalkulierbarer Risiken für seine Sicherheit, wie es heißt", sagte die Vorsitzende des Sportausschusses.

Auf Augenhöhe Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Gyde Jensen (FDP), befand: "Wenn wir gesellschaftliche Werte glaubhaft vertreten wollen, dann dürfen wir Großereignisse zukünftig nur an echte Demokratien vergeben." Dem entgegnete Frank Steffel (CDU), dann könnten solche Veranstaltungen wohl nur noch in Europa stattfinden. "Das kann nicht unsere politische Antwort sein", sagte er. Einig war er sich mit Jensen in der Forderung, nicht den Fehler zu machen, Russland und Putin gleichzusetzen. Steffel zitierte den unlängst aus der Haft entlassenen russischen Oppositionsführer Alexej Nawalnyj. Der habe auf die Frage, ob er Russland die Daumen drücke, geantwortet: Ja, weil Russland mehr sei als Putin.

Wie ein sportlich fairer Umgang des Bundestags mit der russischen Duma aussehen kann, erläuterte Thomas Oppermann (SPD). Vor einigen Tagen habe der FC Bundestag gegen ein Team der Duma gespielt. "Wir haben zwar verloren, aber auf Augenhöhe gespielt und die Situation für Gespräche genutzt", sagte er.