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BUNDESTAG : Hitzige Geschichtsstunde im Plenarsaal

Debatte über Joschka Fischers militante Vergangenheit und die 68er

08.01.2018
2023-08-30T12:33:47.7200Z
3 Min

"Ich war militant, ich hab mit Steinen geworfen, ich war in Prügeleien mit Polizeibeamten verwickelt. Ich wurde geprügelt, aber ich habe auch Polizeibeamte geschlagen." Solche Worte eines Bundesaußenministers zeugen von der wechselhaften Geschichte der Bundesrepublik. Als Außenminister Joschka Fischer (Grüne) am 17. Januar 2001 in einer Fragestunde und einer aktuellen Stunde des Bundestags mit seiner militanten Vergangenheit in den 1970er Jahren konfrontiert wurde, ging es aber um weit mehr als nur seine Biografie. Verhandelt wurde an diesem Tag auch die Interpretation der 68er-Bewegung und ihr teilweises Abgleiten in die Gewalt.

Ausgelöst hatte die Debatte über Fischers Vergangenheit die Veröffentlichung von Fotos, die zeigen, wie Fischer im April 1973 in Frankfurt/Main auf einen Polizisten einschlägt und dieser zu Boden geht. Fischer war in dieser Zeit als Mitglied der linksradikalen Gruppierung "Revolutionärer Kampf" mehrfach in Auseinandersetzungen mit der Polizei involviert gewesen. "Ich habe damals Unrecht getan und ich habe mich dafür bei allen, die davon betroffen waren, zu entschuldigen", räumte Fischer ein. "Ich war damals kein Demokrat sondern Revolutionär." Später, im Jahr 1977, habe er sich vom Weg der Gewalt abgewendet.

Die Anschuldigungen, in Fischers Auto sei die Tatwaffe, mit der der hessische Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry im Mai 1981 erschossen worden war, und in Fischers Frankfurter Wohngemeinschaft mit Daniel Cohn-Bendit seien Waffen für den Terroristen Carlos gelagert worden, waren zwar von den Ermittlungsbehörden entkräftet worden, überlagerten die Debatte trotzdem zusätzlich.

Union und FDP erhoben schwere Vorwürfe gegen Fischer, er rechtfertige seine Vergangenheit noch immer. "Ihre Entschuldigungen sind in so manche Koketterie mit Ihrer Biografie eingestreut", hielt ihm der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt vor. Fischer sei "Täter" und "nicht Opfer" gewesen, sagte Wolfgang Bosbach (CDU). "Sie mussten sich nicht gegen eine brutale, repressive Staatsmacht zur Wehr setzen."

Politischer Irrtum Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sah sich genötigt, das Wort zu ergreifen und seinem Außenminister demonstrativ den Rücken zu stärken. "Sie wollen nicht urteilen, sondern verdammen", warf Schröder Union und FDP vor. Ihnen ginge es nicht darum, den von Fischer eingestandenen "politischen Irrtum" zu kennzeichnen, "sondern seine politische Existenz zu vernichten".

Dass Schröder vom "politischen Irrtum" sprach, war alles andere als ein Zufall. Der Begriff war nach dem Zweiten Weltkrieg von dem Politikwissenschaftler Eugen Kogon, selbst von den Nationalsozialisten im KZ Buchenwald inhaftiert, im Zusammenhang mit der nach seinem Empfinden ausufernden und zu schematischen Entnazifizierung von Mitläufern in der NS-Diktatur geprägt worden.

Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch hielt CDU/CSU und Liberalen vor, sie wollten "einer ganzen politischen Generation den Prozess machen". Diese Generation habe den Staat in seiner damaligen Verfasstheit mit Gewalt bekämpfen wollen. "Das war so und das war falsch", sagte Schlauch. Allerdings sei die Bundesrepublik damals eben kein liberales, weltoffenes und tolerantes Land gewesen. Die 68er-Bewegung habe einen Anteil an der "Geschichte des Erfolges unserer Demokratie".

Dies wollte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel nicht gelten lassen. Fischer habe sich zwar für das Steinewerfen entschuldigt, vertrete aber die Meinung, "die 68er hätten einen Beitrag zur Befreiung geleistet. Darin hat er sich gleich mit eingeschlossen", kritisierte Merkel. Deutschland sei aber unter den sozialdemokratischen Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt ein liberales Land gewesen.

Die hitzige Debatte offenbarte noch einmal die tiefen Gräben zwischen den politischen Lagern in der Bewertung der 68er-Bewegung auch drei Jahrzehnte nach den Ereignissen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Gräben 2018 erneut sichtbar werden.