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Eu : In (Un)Sicherheit vereint

Eine gemeinsame Armee wird es so schnell nicht geben. Aber um eine stärkere Kooperation kommt ropa nicht herum

20.08.2018
2023-08-30T12:34:33.7200Z
7 Min

Drei Jahre stand Guy Buchsenschmidt als Generalleutnant an der Spitze des europäischen Vorzeigeprojekts Eurocorps. Der multinationale europäische Großverband ist 1993 aus der Deutsch-Französischen Brigade hervorgegangen. Nachdem sich Belgien, Spanien und Luxemburg angeschlossen haben und fünf weitere Länder mitmachen, hat der mittlerweile pensionierte Buchsenschmidt im Hauptquartier in Straßburg erlebt, wie europäische militärische Zusammenarbeit funktionieren kann. Doch wer den Belgier nach einer europäischen Armee fragt, der bekommt eine knappe Antwort: Das sei "Wunschdenken". Die Unterschiede zwischen den nationalen Armeen seien zu groß, um sie zusammenzulegen

Trotzdem ist der Ruf nach einer europäischen Armee ungebrochen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker träumt davon genauso wie Antonio Tajani, der Präsident des Europäischen Parlaments. Und auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) plädiert für eine europäische Armee, "lieber gestern als morgen oder übermorgen".

Frühes Scheitern Bereits in den 1950er Jahren hatte Europa einen Anlauf zu einer europäischen Armee genommen. Der damalige französische Premier René Eleven regte an, die nationalen Streitkräfte zu verschmelzen. Die Europäische Verteidigungsunion sollte die Risiken der deutschen Wiederbewaffnung auffangen und die Einigung Europas vorantreiben. Die Bundesrepublik, Belgien, Niederlande und Luxemburg hatten das Projekt schon ratifiziert, als 1954 das französische Parlament dagegen stimmte. Es wollte die französische Armee nicht einem europäischen Oberkommando unterstellen.

Bis heute ist der Begriff Europäische Armee in Frankreich unbeliebt. Politiker sprechen dort lieber von militärischer Kooperation oder einem "Europa der Verteidigung". Einen besonders schlechten Klang hat die Rede von einer EU-Armee aber in Irland. Die Angst vor einer möglichen Einberufung in eine solche war einer der Gründe, warum eine Mehrheit der Iren 2008 den Lissabon-Vertrag ablehnte.

Deutsche Politiker stehen der Idee einer europäischen Armee dagegen recht offen gegenüber. Union und SPD hielten das Konzept vor fünf Jahren explizit im Koalitionsvertrag fest. "Wir streben einen immer engeren Verbund der europäischen Streitkräfte an, der sich zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee weiterentwickeln kann", hieß es dort. "Wir werden weitere Schritte auf dem Weg zu einer "Armee der Europäer" unternehmen", heißt es in der aktuellen Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD.

In der FDP gibt es ebenfalls große Sympathien für das Konzept. "Am Ende sollte eine europäische Armee stehen, unter gemeinsamem Oberbefehl und parlamentarischer Kontrolle", sagt der Vize-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff. "Bis dahin ist es zwar noch ein langer Weg, das darf uns aber nicht hindern, jetzt die ersten Schritte zu gehen."

Die Grünen sprechen sich grundsätzlich für eine "Europäische Verteidigungsunion" aus. Diese müsse aber mit einer Stärkung der Mitspracherechte für das Europäische Parlament einhergehen, heißt es im Parteiprogramm. Bei AfD und Linken herrscht hingegen große Skepsis. Rüdiger Lucassen (AfD) bezeichnet das Ansinnen als "Irrweg". Die Linke lehnt ein "Europa des Kriegs und der Aufrüstung" ab.

Daniel Keohane vom Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich geht davon aus, dass integrationsfreundliche Politiker wie Juncker "eine Ewigkeit warten werden, ehe eine EU-Armee Realität wird". Sein Argument: Ohne europäischen Staat könne auch keine europäische Armee existieren. Der französische Rechtsprofessor Jean-Luc Sauron argumentiert ähnlich: "Ich glaube nicht an eine europäische Armee. Um Menschen in den Krieg und in den Tod zu schicken, benötigt man eine legitime Regierung."

Nicht zuletzt herrschen große Unterschiede zwischen den nationalen Armeen, etwa bei der Beschaffung. Die Staaten verlassen sich gerne auf nationale Hersteller, zu denen sie seit Jahrzehnten eingespielte Lieferbeziehungen pflegen. Die Streitkräfte in Europa beziehen 80 bis 90 Prozent ihres Materials bei heimischen Anbietern, schätzt die EU-Kommission. "Kann man sich ernsthaft vorstellen, dass die italienische Armee Iveco die kalte Schulter zeigen wird?", fragt der Praktiker Buchsenschmidt mit Blick auf den Fahrzeughersteller, der bisher den italienischen Staat beliefert. "Die Länder lehnen es - verständlicherweise - kategorisch ab, bei einer großen Bandbreite von Themen ihre Souveränität abzugeben", sagt Buchsenschmidt. So verlaufen militärische Karrieren in den Ländern unterschiedlich, die Bezahlung variiert und ein Staat wie Deutschland legt beim Datenschutz viel höhere Maßstäbe an als andere.

Was sich in Europa dagegen klar abzeichnet, ist eine verstärkte Kooperation auf militärischem Gebiet. Dafür gibt es mehrere Gründe: US-Präsident Donald Trump gibt den Europäern unmissverständlich zu verstehen, dass er nicht weiter bereit ist, Europa vorbehaltlos zu beschützen, wenn diese nicht mehr in die Verteidigung investieren. Haushaltsdruck lässt zudem in vielen EU-Staaten das Interesse an einer Zusammenarbeit wachsen, in der Hoffnung, dass sich dadurch Mittel effizienter einsetzen lassen. Gleichzeitig ist Europas Nachbarschaft in den vergangenen Jahren deutlich instabiler geworden. Die Europäer werden sich in den kommenden Jahren verstärkt um ihre Sicherheit kümmern müssen. Dazu kommt der Brexit: Mit den Briten verabschiedet sich 2019 ein Land aus der EU, das über eine der stärksten Armeen verfügt. Gleichzeitig haben die Briten eine europäische Kooperation bisher immer wieder blockiert.

Paradigmenwechsel Die EU-Kommission treibt eine stärkere Zusammenarbeit inzwischen mit Nachdruck voran. Das ist ein Paradigmenwechsel, hatte sie das Terrain doch lange den Mitgliedstaaten überlassen. "In den vergangenen beiden Jahren wurde mehr erreicht als in den 60 Jahren davor", betonte die Kommission, als sie im Juni 2017 den europäischen Verteidigungsfonds vorstellte. Dabei sollen erstmals europäische Mittel für die Verteidigungsforschung eingesetzt werden. Mit der Initiative will sie darauf reagieren, dass die Entwicklung der kommenden Generation an Rüstungsgütern für einen Staat schlicht zu teuer ist. Außerdem ist der Markt zu zersplittert. So existieren in der Europäischen Union 17 verschiedene Kampfpanzer, in den USA nur einer.

Das EU-Parlament hat gerade beschlossen, in den kommenden beiden Jahren 500 Millionen für den Fonds zur Verfügung zu stellen. Für die Haushaltsperiode 2021 bis 2027 soll der Betrag noch mal deutlich aufgestockt werden - auf insgesamt 13 Milliarden Euro. Allerdings hinkt das Vorhaben, weil es an Kooperationsprojekten fehlt, die die Mitgliedstaaten gemeinsam entwickeln wollen. Sie haben bisher zwar 46 mögliche Projekte angemeldet, gesichert ist davon aber bislang nur die Euro-Drohne, die Deutschland gemeinsam mit Frankreich, Italien und Spanien entwickeln lassen will.

Der Haken: Der EU-Fonds übernimmt nur 20 Prozent der Entwicklungskosten, den Rest müssen die Mitgliedstaaten finanzieren. Viele von ihnen haben ihre Wehretats für die kommenden Jahre aber schon verplant. Die Kommission erwägt deshalb, auch bereits angestoßene Vorhaben rückwirkend aus dem Fonds zu finanzieren.

Mit der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) existiert bereits seit 2004 eine europäische Institution, die die Beschaffung bündeln und günstiger machen soll. Bisher haben aber vor allem kleinere Staaten auf die gemeinsame Beschaffung gesetzt.

Einen sehr weitreichenden Schritt haben 25 EU-Staaten Ende 2017 unternommen, als sie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Pesco) beschlossen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sieht darin die "Grundlage für eine Verteidigungsunion". Großbritannien und Frankreich hatten Pesco zu Anfang des Jahrtausends ins Leben gerufen, um eine militärische Vorhut zu bilden. Großbritannien wird dem Bündnis wegen des bevorstehenden Brexits nicht angehören. Außer Dänemark und Malta beteiligen sich aber alle Mitgliedstaaten - was Frankreich missfällt. Es hätte gerne ein exklusiveres Bündnis gebildet. Die Bundesregierung wollte dagegen so viele Mitglieder wie möglich in Pesco aufnehmen - und hat sich damit durchgesetzt. Die Mitglieder verpflichten sich, in die Verteidigung zu investieren und mittelfristig 20 Prozent der Verteidigungsausgaben für Rüstung auszugeben.

Europäische Eingreiftruppe Pesco sah ursprünglich auch den Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe vor. Angesichts der schwerfälligen Strukturen - es herrscht das Einstimmigkeitsprinzip - hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hier eine eigene Initiative ergriffen. Ende Juni beschlossen Frankreich, Deutschland, Belgien, die Niederlande, Dänemark, Estland, Spanien, Portugal und Großbritannien eine solche Truppe. Als Macron seinen Plan im November 2017 ankündigte, löste er bei der Nato Befürchtungen aus, die Länder könnten sich aus dem Verteidigungsbündnis zurückziehen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat mittlerweile eingeräumt, dass sich beides ergänzen könne.

Die Initiative Macrons steht bewusst außerhalb von EU-Strukturen, damit Großbritannien sich nach dem Brexit daran beteiligen kann. Den Franzosen war die Beteiligung der Briten wichtig, weil deren Strategie der französischen ähnelt. Außerdem haben die Briten lange Erfahrung mit Auslandseinsätzen.

Macron hat die Initiative vor allem gestartet, weil er Verbündete für seine Einsätze in Afrika sucht. Französische Beamte unterstreichen allerdings, dass es nicht so sehr darum gehe, neue Kampftruppen zu bilden, sondern Informationen über potenzielle Krisen in Europas Nachbarschaft auszutauschen und gemeinsam zu reagieren. Den Franzosen ist sehr wohl bewusst, dass nur wenige Länder zu militärischen Einsätzen außerhalb Europas bereit sind.

"Die Idee, dass Europäer militärische Einsätze gemeinsam planen und ausführen, scheint so weit weg von der Realität wie zuvor", argumentiert Nick Witney, erster Direktor der EDA und heute Experte für das European Council on Foreign Relations. Über die französische Initiative sagt er allerdings: "Wenn sie funktioniert, dann könnte sie ein eigenes Momentum entwickeln."

Die Autorin ist Korrespondentin der Wirtschaftswoche in Brüssel.