prostituierte : Die Nöte der Sex-Branche
Ein neues Gesetz soll mehr Licht ins Dunkel des Rotlichtgewerbes bringen. Aber es hakt
An der Berliner Kurfürstenstraße im Ortsteil Tiergarten stehen vom Vormittag bis spät in die Nacht Frauen. Im Sommer tragen sie dünne Oberteile aus Spitze, kurze Röcke und Riemchensandalen mit hohem Absatz. Im Winter tauschen sie die Kleidung für enge Leggings, warme Jacken und Stiefel. Sie bieten Sex für Geld an, wie schon Generationen von Frauen vor ihnen. Die Kurfürstenstraße ist Berlins bekanntester Straßenstrich. In diesen Jahren kommen besonders viele Frauen aus Ungarn und Bulgarien, oft aus den ärmsten Teilen dieser Länder. Einige sind wohnungslos, andere gehen anschaffen, weil sie das Geld für Drogen brauchen.
Hinter einem unscheinbaren Hauseingang auf der Kurfürstenstraße ist das Büro von "Olga", eine Anlaufstelle des Drogennotdienstes Berlin für drogenkonsumierende Frauen und Sexarbeiterinnen. Die hellen Räume mit bequemen Sofas sind für Frauen, die auf dem Strich arbeiten, nachmittags und bis spät in die Nacht offen. Hier können sie duschen, bekommen eine Tasse Tee oder Kondome und eine kostenlose medizinische Grundversorgung. Sozialarbeiterinnen, die ihre Muttersprache sprechen, helfen ihnen durch die Wirren der deutschen Bürokratie. Durch das neue Prostituiertenschutzgesetz, das am 1. Juli 2017 in Kraft trat, haben die Frauen der Kurfürstenstraße und andere Sexarbeiter strikte Auflagen zu erfüllen: Sie müssen sich offiziell in ihrer Kommune als Prostituierte registrieren und zur jährlichen Gesundheitsuntersuchung erscheinen.
Große Vielfalt Was als sexuelle oder erotische Dienstleistungen gilt, ist sehr verschieden. Neben der öffentlichen Prostitution, also der Arbeit auf dem Straßenstrich, der sowohl Frauen als auch Männer nachgehen, gehören auch erotische Massagen, die Arbeit als Domina oder im Escortservice dazu. Die Arbeitsbedingungen und das Niveau der Einkünfte variieren sehr stark und hängen davon ab, ob die Person haupt- oder nebenberuflich arbeitet, wo sie arbeitet, ob selbstständig oder als Angestellte und welchen legalen Status sie in Deutschland hat.
Es gibt noch keine sicheren Zahlen darüber, wie viele Sexarbeiter in Deutschland arbeiten. Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) schätzt, dass es zwischen 100.000 und 400.000 sind. Jedoch führt der Verband aus personellen und finanziellen Gründen keine eigene Erhebung durch. Dem Statistischen Bundesamt lagen Ende 2017 bundesweit lediglich Anmeldungen von rund 7.000 Prostituierten vor. Oft werden Frauen und Männer, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, Prostituierte genannt. Doch viele, die in der Branche arbeiten, bevorzugen den Begriff Sexarbeiter. Die feministische Bewegung steht der Benennung gespalten gegenüber: Die sogenannten Abolitionisten gehen davon aus, dass Prostitution immer ein Verhältnis voraussetzt, bei dem die Anbieter - hauptsächlich Frauen - ausgebeutet werden. Sie bevorzugen eine Gesetzgebung nach schwedischem Modell, das Kunden von Prostituierten bestraft, wodurch sich das Angebot verringert hat. 2014 wurde im Europäischen Parlament einen nicht bindende Resolution beschlossen, die das schwedische Modell empfiehlt. Ein anderer Teil der Bewegung ist sexarbeiterfreundlich und fordert, dass der Beruf den gleichen Respekt erhält wie andere. Dieser Teil kritisiert die Kriminalisierung von Prostitution und dringt stattdessen auf bessere Arbeitsbedingungen für die Branche.
Deutschlands Gesetzgebung für Prostitution ist im europaweiten Vergleich eine der liberalsten. 2002 trat das Prostitutionsgesetz in Kraft, mit dem die Sittenwidrigkeit der Prostitution abgeschafft und Bordellbetriebe und öffentliche Prostitution legalisiert wurden. In den Koalitionsverhandlungen 2013 beschlossen Union und SPD, strikter gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel vorzugehen.
Schon während der Ausarbeitung des Prostituiertenschutzgesetzes wurde es von den Branchenverbänden kritisiert. Im Juni 2017 legten verschiedene Interessenverbände unter Führung des Frankfurter Vereins Doña Carmen eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Klage, die vom Berliner Verfassungsrichter Meinhard Starostik vorgelegt wurde, wandte sich besonders gegen die Anmelde- und Beratungspflicht, die grundgesetzwidrig sei.
Verbände vergleichen die Registrierungspflicht mit einem "Hurenpass", der zuletzt in der Nazizeit vorgeschrieben war. Den Ausweis müssen Sexarbeiter immer bei sich tragen, aber dürfen ihn unter Künstlernamen ausstellen lassen. Viele befürchteten, dass durch den Ausweis die Stigmatisierung ihrer Arbeit noch größer würde. Auch die gesundheitliche Beratung sehen nicht alle als notwendig an. Schon vorher gab es anonyme Angebote für gesundheitliche und rechtliche Beratung, die von Sexarbeitern gut angenommen wurden, vor allem von Menschen mit ungewissem Aufenthaltsstatus, berichtet Monika Nürnberger vom Frauentreff "Olga".
Obwohl das Prostituiertenschutzgesetz eine statistische Erhebung der Anmeldungen vorsieht und der Gesetzgeber so hofft, eine bessere Übersicht über die Branche zu erhalten, vermutet der Berufsverband, dass dies nur bedingt möglich ist. "Eine nicht unerhebliche Zahl an Kollegen darf, kann, oder will sich nicht registrieren", sagt Fabienne Freymadl vom BesD. Sie arbeitet selbständig als Sexarbeiterin und repräsentiert beim Verband die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Schiefe Statistik Spätestens Anfang 2018 mussten sich alle Sexarbeiter registrieren. Praktisch wurde dies aber in vielen Bundesländern erst im Laufe des Jahres ermöglicht. Die Umsetzung des Gesetzes, für die Länder und Kommunen zuständig sind, verlief schleppend. Dem Statistischen Bundesamt lagen Ende 2017 erst von zehn Bundesländern Angaben über das Prostitutionsgewerbe vor und von elf Ländern über die Prostitutionstätigkeit.
In Berlin war die Anmeldung für Sexarbeiter erst ab Februar 2018 möglich. Bis September sind 272 reguläre Anmeldungen vergeben worden zusätzlich zu 2.265 vorläufigen. Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hat dafür acht Mitarbeiter, pro Woche können so etwa 70 Anträge bearbeitet werden. Die Zahl der Sexarbeiter wird in Berlin auf 8.000 geschätzt. Auch in Nordrhein-Westfalen blieb die Zahl der Anmeldungen deutlich hinter der Ausgangsschätzung von 42.000 Prostituierten zurück, heißt es in einem Zwischenbericht der Landesregierung vom November. Gerade Frauen in der Drogen- oder Beschaffungsprostitution und Opfer von Menschenhandel seien für Behörden schwer zu erreichen.
Dass es in manchen Bundesländern, wie beispielsweise Sachsen, noch immer nicht möglich ist, sich als Sexarbeiter zu registrieren und dort willkürlich Sperrgebiete eingerichtet werden, mache die wirtschaftliche Existenz ihrer Kolleginnen und Kollegen dort unmöglich, sagt Freymadl. Eine fehlende Anmeldebescheinigung kann mit einem Bußgeld von bis zu 1.000 Euro bestraft werden.
Sexarbeiter müssen sich einen Haupttätigkeitsort in den Ausweis eintragen lassen. Das können Kommunen sein oder ganze Bundesländer. Diese Verpflichtung gibt es in keinem anderen Beruf, verschiedene Verbände kritisierten das als Diskriminierung. Doña Carmen rief die Sexarbeiter kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes dazu auf, sich in allen rund 11.000 Kommunen Deutschlands zu melden und damit die Bürokratie komplett zu überfordern.
Angst vor Behörden Die gesundheitliche Beratung, ebenfalls seit 2018 verpflichtend, ist in Berlin erst seit Mai möglich. Der Gesetzgeber erhofft sich durch die regelmäßigen Besuche beim Gesundheitsamt, effektiver in Fällen von Menschenhandel eingreifen zu können. Doch gerade Sexarbeiter, die keine Arbeitserlaubnis haben und per se in einer ausgelieferten Situation sind, scheuen davor zurück, das Amt aufzusuchen.
Gerade für Kollegen mit Migrationshintergrund und fehlender Arbeitserlaubnis sei es schwierig, sich zu registrieren, da sie keine Abschiebung riskieren wollten, sagt Freymadl. "Diese Kollegen nehmen größere Risiken auf sich, gleichzeitig vermeiden sie den Kontakt zu Behörden, Beratungsstellen und Gesundheitsämtern." Sie sollten vor Ausbeutung geschützt werden, aber aus Angst würden Straftaten im Rahmen ihrer Tätigkeit seltener bei der Polizei gemeldet, sagt Freymadl. Sie hätten außerdem häufig keine Möglichkeit, sichere und saubere Arbeitsplätze zu nutzen.
Der Verband kritisiert, dass die Auswirkungen des Prostituiertenschutzgesetzes erst 2022 evaluiert werden sollen. Deshalb hat der Verband ein Onlineportal erstellt, über das Razzien, übergriffiges Verhalten oder Diskriminierungen dokumentiert werden sollen.
Neue Regeln für Bordelle Auch für Bordelle und andere Prostitutionsstätten ändern sich mit dem neuen Gesetz die Regeln. Ob schon bestehend oder neu - alle Prostitutionsstätten müssen eine Erlaubnis beantragen. In Berlin haben bis Dezember 2018 erst 171 Bordelle eine Erlaubnis beantragt, nur vier haben in der ganzen Stadt eine Erlaubnis bekommen. Die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft erklärt, dass "die Vielzahl differenzierter Voraussetzungen" dazu führt, dass Ordnungsämter jeden Fall umfangreich prüfen müssen. Auch bauplanungsrechtliche Voraussetzungen und Fragen des Immissionsschutzes müssten geprüft werden, was einen "erheblichen Zeit- und Personalaufwand" erfordere.
Die Ungewissheit durch schleppende Umsetzung des Gesetzes und die lange Wartezeit auf Erlaubnisse und Registrierungen macht der Branche zu schaffen. Besonders kleinere Betriebe leiden darunter. "Aus anekdotischen Erzählungen lässt sich eine Zunahme von Kontrollen und auch eine Schließungswelle gerade kleinerer, von Kollegen selbst geführter Arbeitsplätze beobachten", sagt Freymadl über die Auswirkungen des Gesetzes.
Es sei damit zu rechnen, dass sich auf Grund der neuen gesetzlichen Bestimmungen "die Vielfalt der Arbeitsplätze zugunsten von Großbetrieben verringern wird". Einige von Sexarbeitern selbstbestimmt geführte Arbeitsplätze hätten mangels Aussicht auf Konzession schließen müssen, berichtet die Verbandsvertreterin. "Die Kollegen müssen nun unter schlechteren Bedingung in größeren Häusern arbeiten." Wenn es weniger Arbeitsplätze gebe, könnten die verbleibenden Betriebe leichter die Bedingungen diktieren.
Die Autorin ist Redakteurin beim Berliner "Tagesspiegel".