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Ostpolitik : Der richtige Umgang mit Russland

Opposition warnt vor zu viel Nähe zu Putin

29.04.2019
2023-08-30T12:36:21.7200Z
4 Min

"Meinst Du, die Russen wollen Krieg?" Es ist fast 60 Jahre her, dass der Sowjetdichter Jewgenij Jewtuschenko diese rhetorische Frage stellte. Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, zitiert die Verszeile auch heute noch gern. "Ich bin aus meiner Kenntnis der damaligen Sowjetunion und heute Russlands sicher, dass die Antwort immer noch nein ist." Allerdings hat Russland 2014 Krieg in der Ostukraine angezettelt. Die politischen Eliten in Deutschland wurden davon und von der vorhergehenden völkerrechtswidrigen Annexion der Krim kalt erwischt und suchen seitdem nach dem richtigen Umgang mit Russland. Vertreter von CDU/CSU und SPD mahnen, den "Dialogfaden" nicht abreißen zu lassen, betonen jedoch die Unrechtmäßigkeit der Krim-Annexion. Links wie rechts der Mitte wird um "Verständnis" für Russland geworben. Am weitesten ging die AfD, die kürzlich einen Antrag "für eine neue Russlandpolitik" in den Bundestag einbrachte, Untertitel "Kooperation statt Konfrontation". Sie fordert darin unter anderem, den Jugendaustausch mit Russland auszubauen. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Aggression Russlands in der Ostukraine kommen in dem Antrag der AfD nicht vor.

Anbiederungen Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, erklärt derartige Anbiederungen mit dem "emotionalen Verhältnis", das die deutsche Bevölkerung zu Russland habe. Er verweist auf "das deutsche Schuldgefühl, am Tode von Millionen von Sowjetbürgern schuldig oder mitschuldig gewesen zu sein." Hinzu komme Dankbarkeit gegenüber der Sowjetführung, "die sich der deutschen Wiedervereinigung nicht entgegen stellte".

In sozialdemokratischen Kreisen wird regelmäßig die Ostpolitik Willy Brandts ins Feld geführt. Der frühere SPD-Bundeskanzler betrieb ab 1969 eine Annäherung an die Staaten des von der Sowjetunion dominierten "Warschauer Pakts". Die Entspannungspolitik mündete unter anderem in die KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975. 35 Staaten, europäische, die Sowjetunion, die USA und Kanada, bekannten sich mit ihrer Unterschrift dazu, Grenzen anzuerkennen, auf Gewalt zu verzichten, Menschenrechte zu achten.

Bundesaußenministers Heiko Maas (SPD) spricht nun von einer "neuen europäischen Ostpolitik." Er betont weiterhin den Dialog mit Russland, fordert aber, dabei osteuropäische Interessen stärker zu berücksichtigen. Es gehe darum, mit Russland "im Interesse aller europäischen Staaten zu kooperieren - und nicht nur mit denen, die sich die Russen herausgesucht haben", so der Außenminister. Deutschland müsse lernen, "Europa stärker durch die Augen der anderen Europäer zu sehen."

Viele Osteuropäer sehen diese Konzepte äußerst kritisch. In ihren Augen war bereits Brandts Entspannungspolitik ein Fehler. Wladimir Ryschkow, einer der wenigen echten Oppositionspolitiker Russlands, sagt, mit der Schlussakte von Helsinki sei das Recht der Sowjetunion anerkannt worden, die osteuropäischen Staaten zu kontrollieren. "Die Helsinki-Schlussakte ermöglichte, Öl- und Gaspipelines zu bauen. Die Sowjetunion kam an hunderte Milliarden D-Mark, um die eigene Wirtschaft und Rüstungsindustrie zu stützen." Dies sei ein "Sieg" Breschnjews und der Sowjetunion gewesen. Die Selbstverpflichtung, Menschenrechte zu achten, habe die Sowjetunion ignoriert. Ryschkow warnt, eine neue Ostpolitik werde genau wie damals unrechtmäßig geschaffene Grenzen legitimieren, werde der Führung in Moskau ein Recht auf Vorherrschaft in der Nachbarschaft zugestehen. "Der Kreml versteht unter Ostpolitik, dass der Westen sich damit einverstanden erklärt, dass Moskau besondere Interessen im postsowjetischen Raum hat und diesen kontrolliert."

Mit Diplomatie sei beim aktuellen Regime in Moskau nichts zu erreichen, warnt auch Marius Laurenavitius vom Institut für politische Analysen in Litauens Hauptstadt Vilnius: "Die Leute im Westen haben bis heute nicht verstanden, dass du deine Ziele nicht mit einem Partner erreichst, der deine Werte und Ziele nicht teilt." Entspannungspolitik setze Vertrauen voraus. Es stelle sich die Frage, so Laurenavitius, ob Russlands Präsident überhaupt vertrauenswürdig sei.

In der Tat scheinen die Bemühungen um einen Dialog zwischen Deutschland und Russland derzeit recht einseitig. Mit keinem Staats- oder Regierungschef telefoniert Präsident Putin so oft wie mit Angela Merkel (CDU). Oft geht die Initiative von Merkel aus. Mehrfach hat Putin sein Wort gebrochen. Der russische Journalist Konstantin von Eggert fordert denn auch, deutsche Politiker sollten aufhören, sich mit russischen Duma-Abgeordneten zum Austausch zu treffen. Das sei ein "Fake-Austausch".

Aktuell bildet sich die Debatte um den richtigen Umgang mit Russland im Europarat ab. Nach der Annexion der Krim entzog die Parlamentarische Versammlung der russischen Delegation das Stimmrecht. Seitdem zahlt Russland keine Beiträge mehr. Laut Satzung droht Russland nun der Ausschluss. Russland solle nach Möglichkeit Mitglied des Europarates bleiben - und zwar "mit allen Rechten und Pflichten", erläutert der Leiter der deutschen Delegation, der CDU-Politiker Andreas Nick. "Wir wollen gute und partnerschaftliche Beziehungen zu den Ländern Ost- und Mitteleuropas und gleichzeitig friedliche und konstruktive Beziehungen zu Russland. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese beiden Ziele gegeneinander ausgespielt werden."

Generalsekretär Thorbjorn Jagland sagte kürzlich, Russland solle sein Stimmrecht "trotz des anhaltenden Konflikts in der Ukraine" zurückerhalten, um ein Ausscheiden Russlands zu verhindern. In der Ukraine wird das mit großer Sorge gesehen, erläutert Yevhen Hlybovytsky von der Nestor Group, einer Vereinigung ukrainischer Think Tanks: "Wenn ein Verbrechen geschieht, suchen wir auch nicht nach einem Kompromiss zwischen dem Verbrecher und dem Opfer. "