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WERTE : Mit Konfuzius im Koffer

China besinnt sich auf die eigenen kulturellen Traditionen - auch als Heilmittel gegen den Modernisierungsdruck

12.08.2019
2023-08-30T12:36:26.7200Z
3 Min

Der Ort ist mit Bedacht gewählt: Als Xi Jinping 2012 sein Amt als KP-Generalsekretär antrat, wählte er die Bühne des neueröffneten Chinesischen Nationalmuseums an der Ostseite des Tiananmen-Platzes, um sein Konzept des "chinesischen Traums" vorzustellen. Nicht weniger als "das große Wiederaufblühen der chinesischen Nation" sei das erklärte Ziel, die wieder einen "rechtmäßigen Platz" in der Welt einnehmen solle. Geschickt bettet die KP-Führung mit solchen Schlagworten ihren politischen Kurs in die patriotische Erzählung der "Widerauferstehung des chinesischen Volks" aus westlicher Unterdrückung ein. Allerdings wirft diese Erzählung auch die Frage auf, ob das K im Parteinamen sich beim näheren Hinschauen nicht selbst als ein westliches Konstrukt und als ein Hinweis auf die Verwestlichung Chinas entpuppen könnte.

Vage Antworten So oft der "chinesische Traum" beschworen werden mag und so selbstbewusst sich KP-Funktionäre als Führer einer aufstrebenden und mit ihren Traditionen im Reinen befindlichen Nation präsentieren mögen, die stolz auf eine mehrtausendjährige Zivilisationsgeschichte zurückblicken könne, so vage werden die Antworten auf die Frage, worin dieses Erbe und die viel beschworene "Eigenart des chinesischen Sozialismus" eigentlich bestehen.

Offensichtlich ist der verstärkte Rückgriff im heutigen China auf Motive der eigenen Geschichte in Kino, Theater, Kunst und teils auch Architektur - und etwa auch im Aufblühen zahlreicher buddhistischer und daoistischer Klöster, die immer mehr vermögende Förderer in China finden. Verständlich wird der Rückgriff auf chinesischen Traditionen und Werten außerdem dort, wo es darum geht, den gewaltigen gesellschaftlichen Erschütterungen des rasanten Aufstiegs, sozialer Kälte und Teilnahms- und Rücksichtslosigkeit im chinesischen Alltag, etwas entgegenzusetzen. An den Universitäten etwa erfreut sich das Lehrfach Landeskunde (guoxue) seit Jahren großen Zulaufs.

Aber schon der Blick in die sich so rasant wandelnden chinesischen Millionenmetropolen zeigen auch Verunsicherung über die eigene kulturelle Identität und den Wunsch nach Verortung: Wohnhochhäuser und Bürotürme wachsen aus rücksichtslos planierten Altstädten, ein quietschbuntes Nebeneinander von Stilen, Formen, Zeichensprachen aus wechselnden Epochen und Himmelsrichtungen prägt das Bild. Teile der uralten Pekinger Viertel Qianmen und Dashala südlich des Kaiserpalastes wurden abgerissen und neu wieder aufgebaut - "originaler denn je". Erstaunten europäischen Besuchern eröffnen sich in China Sichtachsen auf die Kopie des Pariser Eiffelturms ebenso wie auf englische Tudor-Häuser und geklonte Alpenidyllen.

Als Beispiel einer Verschmelzung von konfuzianischer Tradition und Marxismus-Leninismus gilt die Widerspruchslehre, die marxistische Dialektik und vormoderne Traditionen dialektischen Denkens kombiniert. So besteht für die KP der Hauptwiderspruch heute "zwischen den ständig wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung nach einem schönen Leben einerseits und der unausgewogenen und unzureichenden Entwicklung andererseits". Zwei Jahrhundertziele hat die chinesische Führung formuliert: Bis zum hundertjährigen Geburtstag der KP im übernächsten Jahr will China den Aufbau einer "Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand" vollendet haben. Bis 2049, zum hundertsten Jahrestag der Volksrepublik, soll China ein "wohlhabender und starker, kulturell hochentwickelter, harmonischer, sozialistischer, modernisierter Staat" sein. Inwieweit sich Harmonie und kulturelle Hochentwicklung von oben steuern und formen lassen, bleibt die spannende Frage des Aufstiegs Chinas.