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digitale gesundheit : Leben unter Kontrolle?

Den App-Dschungel zu Ernährungstrends und Leistungssteigerung durchschaut kaum mehr jemand - davon profitieren vor allem die Stores und App-Hersteller

26.08.2019
2023-08-30T12:36:26.7200Z
5 Min

"Ich hasse Leute, die sich nur vegan ernähren" - wisch nach links. "Ich könnte jeden Tag grillen" - swipe up. "Leute, die Hawai-Pizza oder Chai Latte bestellen, finde ich super nervig" - wisch nach rechts: In der App "hater" können Menschen potenzielle Partner finden, die zum Beispiel ähnliche Essgewohnheiten haben wie man selbst. Auf dem Smartphone nach rechts wischen, steht für "mögen", nach links für "nicht mögen". Wer eine Aussage hochschiebt, liebt es, wer etwas hasst, schiebt es runter. Je mehr Aussagen zum Thema beantwortet werden, desto genauer werden die "matches", also die Menschen, die so ähnlich bewertet haben wie man selbst.

Die Idee stammt von dem Amerikaner Brendan Alper, der damit den Singlemarkt aufmischen wollte. Weil das entscheidend ist, was zwei Menschen so richtig auf die Palme bringen kann, gibt es nicht nur Aussagen zu Essgewohnheiten, sondern auch zu 2.000 anderen Themen. Gleichzeitig wissen aber nicht nur der potenzielle Partner, sondern auch die Architekten der App, was wir mögen und was nicht.

Risiko Datenschutz Dies gilt für viele Apps. Mit dem Einzug des Smartphones und der Smart-Watch in unseren Alltag ist klar: Apps nehmen einen immer wichtigeren Platz in unserem Leben ein. Sie wollen Unterstützer beim Einkaufen und Kochen, bei der Motivation zum Sport und auch Messgerät unseres Erfolgs sein. Im App-Store von Apple sind in den Kategorien "Medizin" und "Gesundheit und Fitness" derzeit etwa 100.000 Apps verfügbar. Für Endkunden ist dieses übergroße Angebot Segen und Fluch zugleich: "Je mehr Apps bereitstehen, desto größer ist die Chance, dass Nutzer aller Unübersichtlichkeit zum Trotz etwas Passendes herunterladen. Ob das Fundstück dann aber tatsächlich den Anforderungen genügt, steht auf einem anderen Blatt", erklärt Urs-Vito Albrecht, stellvertretender Direktor des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik in Hannover.

Albrecht leitet eine Forschergruppe, die zu den ethisch-rechtlichen Rahmenbedingungen beim medizinischen Einsatz von Gesundheits-Apps forscht: "Wesentlich ist, dass Hersteller grundsätzlich transparent darüber berichten, wie mit den Daten umgegangen wird, wo mögliche Risiken bei der Nutzung bestehen könnten und welche Maßnahmen zum Schutz der Daten verwendet werden", sagt Albrecht. Ob eine App "in Ordnung" sei, könne etwa daran abgelesen werden, ob es eine Kontaktadresse oder ein Impressum gebe. "Aber auch eine Datenschutzerklärung, die tatsächlich auf die App und ihre Funktionen gemünzt ist und nicht nur für ein beliebiges anderes Produkt des Herstellers bzw. seine Webseite gedacht war, ist ein Indikator", sagt der Forscher. "Auch eine lokale Speicherung von Daten auf dem Gerät, ist nicht in jedem Fall mit vollständiger Kontrolle und Sicherheit gleichzusetzen", sagt Albrecht. Denn auch dann kann es vorkommen, dass sensible Daten nur unzureichend gegen unberechtigte Zugriffe geschützt sind.

Apps als Optimierer des Körpers Längst richten sich Applikationen als Fitness- und Leistungssteigerungsangebote auch vermehrt an Männer. Denn fast alles, was die Ernährung betrifft, ist direkt mit der Gesundheit verbunden - zumindest in der Welt der Apps. Viele Nutzer verraten ihren kleinen Helfern, die oft im Hintergrund mitlaufen, sogar freiwillig allerhand Daten über sich selbst: Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht - all dies sind meist nötige Angaben, um herauszufinden, wie viele Kalorien in dem Mittagessen gesteckt haben.

Fest steht: Der Markt im Bereich Fitness-, Gesundheits- und Sport-Apps boomt weiter. Auch, weil das Tracking, also das Festhalten von Tätigkeiten, zurückgelegten Kilometern oder verzehrter Nahrung, den Spaß an den Maßnahmen erhöhen. Denn Selbstvermessung und Selbstoptimierung treffen den Zahn der Zeit. Das machen sich viele Apps zu Nutze: Sie sind darauf ausgerichtet, unser Verhalten kennenzulernen, um dann auch Einfluss auf das Bewusstsein nehmen zu können. Die Gefahr, dass der Mensch nicht mehr als Individuum sondern als Zahlenwerk abstrahiert wird, ist real, findet App-Forscher Albrecht. Denn Zahlen lassen sich hervorragend auswerten und geben Anhaltspunkte, wo Optimierungsbedarf besteht. "Es kommt auf uns als Gesellschaft an, wie Messdaten und vermeintliche Grenzwerte tatsächlich zu Körperidealen definiert, bewertet und ihnen nachgeeifert wird", ordnet Albrecht. ein. Klar ist: Wer Grenzwerte wie etwa die 10.000-Schritt-Zahl definiert, hat auch Macht, er sagt, was "fit" und "träge" oder "gesund" und "krank" ist.

Dabei werden die vermeintlich erstrebenswerten Zahlen oft eher willkürlich festgelegt. "Belege dafür, dass genau dieser Wert zur Förderung bzw. Erhaltung der Gesundheit erforderlich ist, geben sie nicht", weiß Urs-Vito Albrecht. Dazu kommt die Problematik, dass Ideale oft aus dem Kontext herausgerissen werden oder nicht alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden. Was für den einen eine gesunde Schrittzahl ist, kann für einen anderen Überforderung bedeuten oder sogar schädigend sein.

Auskunftsfreude im Digitalen Bei einem Blick in die Zahlen, fällt auf, dass jeder fünfte Deutsche zwischen 30 und 40 Jahren Gesundheits-Apps nutzt. Selbst bei der weniger stark körper- und gesundheitsbewussten Zielgruppe nutzt jeder Achte mindestens eine Gesundheits-App. Eine Forsa-Umfrage ergab, dass 42 Prozent der Männer und 30 Prozent der Frauen sagten, sie verhielten sich dadurch gesundheitsbewusster. Auf der anderen Seite stehen die Interessen der Anbieter von Gesundheits-Apps. Diese sind divers: Gratis-Angebote finanzieren sich oftmals darüber, dass personenbezogenen Daten verwendet und das Nutzungsverhalten ausgewertet wird. Während die Auskunft im Analogen, etwa beim Hausarzt, der Informationen über das genaue Gewicht, das Ernährungs- und Sportverhalten oder den Alkoholkonsum verlangt, oft als unangenehm angesehen wird, ist die Auskunftsfreude im Digitalen oft sehr viel höher. Doch neben IT-Firmen stecken auch Pharmakonzerne oder Krankenkassen hinter den Gesundheits-Apps. Das ist für den Nutzer anhand des App-Namens oder der Download-Bedingungen nicht immer ersichtlich. Bei der Frage nach dem Profit sind allerdings zuvorderst die Store-Betreiber zu nennen: Die große Zahl verfügbarer Apps kommt der Attraktivität der jeweiligen Plattform zugute und kann potenziell auch den Verkauf der Geräte für diese Plattform befördern. "Handelt es sich um kostenpflichtige Apps, erhält der Store-Betreiber darüber hinaus noch einen Prozentsatz des Verkaufspreises", erklärt Albrecht.

Betrachtet man die App-Entwickler, können nur die wenigsten in den Bereich der Top-Apps mit hohen Download-Zahlen vordringen und entsprechende Erlöse erzielen - entweder aus dem Verkauf oder bei kostenfreien Apps durch Werbeeinnahmen. Oft gilt für die Interessen der Entwickler: "Je besser eine App, desto eher wird sie als attraktiv und 'nicht mehr wegzudenken' wahrgenommen und damit vermutlich auch längerfristig eingesetzt", sagt Albrecht. Bei geschickten Vermarktungsmodellen könne sich dies rentieren.

Apps als Hoffnungsträger Auch politisch stecken große Hoffnungen in den Anwendungen. Sie sollen langfristig den Kostenanstieg im Gesundheitssektor senken und die Kommunikation zwischen Arzt und Patient erleichtern. In Großbritannien können Hausärzte Apps seit 2012 als Gesundheitsmaßnahme verschreiben. "Wissenschaftlich belastbare Belege für einen gesundheitlichen Nutzen liegen, wenn überhaupt, nur punktuell vor", sagt Albrecht.

Hochwertige Apps haben das Potenzial, nützliche Hinweise zu geben, zu motivieren und unterstützen. Das gilt auch für das Abnehmen mit verschiedensten Diäten oder das Fasten. Die digitalen Helfer können an Zeiten erinnern, Kalorien zählen, passgenaue Kochrezepte liefern oder als Ernährungstagebuch helfen. Eine Trink-Wecker-App erinnert daran, genug Flüssigkeit zu sich zu nehmen.

Um Nutzern mehr Orientierung im App-Dschungel zu bieten, wird auch über ein mögliches Zertifikat oder Gütesiegel für Apps diskutiert. "Allerdings kann ein Zertifikat oder Siegel nur so gut sein wie die ihm zugrundeliegenden Prüfkriterien kombiniert mit einer guten Umsetzung dieser Prüfung", gibt Albrecht zu bedenken.