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KULTUR : »Live ist Live«

Veranstalter blicken pessimistisch in die Zukunft und fordern weitere staatliche Hilfen in der Corona-Krise

02.06.2020
2023-08-30T12:38:18.7200Z
4 Min

Pamela Schobeß blickt wenig hoffnungsvoll in die Zukunft. Bis Jahresende könnte es in Berlin keinen einzigen Musikclub mehr geben, führte die Vorstandsvorsitzende der Berliner Clubkommission am vergangenen Mittwoch in einem Fachgespräch des Kulturausschusses zur Situation der Veranstalterbranche in der Corona-Krise aus. "Wir waren die ersten, die geschlossen wurden und werden die letzten sein, die wieder öffnen dürfen." Schobeß ist auch deshalb wenig optimistisch, weil sie weiß, dass die Realisierung von Hygienekonzepten und Abstandsregelungen in den Clubs extrem schwierig ist. Clubkultur und Abstandsregeln seien per se schon ein Widerspruch, Ob es für die Clubszene deshalb ein "nach der Krise" geben werde, sei fraglich. Die Clubs in Berlin seien seit dem 14. März wegen der Corona-Krise geschlossen und nach der derzeitigen Beschlusslage blieben sie dies auch bis mindestens Ende Juli. Sie befürchte aber, dass die Schließung verlängert wird.

Steigende Schulden Schobeß rechnete den Abgeordneten im Ausschuss vor, dass sich bis Ende Juli die Schulden ihres eigenen Clubs "Gretchen" auf bis zu 75.000 Euro belaufen könnten. Dies sei um so dramatischer, weil der Januar und der Februar für die Clubszene eh schon mit zu den umsatzschwächsten Monaten gehören. Die Clubs litten auch deshalb so stark unter den Einnahmeausfällen, weil ihre Gewinnmarge selbst im Normalbetrieb bei gerade einem Prozent liege. Über Rücklagen verfügten die Clubs in der Regel nicht. Auch zinslose Kredite würden der Szene nicht weiterhelfen, da die Einnahmeverluste in der Zukunft nicht ausgeglichen werden könnten, stellte Schobeß klar.

Die Club- und Partyszene bildet in Berlin einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor. Nach einer Studie der Clubkommission kommt ein Viertel aller Berlintouristen allein zum Feiern in die Hauptstadt. Jährlich erwirtschaften die Clubs einen Umsatz von rund 170 Millionen Euro und beschäftigen rund 9.000 Mitarbeiter. Ein Aus für die Clubszene wäre deshalb nicht nur kulturell ein großer Verlust für Berlin.

Allein steht die Clubszene mit ihren Problemen in der Corona-Krise nicht. Im Gegenteil, sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Kulturbranche. Die Lage sei zwar "nicht hoffnungslos", aber "desas-trös", führte Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates aus. Viele Veranstalter in der Kulturbranche müssten befürchten, bis Ende des Jahres Insolvenz anzumelden. Selbst für jene Teile der Branche, die aktuell ihren Betrieb langsam wieder hochfahren dürften, sehe die Situation alles andere als gut aus. Die Hygiene- und Abstandsauflagen würden zu weiteren massiven Umsatzeinbußen führen, weil weniger Tickets verkauft werden könnten.

Föderalismus Ausdrücklich lobte Höppner die schnelle Reaktion der Bundesregierung, um mit Hilfsgeldern die schlimmsten Verwerfungen in der Kulturszene während der Corona-Pandemie abzuwenden. Hauptverantwortlich für die Kultur seien im föderalen Gefüge der Bundesrepublik allerdings die Länder und Kommunen. Leider seien die Hilfen der Länder höchst unterschiedlich stark ausgeprägt und obendrein zeichne sich jetzt bei den Lockerungen der Corona-Maßnahmen erneut ein "Flickenteppich" ab.

Sorgenvoll schaut der Musikrat auch auf die kommenden Jahre. Länder und Kommunen stemmen immerhin 85 Prozent aller staatlichen Kulturausgaben. Da Länder und Kommunen aufgrund deutlicher geringerer Steuereinnahmen während der Corona-Krise finanziell unter erheblichen Druck gerieten, sei zu befürchten, dass die Kultur als freiwillige Pflichtausgabe einmal mehr zum "Steinbruch" in den Haushalten werden, argumentierte Höppner. Der Musikrat fordere deshalb die Länderparlamente auf, eine fünfjährige Verpflichtungsermächtigung für die Jahre 2021 bis 2025 zu beschließen. "Mit dieser soll vereinbart werden, dass die Finanzierung von Bildung und Kultur auch in Zukunft mindestens in jener prozentualen Höhe gewährleistet ist, wie es in den derzeitigen Haushaltsansätzen der Fall ist." Zudem müsse das Finanzgefüge zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu ausbalanciert werden.

Gutscheinlösung Auch Tobias Wolff vom Forum Musikfestivals blickte kritisch auf den Föderalismus. Dieser habe sich in den vergangenen Wochen "keine Sympathiepunkte" erworben. Die höchst unterschiedlichen Regelungen in den Ländern während des sogenannten "Lockdowns" und seiner langsamen Beendigung belaste die Veranstalter. Wolff warnte zugleich vor übertriebenen Hoffnungen auf die Gutschein-Lösung, die der Bundestag beschlossen hat, um es den Veranstaltern zu ermöglichen, für Tickets ausgefallener Kulturveranstaltungen Gutscheine an die Käufer auszustellen statt den Eintrittspreis erstatten zu müssen. Dies sei in der Branche zwar begrüßt worden, die finanziellen Probleme würden letztlich aber nur in die Zukunft verschoben.

Ländlicher Raum Nicht weniger drastischer schilderte Dorothee Starke von der Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen (Inthega) die Situation. Die vielen kleinen Bühnen für Theatergastspiele würden sich zu 70 bis 100 Prozent aus Eigeneinnahmen finanzieren und nur selten Fördergelder von den Kommunen erhalten. Aufgrund der Hygiene- und Abstandsvorschriften würden die Eigeneinnahmen aber selbst nach dem Ende der Schließungen auf bis zu 40 Prozent sinken. Zudem sei bei den oftmals veralteten Theatern Umbaumaßnahmen zur Realisierung von Hygieneauflagen selten möglich. Starke forderte ein "Programm, das die zu erwartenden Defizite auffängt und die Theater in die Lage versetzt, ihr geplantes Programm anzubieten". Der Fortbestand der kulturellen Infrastruktur im ländlichen Raum müsse gewährleistet werden.

Die Kulturbranche plagt in der Corona-Krise neben finanziellen Nöten aber auch ein Problem, das ihren Wesenskern betrifft: Die Künstler und Kreativen sind von ihrem Publikum getrennt. Die Verlagerung von Konzerten in die digitale Welt sei da kein Ersatz, stellte Höppner klar. "Live ist eben live."