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Kultur : Stille, wo sonst Lärm ist

Verdichtung, Gentrifizierung und jetzt Corona - die Berliner Clubs, die den Ruf der Stadt als Partymetropole prägten, kämpfen um ihre Existenz

24.08.2020
2023-08-30T12:38:21.7200Z
4 Min

Es ist mal ein ohrenbetäubendes Dröhnen, dann wieder ein zartes Zirpen, das das Kesselhaus des alten Heizkraftwerkes in Berlin-Friedrichshain erfüllt: In der riesigen Halle am Berghain, wo sonst an Wochenenden nebenan bis zu 1.500 Menschen feiern, lauschen Anfang August nur vereinzelt Menschen einer Klanginstallation des Künstler-Duos tamtam. Im Berghain selbst, einem der international bekanntesten Berliner Clubs, steht alles still. Seit Monaten.

Corona hat die Clubszene in der Hauptstadt hart getroffen. Bereits am 12. März, noch vor Schulen, Kitas, Restaurants und Geschäften, schlossen im Zuge der Schutzmaßnahmen alle Konzert- und Musikstätten. Damit gehörten die mehr als hundert Berliner Clubs zu den Ersten, die wegen der Pandemie dicht machen mussten. "Und wir werden wohl auch die Letzten sein, die wieder aufmachen können", prognostizierte Pamela Schobeß schon früh. Die 46-Jährige ist Vorsitzende der Clubcommission, dem Interessenverband der Clubs in Berlin, betreibt das "Gretchen" in Kreuzberg und weiß, wovon sie spricht: "Clubkultur und Corona - das funktioniert nicht. In Clubs ist es eng, warm, laut." Sie böten daher ideale Bedingungen für eine schnelle Ausbreitung des Covid-19-Virus. Wann sie wieder öffnen können, ist weiterhin ungewiss.

Inzwischen bedrohen die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns die Existenz vieler Clubs: keine Einnahmen, kaum Rücklagen, dafür aber teils sehr hohe monatliche Fixkosten. "Im Grunde sind wir alle pleite", sagt Schobeß. Aber ein Kredit wäre für sie und die meisten anderen keine Option: "Dafür ist die durchschnittliche Umsatzrendite eines Clubs mit rund einem Prozent viel zu gering." Mehr sei mit einem Kulturprogramm kaum zu erwirtschaften.

Für Berlin jedoch ist die lebendige Clublandschaft nicht nur ein kulturelles Aushängeschild, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor: Der Ruf als Partymetropole, den sich die Hauptstadt mit Umzügen wie der Loveparade und Raves auf Brachen und in Industrieruinen nach dem Mauerfall "erfeierte", macht sich bezahlt. Etwa drei Millionen Club-Touristen bescherten Berlin 2018 Umsätze in Höhe von fast 1,5 Milliarden Euro. Zudem boten Clubs und Veranstalter rund 9.000 Menschen direkt Arbeit.

Diesen Wert hat die Politik erkannt: "Die Clubkultur ist ein Kulturgut und ein Markenzeichen Berlins", betonte etwa Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Deshalb unterstützt der Senat Clubs seit 2019 finanziell, wenn sie in den Schallschutz investieren. 15.000 Euro als Soforthilfe erhielten zu Beginn der Corona-Krise kleinere Clubs wie das Gretchen mit weniger als zehn Angestellten. Größere Clubs mit mehr als zehn Angestellten konnten Geld aus dem Topf der Soforthilfe IV speziell für Kulturbetriebe beantragen. Die Höhe der Zuschüsse für die insgesamt 35 darüber unterstützten Betriebe lag der Berliner Kulturverwaltung zufolge zwischen 21.000 und 450.000 Euro. Laut einer Umfrage der Clubkommission jedoch erhielten die Clubs aus staatlichen Soforthilfeprogrammen seit Beginn der Krise nur durchschnittlich rund 19.000 Euro. Auch wenn die Betreiber für "jeden Euro dankbar" seien, so hätten eng gefasste Kriterien dazu geführt, dass etliche Clubs "durchs Raster" rutschen, bemängelt Schobeß. Froh sei sie daher, dass es Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) gelungen sei, bei der zweiten Runde der Soforthilfe IV ab September die Zugangsbedingungen zu erleichtern. Auch eine dritte Runde der Hilfen stellte der Linken-Politiker für Dezember in Aussicht.

Experimentierräume Ein Hoffnungsschimmer. Denn zwei Drittel der Clubs seien akut von der Schließung bedroht, berichtet Schobeß - und damit auch die spezifische Clubkultur: "Unsere Clubs sind Orte, in denen sich die Menschen frei fühlen und künstlerisch experimentieren können", erklärt sie. Auch böten sie einen "Schutzraum für marginalisierte gesellschaftliche Gruppen, zum Beispiel queere Menschen".

Bedroht sind die Berliner Clubs jedoch nicht erst seit Corona: Die Szene leidet unter der Verdichtung und Gentrifizierung der Hauptstadt. Brachen und Leerstände verschwinden, Nachbarschaften werden schallempfindlicher und klagefreudiger. Immer häufiger müssen Clubs weichen. Schobeß und andere Clubbesitzer fordern deshalb, diese rechtlich als Kulturbetriebe anzuerkennen, um sie besser vor der Verdrängung aus Wohngebieten zu schützen: "Würden wir nicht länger wie Bordelle und Spielhöllen als Vergnügungsstätten eingestuft, hätten Verwaltungen eine ganz andere Grundlage, um zu entscheiden."

Dass noch kein Berliner Club endgültig wegen Corona schließen musste, liegt an der großen Solidarität innerhalb der "Community". Viele waren mit eigenen Crowdfunding-Kampagnen erfolgreich, über "United we stream", eine von der Clubkommission initiierte Streaming-Plattform, kamen in Berlin fast 500.000 Euro Spenden zusammen. Freiflächen wurden zu Biergärten umfunktioniert, Hinterhöfe zu "Open Air Salons", das Berghain oder die Wilde Renate verwandeln sich temporär zu Kunsthallen. Kostendeckend sei das zwar alles nicht, gibt Schobeß zu. Trotzdem organisiert auch sie seit August im Hof des Gretchens Live-Konzerte.

Inzwischen unterstützt die Landesregierung die Idee der Clubcommission, legale Feiermöglichkeiten auf öffentlichen Flächen zu schaffen. Angebote einiger Bezirke lägen bereits vor, berichtet Schobeß. Und auch in die Frage der Anerkennung von Clubs als Kulturgut kommt Bewegung: Einen entsprechenden Antrag hat der rot-rot-grüne Senat vor der Sommerpause bereits vorgelegt.