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Parlamentarisches Profil : Die Musikjournalistin: Doris Achelwilm

12.10.2020
2023-08-30T12:38:24.7200Z
3 Min

Wie viel Wegstrecke noch zurückzulegen ist, verrät ein einziger Satz. "Am Anfang der Wahlperiode ging es auch erstmal darum, einen Vorgang zu schaffen, damit das Thema im Bundestag gesetzt ist", sagt Doris Achelwilm. Eine sehr nachsichtige Bemerkung, welche die Abgeordnete aus Bremen macht. Was ist mit "Thema" gemeint? Ein Antrag, den Mitglieder von Die Linke und den Grünen eingebracht haben, Thema: "Mehr Frauen in den Bundestag". Achelwilm gehört zu den Intitiatorinnen, in der Linken-Fraktion ist sie Sprecherin für Gleichstellung, Medienpolitik und Queerpolitik. Sie setzen auf Maßnahmen, um den Frauenanteil im Parlament zu erhöhen. "Der Handlungsbedarf sagt: Es braucht gesetzliche Regelungen", sagt die 43-Jährige. "Die Selbstverpflichtungen haben nicht funktioniert." Im Bundestag beträgt der Anteil der weiblichen Abgeordneten 31 Prozent. In der Legislatur davor lag er bei 36,5 Prozent. "Dies ist eine Entwicklung dank AfD vor allem, aber auch Union und FDP sind noch weit von der 50-Prozent-Marke entfernt."

Laut Antrag soll eine Kommission gegründet werden, die Vorschläge erarbeitet. Das klingt alles noch recht vorsichtig. Was schwebt Achelwilm vor? "Man könnte zwei Wahlkreise zu einem zusammenlegen und die Abgeordneten paritätisch wählen", schlägt sie vor, "oder bei Geldbußandrohung Parteien auffordern, dass sie ihre Listen quotieren" - wie es in Frankreich schon praktiziert werde. "Bei den Lippenbekenntnissen sind wir weiter, bei den handfesten Umsetzungen dagegen hapert es, auch im europäischen Vergleich." Die im Landkreis Osnabrück Aufgewachsene ist müde zu hören, dass "weniger Interesse" der Grund für weniger Engagement von Frauen in den Parteien sei. "Es liegt an Strukturen, Umgangs- und Beteiligungsformen", sagt sie.

Wenn Achelwilm erklärt, rutscht sie oft ins Du. Neben ihrem Schreibtisch hängt eine Kopie Andy Warhols' Stillleben von Hammer und Sichel. "Das hat mich angesprochen", sagt sie. "Es ist nicht zu ernst und vordergründig, aber trotzdem klar." Ihr Eintritt in den Bundestag: Zwischenergebnis eines jahrelangen politischen Engagements.

Eigentlich ist Achelwilm Journalistin. Sie studierte Deutsche Sprachwissenschaft, Geschichte und Politik, schrieb über Kultur- und Musikthemen, unter anderen für die Zeitschrift "Spex". "Bei Musik braucht es eine Einordnungskompetenz, es geht auch um die Vermittlung von Kontexten." Ihre Sparte? Sie überlegt lange. "Eine Form von Pop, die nicht überall gefällig ist, gerne Bands mit Gitarre, aber nicht ausschließlich - es braucht das Besondere, das einen mit einer Idee anspricht." Es klingt wenig vordergründig.

In Bremen fand sie politische Heimat bei der sich gründenden Partei Die Linke. 2007 wurde sie Pressesprecherin der Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft, rückte 2011 in den Landesvorstand und fungierte zwischen 2013 und 2017 als Landessprecherin der Partei. Dann der Einzug in den Bundestag, mit 13,5 Prozent der Zweitstimmen für Die Linke als drittstärkste Kraft. Dass sie als Schülerin geträumt habe, Bundestagsabgeordnete zu werden, kann sie nicht bestätigen. "Die Wege ins Parlament sind meist komplizierter, laufen über die Themen", sagt sie. Bei ihr sei es ein fließender Prozess gewesen, "eine Tür ging auf und ich ging durch". Vermisst sie die Gespräche über Musik? Diesmal antwortet Achelwilm schneller. "Ich habe jetzt andere Gespräche, die reichhaltig und wichtig sind." Bleibt zum Beispiel das Engagement für Frauenrechte. "Es hängt nicht alles am Paritätsgesetz, das ist ein Hebel von vielen." Noch immer gebe es von Rechts den Druck, allein Frauen die Familienaufgaben zuzuweisen, noch immer gibt es Witze wie den von FDP-Parteichef Christian Lindner ("Nicht was ihr jetzt denkt") - "das war unangemessen und daneben, zumal es um die Verabschiedung der Generalsekretärin ging"; Lindner, so ihre Diagnose, "hat die Notwendigkeit, sich sensibilisieren zu lassen, noch nicht gesehen". Da ist sie wieder, diese Nachsicht. Die nichts mit der Abwesenheit von Beharrlichkeit zu tun hat.