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REligionsfreiheit : Diskriminiert, verfolgt, getötet

Bericht wirft schlechtes Licht auf die Lage weltweit. Auch in Deutschland mehr Straftaten

09.11.2020
2023-08-30T12:38:25.7200Z
4 Min

Es klingt wie ein Phänomen längst vergangener Tage - doch die Verfolgung von Christen ist auch heute in vielen Ländern der Welt gängige Praxis. Das belegt der aktuelle Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit (19/2382), den der Bundestag am vergangenen Freitag beraten hat. "Drei von vier Menschen leben in einem Land, das ihre Religionsfreiheit einschränkt", sagte Markus Grübel, Beauftragter der Bundesregierung für die weltweite Religionsfreiheit. "Christen sind als größte Religionsgemeinschaft von der Verletzung der Religionsfreiheit besonders betroffen." Aber auch Angehörige anderer Religionen und Weltanschauungen litten weltweit unter Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung, betonte der CDU-Politiker unter Berufung auf den Bericht.

Der rund 160 Seiten umfassende Report ist bereits der zweite Lagebericht der Regierung zur globalen Religionsfreiheit. Er zeigt erneut: Um dieses Menschenrecht ist es nicht gut bestellt. "In den letzten Jahren lässt sich ein Trend zu vermehrten Einschränkungen des Menschenrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit erkennen", so das Fazit der Bundesregierung. 30 Länder nimmt ihr Bericht einzeln in den Fokus, von Afghanistan bis Vietnam. Die Länderkapitel seien ein Novum des Berichts, so Grübel. Damit reagiere die Bundesregierung auf einen Wunsch des Parlaments. A

Als besonderes auffallendes Beispiel für die Verletzung der Religionsfreiheit verwies der Beauftragte der Bundesregierung auf China: "Dramatisch" sei die Lage der muslimischen Uiguren und der buddhistische Tibeter, schwierig auch die Situation für Christen und Anhänger der Falun-Gong-Bewegung, sagte Grübel. Er forderte eine unabhängige Untersuchung und Berichterstattung der Vereinten Nationen zur Lage der uigurischen Minderheit in China.

Zahl der Straftaten steigt Der Bericht nimmt jedoch auch Deutschland in den Blick. So verweist er auf Zahlen des Bundeskriminalamtes, wonach antisemitische und islamfeindliche Straftaten im vergangenen Jahr um 13 Prozent beziehungsweise 4,4 Prozent gestiegen sind. Antisemitische Anschläge wie etwa in Halle im Bericht zu nennen, sei richtig, sagte Jürgen Braun (AfD) - genauso richtig, wie die "Einschränkung der Religionsfreiheit in Zeiten von Corona" zu benennen. Die flächendeckende Absage von Ostergottesdiensten in Deutschland nannte er "ein verheerendes Signal". Außerdem vermisste die AfD in dem Bericht eine klare Darstellung der gewaltsamen Verfolgung von Christen unter dem Islam.

Bärbel Kofler, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte, machte darauf aufmerksam, dass mit zunehmenden Einschränkungen der Religionsfreiheit auch ein Teil der Menschenrechte "allgemein unter Druck" sei. Das sei leider ein "negativer Trend", urteilte die SPD-Abgeordnete. Nur drei Prozent der Weltbevölkerung lebten in Länder mit offenen Zivilgesellschaften. Die jüngsten Terroranschläge in Frankreich, in Halle und in Wien, die "im Namen einer Religion oder gegen eine andere Religion" verübt worden seien, zeigten, dass "die Situation der Welt sehr dramatisch ist".

Gyde Jensen (FDP) wies darauf hin, dass zum vollständigen Bild der Religionsfreiheit weltweit nicht nur die Freiheit zu glauben, "an wen man möchte", gehöre, sondern auch die Freiheit nicht zu glauben. Die drittgrößte Glaubensgemeinschaft weltweit seien Atheisten und Agnostiker. Diese würden etwa im Irak verfolgt und sogar mit der Todesstrafe bedroht. "Die Quintessenz muss sein", forderte Jensen, "der Staat hat sich aus Glaubensangelegenheiten herauszuhalten." Deshalb plädierte sie auch dafür, den "Blasphemieparagraf", Paragraf 166 Strafgesetzbuch, zu streichen.

Christine Buchholz (Die Linke) wiederum warf der Bundesregierung Inkonsequenz vor: Der Bericht beschreibe zwar eindrücklich, wie in Ägypten religiöse Minderheiten diskriminiert und in ihren Rechten beschnitten würden. "Gleichzeitig ist Ägypten aber Empfänger von deutschen Kriegswaffen. Das passt nicht zusammen", monierte sie. Religiöse Minderheiten müssten geschützt werden - "weltweit und in Deutschland", verlangte die Abgeordnete vor dem Hintergrund der vermehrten antisemitischen und islamfeindlichen Straftaten hierzulande. Die Terroranschläge von Nizza, Wien oder Paris dürften nicht dazu benutzt werden, Muslime unter Generalverdacht zu stellen. "Sie dürfen auch kein Vorwand sein, im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung nachzulassen", mahnte Buchholz. Ein nächster Bericht müsse hinsichtlich der "praktischen Konsequenzen konkreter werden".

Systematische Analyse Angesichts der eklatanten Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren müsse Deutschland endlich die "Leisetreterei" gegenüber China beenden, forderte Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen). Die Bundesregierung müsse sich aktiver für den Schutz und gegen "jede Diffamierung von Gläubigen, religiöser Minderheiten, Konfessionswechslern oder Konfessionslosen" einsetzen. "Artikel 4 unseres Grundgesetzes schützt die Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Diese Freiheit darf im Alltag nicht brüchig werden", sagte der Abgeordnete. "Wir müssen sie verteidigen." Gehring warnte auch davor, Angriffe auf Juden oder Muslime in Deutschland als Einzeltaten abzutun. Es brauche deshalb in künftigen Berichten zu Lage der weltweiten Religionsfreiheit unbedingt auch eine systematische Analyse der Situation in Deutschland.