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ABZUG : Lehren aus Afghanistan

Abgeordnete fordern ehrliche Bilanz des Einsatzes und weiterhin ziviles Engagement

28.06.2021
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3 Min

Wichtige Kampfmittel sind verpackt oder verschickt, die ersten Kameraden wieder zu Hause in Deutschland, doch knapp tausend Bundeswehrsoldaten sind noch immer im deutschen Lager in Masar-i-Scharif im Norden Afghanistans stationiert. Bis zum 30. Juni soll die letzte Basis der Bundeswehr geräumt sein, auch andere Verbündete, allen voran die USA, räumen ihre Camps. Das Ende der Nato-Mission "Resolute Support", an der zuletzt 36 Nato-Staaten und Partnerländer beteiligt waren, ist eingeläutet - und damit das Ende der 20 Jahre andauernden internationalen Militärmission am Hindukusch. Die nahm nach den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 ihren Anfang; mit dem Ziel, die Terroristen der Organisation Al-Qaida zu verfolgen und die im Land herrschenden radikalislamischen Taliban zu stürzen, steuerte die Bundeswehr damals in den verlustreichsten und teuersten Einsatz ihrer bisherigen Geschichte. Zwischenzeitlich waren mehr als 5.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan stationiert, 59 verloren ihr Leben. Mehr als zwölf Milliarden Euro kostete die Mission von 2001 bis Ende 2020, wie aus der Antwort (19/28361) der Bundesregierung vom April 2021 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (19/26752) hervorgeht.

Der Bundestag nutzte die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause, um den Soldatinnen und Soldaten, die am Einsatz in Afghanistan beteiligt waren, für ihre Einsatzbereitschaft zu danken, aber auch um Bilanz zu ziehen. Diese fiel in einer eigens anberaumten Aktuellen Stunde in Anwesenheit von Rückkehrern der Mission Resolute Support überwiegend kritisch aus.

Zunehmende Gewalt Das Erreichte sei "nicht nachhaltig", urteilte etwa Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) mit Verweis auf die jüngsten Eroberungszüge der Taliban und die Vielzahl an Gefechten und Anschläge auf Zivilisten. Dies zeige, "wie viel mehr hätte erreicht werden können und müssen". Eine Bilanzierung sei "überfällig", sagte Nouripour. Notwendig sei in Zukunft eine "auf die Menschen zentrierte Afghanistan-Strategie" und mehr Unterstützung für die Zivilgesellschaft.

Deutschland sei den Opfern eine "differenzierte Betrachtung" des Einsatzes schuldig, befand auch Bijan Djir-Sarai (FDP). Zwar habe Afghanistan sich stark verändert. "Eine neue Generation junger Frauen und Männer hat nicht zuletzt durch deutsche Hilfe studiert oder eine Ausbildung begonnen und damit Zukunftsperspektiven erhalten." Doch die innerafghanischen Friedensbemühungen kämen nicht voran, die Gewalt nehme seit 2020 stark zu. Deutschland müsse mit zivilen Mitteln engagiert bleiben. Auch für Aydan Özoguz (SPD) ist klar: "Das Land wird weiterhin von internationaler Hilfe abhängig sein."

Armin-Paulus Hampel (AfD) warf den Nato-Partnern vor, sich in Afghanistan "mit den übelsten Figuren des Landes, mit Warlords, Drogenhändlern, Waffenschiebern und Vergewaltigern" verbündet zu haben, anstatt mit den alten Stammeskulturen zu kooperieren. Den Drogenhandel, "die Geldquelle der Taliban", hätten die Nato-Staaten "ignoriert und munter blühen lassen". So gewinne man keinen Krieg. Priorität habe jetzt, den Bundeswehrsoldaten einen "ehrenvollen Abmarsch in Sicherheit und Frieden zu gewährleisten", forderte er.

Auch Dietmar Bartsch (Die Linke) sah den von der Nato erklärten "Krieg gegen den Terror" als gescheitert an. Die Taliban säßen vielfach wieder an den Schalthebeln der Macht, viele Mädchenschulen seien bereits wieder geschlossen. "Die Nato hat dem Land keine Sicherheit gebracht." Profitiert hätten nur die Taliban und die Rüstungsindustrie. Bartsch forderte eine Exit-Strategie, eine "tiefgreifende Evaluierung" des Einsatzes und einen Ausbau des zivilen Engagements.

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kündigte in der Debatte an, nach der "stillen Ankunft" der letzten Soldatinnen und Soldaten und vor dem großen Abschlussappell mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im September bei einer Veranstaltung Bilanz ziehen zu wollen. Es gelte, aus den "harten" Lektionen des Afghanistan-Einsatzes Lehren für künftige Einsätze der Bundeswehr, etwa in der Sahel-Zone, zu ziehen, damit sich "überzogene politische Ambitionen und Ziele nicht wiederholen". Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sicherte zu, dass Deutschland in enger Partnerschaft mit der afghanischen Regierung und mit zivilen Mitteln fortführen werde, wofür die deutschen Soldatinnen und Soldaten "so viele Opfer" gebracht hätten.

»Mehr Zurückhaltung« Vor Eintritt in die Tagesordnung hatte bereits Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) eine "ehrliche Bilanz" des Einsatzes gefordert. Die Erfahrungen lehrten, "zurückhaltender in unseren Erwartungen und in der Einschätzung unserer Möglichkeiten zu sein", und mahnten zudem, "unsere Schutzverpflichtung gegenüber der Bundeswehr ernst zu nehmen". Dies gelte auch gegenüber den afghanischen Ortskräften, die für die Bundeswehr, die Bundespolizei und andere deutsche Organisationen tätig gewesen seien.

Weil diese von Taliban vielfach mit dem Tode bedroht werden, will die Bundesregierung jetzt mehr afghanische Helfer in Deutschland aufnehmen als ursprünglich geplant (siehe Text unten und Interview auf Seite 2).