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FAMILIE : Das Versprechen

Anspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschülern bis 2029

25.05.2021
2023-08-30T12:39:37.7200Z
4 Min

Das hatte sich Franziska Giffey (SPD) anders vorgestellt. Nicht sie stand am vergangenen Freitag als Bundesfamilienministerin am Rednerpult im Plenarsaal des Bundestags, um den Gesetzentwurf für eines der größten familienpolitischen Vorhaben dieser Legislaturperiode vorzustellen, sondern Christine Lambrecht (SPD). Die Justiz- und Verbraucherschutzministerin leitet nach Giffeys Rücktritt zwei Tage zuvor nun auch noch das Familienministerium. Sie werde dies mit dem gleichen Engagement für die Familien tun, wie es Giffey in den vergangenen drei Jahren getan habe, beeilte sich Lambrecht zum Auftakt der Debatte zu versichern.

Rund vier Jahre nachdem sich Union und Sozialdemokraten in ihrem Koalitionsvertrag auf einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter verständigt hatten, beriet das Parlament nun wenige Wochen vor Ende der Legislatur über den Entwurf für das Ganztagsförderungsgesetz (19/29764). Vorausgegangen waren lange und harte Verhandlungen mit Ländern und Kommunen, die diesen Rechtsanspruch in die Realität umsetzen müssen. Ob dies gelingen wird, daran gibt es erhebliche Zweifel.

Stufenmodell Konkret ist vorgesehen, dass der Rechtsanspruch ab dem Schuljahr 2026/27 stufenweise eingeführt wird. Er soll zunächst für die eingeschulten Erstklässler und in den folgenden drei Jahren auf die weiteren Klassenstufen ausgeweitet werden. Ab August 2029 sollen dann alle Grundschüler im Bundesgebiet der Klassenstufen eins bis vier in den Genuss einer ganztägigen Betreuung auch nach Unterrichtsende kommen können. Sei es im Rahmen einer Hortbetreuung oder an einer Ganztagsschule.

Das Vorhaben ist durchaus ambitioniert: Zwar bieten bereits einige Bundesländer eine Ganztagsbetreuung im Grundschulalter an, aber der Bedarf an Plätzen ist schon jetzt deutlich höher als das Angebot. Nach Angaben der Bundesregierung nutzten 2019 bereits 50 Prozent der Grundschüler ein entsprechendes Angebot, der Bedarf an Plätzen lag aber bei 64 Prozent. Laut des "Nationalen Bildungsberichts 2020" wünschen sich gar 74 Prozent aller Eltern eine ganztägige Betreuung für ihre Kinder. Die Bundesregierung weiß, dass sie den Ländern für die Realisierung finanziell unter die Arme greifen muss. Mit 3,5 Milliarden Euro soll sich der Bund an den Investitionskosten der Länder für den Aufbau der benötigten Infrastruktur beteiligen. Auch an den laufenden Betriebskosten soll sich der Bund beteiligen. Finanziert werden soll dies durch eine Umverteilung der Umsatzsteuer zugunsten der Länder. So sollen ab 2030 rund 960 Millionen Euro jährlich an die Länder fließen. Die Länder selbst müssen nach Schätzungen je nach Bedarf an Betreuungsplätzen zusätzlich zwischen 2,2 und 3,4 Milliarden Euro jährlich für die Betriebskosten aufbringen.

Lambrecht und Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU), die ebenfalls verantwortlich zeichnet für die Gesetzesvorlage, räumten ein, dass auf Bund, Länder und Kommunen eine gewaltige Aufgabe zukomme. Die Umsetzung des Rechtsanspruchs sei aber ein "Meilenstein" in der Familienpolitik, mit der die Koalition auf die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen reagiere, sagte Karliczek. In immer mehr Familien seien beide Elternteil berufstätig, der Staat habe deshalb ausreichend Betreuungskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Vor allem in ländlichen Regionen fehle es an ausreichend Betreuungsplätzen. "An fünf Tagen in der Woche, für acht Stunden, planbar und zuverlässig", gelte deshalb der Rechtsanspruch, führte Lambrecht aus.

Bei den Oppositionsfraktionen stieß der Gesetzentwurf auf ein höchst geteiltes Echo. Auf der einen Seite begrüßten die FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ausdrücklich, dass der lang erwartete Gesetzentwurf nun endlich vorliege. Sie habe "die Hoffnung bereits aufgegeben", dass dies noch in dieser Legislatur geschehe, stichelte die Grünen-Familienpolitikerin Ekin Deligöz in Richtung der Regierungsbank. Inhaltlich fand die Opposition aber nur wenig gutes an der Gesetzesvorlage. Es sei völlig "ungenügend" und "unseriös", was die Koalition nach vier Jahren vorgelegt habe, bescheinigte der FDP-Familienpolitiker Matthias Seestern-Pauly. Der Gesetzesentwurf sei nicht umsetzbar. Dies sei auch das Urteil der Bürgermeister in den Kommunen, die den Rechtsanspruch umsetzen müssten. Vor allem fehle es an ausgebildeten Personal. Die Regierung habe nicht einmal einen Überblick über den benötigten Personalbedarf.

Personalmangel Ekin Deligöz (Grüne) und Norbert Müller (Linke) stießen in das gleiche Horn. Seit Jahren sei bekannt, dass es an Betreuungspersonal mangele. Auf die dringend benötigte Ausbildungsoffensive warte man immer noch vergebens, die beiden am Gesetzentwurf beteiligten Ministerien hätten ihre Aufgaben nicht erledigt, lautete das harte Urteil von Deligöz. Müller bescheinigte der Koalition zumindest, dass sie über ihren Koalitionsvertrag hinaus gegangen sei und den Bund mit rund einer Milliarde Euro an den jährlichen Betriebskosten beteiligen wolle. Dies sei ausdrücklich zu begrüßen.

Von der AfD war Kritik ganz anderer Art zu hören. Deren familienpolitischer Sprecher Martin Reichardt wollte sich erst gar nicht mit dem Gesetz auseinandersetzen, sondern monierte die Familienpolitik der Koalition während der Corona-Pandemie insgesamt. Diese Politik habe die Kinder in "krank" gemacht, schimpfte Reichardt lautstark ins Mikrofon. Es sei ein "Hohn", jetzt über Ganztagsbetreuung zu reden. Die letzte Amtshandlung von Ministerin Giffey sei es gewesen, sich für die Massenimpfung von Kindern auszusprechen. Es sei unverantwortlich, Kinder mit einem Impfstoff zu impfen, der lediglich eine Notfallzulassung habe, es fehle eine Studie über die Langzeitwirkungen: "Unsere Kinder sind nicht Ihre Versuchskaninchen."

Matthias Seestern-Pauly quittierte Reichardts Kritik lapidar: Dessen "Schreireden" der vergangenen vier Jahren hätten nicht zur Lösung der Probleme beigetragen.