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Parlamentarisches Profil : Der Haushälter: Sven-Christian Kindler

25.05.2021
2023-08-30T12:39:37.7200Z
3 Min

W enn Sven-Christian Kindler vom Nahen Osten erzählt, fallen ihm als erstes die Freundschaften ein, die er im Lauf der Jahre geknüpft hat: mit Israelis, Palästinensern, Libanesen - "man kann das gar nicht nachempfinden", sagt er über die Raketenangriffe aus Gaza gegen Israel. "Man stelle sich mal vor, Luxemburg würde Deutschland mit tausenden Raketen angreifen."

Der Grünen-Abgeordnete schweigt einen Moment. "Trotzdem ist es wichtig, die strukturellen Ursachen anzugehen, es braucht eine stabile Zwei-Staaten-Lösung mit einem demokratischen und jüdischen Israel sowie einem lebensfähigen und demokratischen palästinensischen Staat." Wann die nächste Reise nach Israel geht? Noch nicht abzusehen, sagt er, aber sobald wie möglich. Jetzt, wo die Waffen gesprochen haben, betont er das völkerrechtlich verbriefte Selbstverteidigungsrecht Israels. Und denkt an die Zukunft: Die Verdrängung von Palästinensern in Ost-Jerusalem sei zu kritisieren.

Kindler, 36, ist Mitglied der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, zwischen 2012 und 2019 war er auch Vize-Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). "Israel ist ein sehr schönes Land", zitiert er den Künstler und Shoa-Überlebenden Jehuda Bacon, "und wo viel Sonne scheint, ist auch Schatten." 2009 war er zum ersten Mal mit der Grünen Jugend, der Jugendorganisation der Grünen, in Israel gewesen und hat seitdem Kontakte aufgebaut und vertieft. "Als Deutscher bin ich in Israel mit meiner eigenen Geschichte konfrontiert, mit der Entrechtung und Verfolgung von Juden und dem industriellen Massenmord an ihnen."

Dieses Bewusstsein schärfte sich schon in seiner Jugend. Sein Großvater nahm ihn mehrfach mit zum ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ein aus Schlesien nach Niedersachsen Vertriebener, klassischer CDU-Wähler, "aber mit einem klaren Gespür für die Lehren aus der Geschichte".

Damals engagierte sich Kindler noch in der Schülervertretung und bei den Pfadfindern. Erst mit 18 stieß er zur Grünen Jugend, dann aber richtig: Zuerst als Schatzmeister, dann als deren Sprecher in Niedersachsen. Schließlich 2009 die Kandidatur für den Bundestag, in den er auch über die Landesliste einzog. Einsatz für Demokratie lernte er als Schülersprecher, die Naturliebe bei den Pfadfindern, und ein Faible für Zahlen im Unterricht: Nach dem Abi absolvierte Kindler ein duales Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Leibniz-Akademie in Hannover und bei der Bosch Rexrodt Pneumatics GmbG, wo er dann auch drei Jahre lang bis 2009 im Unternehmenscontrolling arbeitete. "Ich mag Zahlen und wollte immer wissen, wie Wirtschaft funktioniert", begründet er seinen beruflichen Weg. Ein Stück weit sei dies von seiner Familie geprägt gewesen - das Motiv, das eigene Geld zu verdienen. Kindler entstammt nicht dem Akademikermilieu, dem Caffè Latte trinkenden Bürgertum, das den Grünen oft nachgesagt wird. Die Mutter ist Industriekauffrau, der Vater Buchhalter und Kindler der erste in der Familie, der sein Abi machte. "Es ist die Biografie eines Bildungsaufstiegs", fasst er zusammen.

Im Unternehmen lernte er Fertigungscontrolling im Schatten der Finanzkrise kennen, durchdrang die Mechanismen massiver Staatseingriffe, "die lohnten sich damals für das Land"; für ihn eine Lehre nun, während der Pandemie, "sich nicht in eine weitere Krise hineinzusparen, und dann noch mehr Schulden machen zu müssen". Das damals anderen Staaten wie Griechenland auferlegte Sparprogramm nennt er ein finanzpolitisches Desaster, das sich nicht wiederholen dürfe.

Gleich 2009 zog er in den Haushaltsausschuss, ist dort Obmann und seit 2014 haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion. Seiner Arbeit mit Zahlen, dem Lesen von Excel-Tabellen setzt er seit 2018 eine weitere Aufgabe hinzu - als Vizevorsitzender des Bundesfinanzierungsgremiums, welches die parlamentarische Kontrolle über Art und Weise der Verschuldung durch den Bund ausübt. "Gleich ist wieder Sitzung", sagt er, "wir kontrollieren, was der in der Coronakrise aufgelegte Wirtschaftsstabilisierungsfonds macht".