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Coronakrise : Die Seuche wütet weiter

Das Impfprogramm läuft nach Ansicht der Opposition zu schleppend an

18.01.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
6 Min

Hoffnung und Verzweiflung liegen auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie dicht beieinander. Während Fachleute würdigen, wie schnell hochwirksame Impfstoffe gegen das Coronavirus Sars-Cov-2 entwickelt wurden, wird angesichts der aggressiv wütenden Seuche zugleich über noch schärfere Kontaktbeschränkungen debattiert. Impfstrategien, die Impfstoffbestellung und Impfprioritäten werden kritisch hinterfragt. Und für Teile der Wirtschaft stellt sich mehr denn je die Existenzfrage.

Gleichwohl, ohne die Vakzine, die seit Ende vergangenen Jahres weltweit eingesetzt werden, wäre die Lage inzwischen hoffnungslos. Allein in Deutschland hat die Zahl der insgesamt bestätigten Coronafälle die Marke von zwei Millionen überschritten, jeden Tag kommen Tausende neue Fälle hinzu, Hunderte von Toten täglich sind zu beklagen, oft mehr als 1.000. Deutschland ist ein einziger Hotspot.

Für Aufregung sorgt zusätzlich eine besonders ansteckende Mutation des Virus, die in Großbritannien und Irland weit verbreitet ist und das europäische Festland erreicht hat. Auch in Südafrika wurde eine kritische Mutation festgestellt. Zwar scheint der von Biontech/Pfizer entwickelte Impfstoff gegen die britische Variante wirksam zu sein, allerdings erhöht die Virulenz den Druck, schnell zu Impferfolgen zu kommen. Die Impfproduktion läuft jedoch gerade erst an, es mangelt also an Verfügbarkeit.

Zwei Impfungen Um den zähen Anlauf zu beschleunigen, dürfen jetzt aus jeder Biontech-Ampulle sechs statt fünf Impfdosen gewonnen werden, ein um 20 Prozent erhöhtes Volumen, kein Tropfen soll verschwendet werden. Experten warnen aber davor, die zweite Schutzimpfung über den in der Zulassung vorgesehenen Zeitraum hinauszuzögern, um auf diese Weise mehr Menschen eine Erstimpfung verabreichen zu können. Wenn zwischen Erst- und Zweitimpfung ein zu langer Zeitraum liege, könne die Immunantwort schwach ausfallen und bei Infektionen gefährliche Virus-Varianten begünstigen, gaben Virologen zu bedenken.

Inzwischen ist auch das Vakzin des US-Herstellers Moderna in der EU zugelassen und wird ausgeliefert. Anders als der Impfstoff von Biontech/Pfizer muss dieses Mittel nicht bei minus 70 Grad gekühlt werden. Mehrere andere Impfstoffe, darunter von AstraZeneca, Johnson & Johnson und der Tübinger Firma Curevac, befinden sich noch in der Pipeline, sodass womöglich bald schon aus dem akuten Mangel ein Überfluss werden könnte. Allein über die Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna hat sich Deutschland für 2021 insgesamt 140 Millionen Dosen gesichert. Die EU hat unlängst weitere bis zu 300 Millionen Dosen von Biontech geordert.

Keine Wahl Eine Wahlmöglichkeit zwischen Impfstoffen ist derzeit nicht vorgesehen, die zugelassenen Vakzine seien gleich sicher und wirksam, heißt es. Mit Impfgegnern hatten Experten gerechnet, dass aber ausgerechnet viele Pfleger sich trotz der erhöhten Infektionsgefahr einer Impfung verweigern, ist überraschend. Offenbar befürchten manche Mitarbeiter in Gesundheitseinrichtungen eine Rolle als Versuchskaninchen.

Unterdessen sind vergangene Woche die nochmals verschärften Kontaktbeschränkungen in Kraft getreten, die vorerst bis Ende Januar gelten sollen. Viele Einzelhändler sowie Schulen und Kitas bleiben geschlossen. Die Bürger sind aufgerufen, möglichst auf Reisen und auch auf Ausflüge zu verzichten. Wie schwer das fällt, zeigt der immense Andrang jüngst in den verschneiten Bergen. Psychologen berichten, dass die Coronakrise viele Familien und speziell Kinder an die Grenze ihrer psychischen Belastbarkeit bringt (siehe Seite 3). Ein Ende der Auflagen ist aber nicht in Sicht, eine Verlängerung wahrscheinlich.

Die brenzlige Lage stand vergangene Woche erneut im Zentrum der parlamentarischen Beratungen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erläuterte in einer Regierungserklärung das Impfkonzept und das weitere Vorgehen in der Pandemie und musste sich gegen heftige Kritik der Opposition zur Wehr setzen. Spahn räumte ein, dass es beim Impfstart "geruckelt" habe, jedoch sei mit den Impfungen der Weg aus der Krise nun vorgezeichnet. Er fügte hinzu, der Ernst der Lage zwinge weiter zu Einschränkungen.

Zuversicht Die aktuelle Situation sei zwiespältig: Einerseits sei die Pandemie in ihre vermutlich schwerste Phase getreten, andererseits sei so schnell wie noch nie ein sicherer Impfstoff verfügbar. Somit gebe es Grund für Zuversicht. "Wir sind jetzt auf dem Weg raus aus der Pandemie." Mehr als 750.000 Menschen seien bereits geimpft worden, und wo geimpft werde, sei auch der Ablauf professionell. Spahn sagte, es gebe berechtigte Fragen und auch Kritik. Es gehe darum, gemeinsam nach guten Lösungen zu suchen.

Spahn verteidigte die Entscheidung, die Bestellung der Impfstoffe europaweit zu koordinieren. Den europäischen Weg zu gehen, liege im nationalen Interesse. Es sei auch genug Impfstoff für alle bestellt worden, die sich impfen lassen wollten, zu Beginn der größten Impfaktion der Geschichte seien jedoch die Produktionskapazitäten noch begrenzt. Voraussichtlich im Sommer könne jedoch allen ein Impfangebot gemacht werden. Spahn betonte: "Wir krempeln zusammen die Ärmel hoch, damit diese Pandemie ihren Schrecken verliert." Er schränkte ein: "Besiegen können wir das Virus nur, wenn sehr viele bereit sind, sich impfen zu lassen." 2021 könne ein Jahr guter Nachrichten werden.

Versagen Die AfD-Fraktion hielt der Bundesregierung Versagen auf der ganzen Linie vor. Sebastian Münzenmaier (AfD) sprach von einem Desaster bei der Impfkampagne, ungerechtfertigten Corona-Auflagen und einem "Trommelfeuer" an Horrormeldungen, mit denen Panik geschürt werde. Grund- und Freiheitsrechte würden eingeschränkt, Hundertausende Existenzen vernichtet. Der in Deutschland entwickelte Impfstoff sei für Deutsche kaum verfügbar, rügte Münzenmaier. Bestellungen in ausreichender Menge seien "vergeigt" worden. Statt Risikogruppen mit Sonderöffnungszeiten und Taxi-Gutscheinen gezielt zu schützen, werde ein ganzes Land zum Stillstand gebracht. Der Lockdown sei unverhältnismäßig. Ganze Wirtschaftszweige seien irreparabel beschädigt. Der AfD-Abgeordnete forderte einen Kurswechsel in der Corona-Politik.

Harsche Kritik kam auch von der FDP. Fraktionschef Christian Lindner sagte, die Impfung sei eine große Chance, zur Normalität zurückzukehren, jedoch sei die Vorbereitung beschämend schlecht gewesen, der Impfstart verstolpert worden. Nur nach und nach sei die Bestellmenge der EU vergrößert worden. Was nicht gut gelaufen sei, müsse nun aufgeklärt werden. Lindner warnte, die Verzweiflung der Wirtschaft wachse. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) jetzt von weiteren acht bis zehn harten Wochen spreche, sei das "eine verstörende Perspektive". Das Land könne nicht über Monate im Lockdown gehalten werden. Es sei zudem kaum vermittelbar, wenn Ski- und Rodelpisten besser kontrolliert würden als der Zugang zu Alten- und Pflegeheimen. Lindner sprach mit Blick auf die stationäre Pflege von einem "Politikversagen mit Anlauf und mit Ansage". Gebraucht würden alternative Strategien und ein gezielter Schutz der Risikogruppen.

Kritische Fragen Bärbel Bas (SPD) rechtfertigte die Kritik, die auch aus ihrer Partei am Krisenmanagement von Spahn gekommen war. "Unsere Fragen sind nicht unanständig und keine Majestätsbeleidung", sagte sie. Das Impfmanagement könne noch viel besser werden. Das sei auch kein Wahlkampfgetöse. Die Impfkampagne und die Logistik müssten ebenso verbessert werden wie die Aufklärung, um Verschwörungsmythen entgegenzutreten.

Karin Maag (CDU) erwiderte, es könnten natürlich Fragen gestellt werden, sie fügte jedoch hinzu: "Es gibt kein Impfchaos." Es gebe beim Impfstoff auch kein Bestellproblem, aber der Impfstoff müsse erst hergestellt werden. Was noch nicht funktioniere, sei das Einladungsmanagement. Die Menschen wollten schnell und einfach einen Impftermin. Hier müsse nicht jedes Land sein eigenes Modell verfolgen.

Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali sprach von Chaos bei der Vergabe der Impftermine. Das müsse mit den Ländern besser koordiniert werden. Statt Vertrauen werde Verdruss geschaffen. Zudem sei in Deutschland zu wenig Impfstoff verfügbar, andere Länder seien besser. Die Linke fordert eine Freigabe der Lizenzen für die Impfstoffproduktion. Es müsse auch mehr Hilfen für Unternehmen und Solo-Selbständige geben. Nötig sei zudem ein Recht auf Homeoffice.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach mit Blick auf die vielen Infizierten und Toten von einer dramatischen Entwicklung. Der Impfbeginn mache Hoffnung, allerdings sollten keine falschen Versprechungen gemacht werden, die Pandemie könne nicht auf Knopfdruck beendet werden. Viele Menschen seien coronamüde. Sie forderte deswegen: "Wir müssen einen Plan haben, wie wir raus kommen aus der Pandemie."