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Foto: picture-alliance/dpa
Trotz betont freundschaftlicher Begrüßung von Präsident Macron (links) und Bundeskanzler Scholz: Es gibt politische Reibungspunkte zwischen Frankreich und Deutschland.

EU-Ratsvorsitz : Große Ambitionen

Frankreich will Europa gleich in mehreren Bereichen voranbringen. In einigen Bereichen gibt es Differenzen mit Deutschland.

20.12.2021
2024-02-26T11:06:31.3600Z
3 Min

Spätestens seit der Feier seines Wahlsieges zur Europahymne ist klar, dass Emmanuel Macron ein überzeugter Europäer ist. Die EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Januar beginnt, ist für den Staatschef deshalb ein ganz besonderes Ereignis. Frankreich will in den kommenden sechs Monaten die EU gleich in mehreren Bereichen voranbringen, wie Macron am 9. Dezember bei einer Pressekonferenz ankündigte. Ziel sei ein "in der Welt mächtiges Europa, das voll souverän, frei in seinen Entscheidungen und Meister seines Schicksals ist", so formulierte es der Präsident.

Souveränes Europa

Das Wort "Souveränität" zieht sich seit Jahren wie ein roter Faden durch Macrons Europapolitik. Schon in seiner Rede an der Sorbonne 2017 sprach er von einem "souveränen, geeinten und demokratischen" Europa. Die EU-Ratspräsidentschaft bietet ihm nun die Gelegenheit, sein Feuerwerk an Ideen, das er damals zündete, in die Tat umzusetzen. Dabei muss der Staatschef allerdings auf die Befindlichkeiten im eigenen Land Rücksicht nehmen. In Frankreich wird im April ein Präsident oder eine Präsidentin gewählt. Im Wahlkampf, der bereits in vollem Gange ist, geben die rechtsextremen Kandidaten mit ihrem Anti-Einwanderungskurs den Ton an. Macron nannte in seiner gut zweistündigen Pressekonferenz deshalb als erstes Anliegen einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen. "Ein souveränes Europa ist für mich ein Europa, das seine Grenzen im Griff hat." Eine Art Schengenrat solle künftig für eine kohärente Einwanderungspolitik sorgen. Um auf Notfälle wie an der Grenze zwischen Polen und Belarus zu reagieren, sollten Mitgliedsstaaten durch einen neuen Krisenmechanismus Polizei und Grenzschutz entsenden können. Auch den Migrationspakt will Macron voranbringen, der eine gerechtere Verteilung der Migranten in der Europäischen Union vorsieht, wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedsstaaten aber auf Eis liegt.

Der 43-Jährige hat sich zwar selbst noch nicht zum Kandidaten erklärt, doch an seiner Ambition besteht kein Zweifel. Die EU-Ratspräsidentschaft könnte er als eine Art Booster für seine Kandidatur nutzen. Deshalb liegen die wichtigsten Termine auch vor den Wahlen: Ein EU-Afrika-Gipfel im Februar und ein Gipfel zum Wirtschaftswachstum im März. Die EU brauche dafür einen eigenen Investitionsplan, der neue Bereiche wie die Bekämpfung des Klimawandels und die Digitalwirtschaft berücksichtige, forderte Macron. Der Haushaltsrahmen müsse für diese "neuen Investitionen" erweitert werden. Das könnte allerdings dazu führen, dass die EU ihre Haushaltsdisziplin weiter aufweicht. Macron zweifelt das Haushaltsdefizit von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes, das den Mitgliedsstaaten als Obergrenze zugestanden wird, bereits offen an. Die Frage, ob man für oder gegen die drei Prozent sei, sei überholt.

Differenzen mit Deutschland

Die Äußerung stieß auf sanften Widerspruch von Bundeskanzler Olaf Scholz, der einen Tag nach Macrons Pressekonferenz seinen Antrittsbesuch in Paris machte. Es sei durchaus möglich, das Wachstum in der EU zu stärken und gleichzeitig für solide Finanzen zu sorgen, sagte der SPD-Politiker, dessen Ampelkoalition sich die Rückkehr zur Schuldenbremse in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. In Frankreich, wo der Rechnungshof einen nie da gewesenen Anstieg der Staatsausgaben kritisiert, hat dagegen die Staatsverschuldung mit 116 Prozent einen neuen Rekord erreicht. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire räumte bereits ein, dass bei dem heiklen Thema keine schnelle Einigung zu erwarten sei. Ein weiterer Reibungspunkt mit der neuen Bundesregierung dürfte die gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik werden, die in einem Grundlagendokument festgeschrieben werden soll. Schon seit Jahren wirbt Macron für eine strategische Autonomie Europas, zu der unter anderem die Erhöhung des Verteidigungsetats gehört. Als einzige verbliebene Atommacht der EU fordert Frankreich von den anderen Staaten mehr militärisches Engagement. Das gilt insbesondere für Deutschland, wie Außenminister Jean-Yves Le Drian beim Antrittsbesuch seiner Kollegin Annalena Baerbock (Grüne) klarmachte. Deutschland habe vor allem in der Sahel-Zone eine wichtige Rolle zu spielen, mahnte Le Drian. Frankreich, das seit 2013 in Mali gegen Dschihadisten vorgeht, will sein Engagement herunterfahren: Bis 2023 will Macron die Hälfte der gut 5.000 stationierten Soldaten abziehen.

Mit seinem Programm macht der Präsident seinen Anspruch auf die Führungsrolle in der EU klar. Doch für seine ehrgeizigen Pläne bleibt ihm nur wenig Zeit: Bereits Mitte März beginnt die heiße Wahlkampfphase, in der die Regierung politische Zurückhaltung üben muss. Die wichtigsten EU-Projekte müssen bis dahin also abgeschlossen sein.