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Sondervermögen für die Bundeswehr : "Es wird Jahre dauern, bis das umgesetzt sein wird"

Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann begrüßt die drastische Erhöhung des Wehretats.

07.03.2022
2024-03-15T11:37:53.3600Z
5 Min

Frau Strack-Zimmermann, der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, hat der Bundeswehr bescheinigt, sie stehe "blank" dar. Und er forderte, den Afghanistaneinsatz "strukturell und materiell" hinter sich zu lassen. Ansonsten könne die Bundeswehr ihre Bündnisverpflichtungen nicht erfolgreich umsetzen. Sind Landes- und Bündnisverteidigung zukünftig mit Auslandseinsätzen nicht mehr vereinbar?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ich schätze die Offenheit des Generals. Auch wenn für manche der Zeitpunkt erstaunlich war, angesichts der Lage kam sie im richtigen Moment. Er hat übrigens zum Ausdruck gebracht, was sowieso jeder weiß. Der Landes- und Bündnisverteidigung kommt nicht erst jetzt, angesichts des Krieges in der Ukraine, eine größere Bedeutung zu. Bereits im Weißbuch von 2016 wurde als unmittelbare Folge der russischen Annexion der Krim dieses explizit beschrieben. Es ist bis heute nur nicht entsprechend umgesetzt worden. Weiterhin sind wir ebenso herausgefordert durch den internationalen Terrorismus. Er destabilisiert ganze Regionen, was in Folge davon auch für unsere Sicherheit von hoher Relevanz ist. Deshalb werden wir auch weiterhin gemeinsam mit unseren Verbündeten und den Vereinten Nationen den Terror weltweit bekämpfen müssen. Auch eine Form der Landes- und Bündnisverteidigung.

Foto: DBT/Leon Kuegeler/photothek

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages.

Nun sollen die Verteidigungsausgaben drastisch erhöht werden. Neben einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro soll der Wehretat auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes steigen. Das wäre mehr als 70 Milliarden Euro jährlich. Wird das Sondervermögen mit den zwei Prozent verrechnet oder kommt das wirklich obendrauf?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Das Sondervermögen wird einmalig gebildet, um dringend benötigtes militärisches Material zu beschaffen. Es wird Jahre dauern, bis das umgesetzt sein wird. Der laufende Haushalt wird losgelöst davon an das Zwei-Prozent Ziel angepasst, um die Aufgaben in Zukunft zu meistern. Ich bin dem Bundeskanzler, unserem Finanzminister Christian Lindner und der Außenministerin Annalena Baerbock sehr dankbar, dass sie gemeinsam diesen sehr mutigen, aber auch international sehr wichtigen Schritt einschlagen haben.

Der Applaus für die Erhöhung der Verteidigungsausgaben fiel bei der Unionsfraktion deutlich größer aus als etwa bei der SPD oder den Grünen. Sind Sie denn sicher, dass die Ampelkoalition eine eigene Mehrheit dafür bekommt?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die Ampelfraktionen werden diesem Vorschlag folgen. Diese historische Wende in der deutschen Sicherheitspolitik wäre bei einer schwarz-gelben Koalition gesellschaftlich vermutlich auf viel größeren Widerstand gestoßen. Das Momentum erinnert mich an die Entscheidung der rot-grünen Koalition 1998, die Nato im Kosovo-Krieg einzusetzen. Ich bin darüber hinaus froh, dass wir diese Maßnahmen gemeinsam mit der Union auf den Weg bringen werden. Es ist jetzt nicht die Stunde des politischen Klein-Kleins. Putins brutaler Krieg gegen die Ukraine hat nicht nur die Menschen in den Ländern der EU und der Nato aufgeschreckt, sondern auch bündnisneutrale Staaten wie Finnland und Schweden und viele andere weltweit. Nach aktuellen Umfragen unterstützen 78 Prozent der Deutschen eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Der großen Mehrheit der Deutschen ist klar, dass es nicht mehr reicht, wehrbereit zu sein. Wir müssen auch wehrfähig sein.

Die Liste der Beschaffungswünsche ist lang. Reicht der versprochene Geldsegen für die Bundeswehr überhaupt?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Nicht alles, was heute beschafft wird, steht tags drauf auf dem Kasernenhof. Deshalb geht es darum, Material zu beschaffen, welches unsere Fähigkeiten sichert, und das dringend benötigte moderne Gerät einzukaufen, auch um unseren Verpflichtungen im Rahmen der Nato nachzukommen. Der Artikel 346 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU erlaubt Ausnahmemöglichkeiten bei der militärischen Beschaffung und könnte deutlich mehr Tempo in die Beschaffung bringen. Und aufgrund des erhöhten Budgets sind Einkäufe in den Folgejahren möglich.


„Die Bundeswehr wurde kontinuierlich über 25 Jahre kaputt gespart. Das lässt sich nicht in fünf Jahren ausgleichen.“
Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Bei kurzfristigen Einkäufen im Ausland hat die deutsche Rüstungsindustrie aber das Nachsehen. Entpuppt sich der Sparkurs der Vergangenheit somit als Milchmädchenrechnung für Deutschland?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Es geht nicht darum, dass die Rüstungsindustrie hier oder in anderen Ländern jetzt glänzende Augen bekommt. Sie muss auch in der Lage sein, kurzfristig zu liefern. Es geht darum, die Bundeswehr best- und schnellstmöglich auszurüsten, übrigens auch und besonders um die persönliche Ausrüstung jeder Soldatin und jedes Soldaten. Natürlich werden wir weiterhin mit den europäischen Partnern Großprojekte weiterentwickeln, unter anderem beim Eurofighter und dessen Fähigkeit der elektronischen Kampfführung. Der Bundeskanzler hat gerade noch mal betont, dass beispielsweise FCAS, das Future Combat Air System, zusammen mit Frankreich und Spanien gemeinsam weiter entwickelt wird. Aber neben diesen großen langfristigen Entwicklungen müssen auch kurzfristige Beschaffungen wo auch immer ermöglicht werden.

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter hat eine Prioritätenliste bei den Beschaffungen eingefordert, damit das Geld nicht mit der Gießkanne verteilt wird. Was setzt denn die Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann ganz oben auf die Prioritätenlisten?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Relevant ist nicht die persönliche Wunschliste, sondern folgt aus dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr. Davon leitet sich alles ab, auch die Finanzbedarfsanalyse. Grundlegenden Fähigkeiten zu besitzen, ist die Voraussetzung auch im internationalen Zusammenwirken. Dazu gehören auch dringend die Digitalisierung landbasierter Operationen, die Nachfolge des Tornados, der Schwere Transporthubschrauber und die bodengebundene Luftverteidigung. Wir haben übrigens im Koalitionsvertrag die Themen Tornado und bewaffnete Drohnen aufgeführt. Ich teile die Auffassung von Herr Kiesewetter, es geht darum, Geld systematisch einzusetzen. Gleichzeitig muss dringend das Beschaffungswesen verändert werden und die Verantwortungsdiffusion im Verteidigungsministerium eine Ende haben.

Auf den Reformbedarf im Beschaffungswesen hat auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hingewiesen. Das haben ihre Amtsvorgängerinnen aber auch schon. Gebessert hat sich offenbar nur wenig...

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Sehr viele haben sich die Zähne daran ausgebissen. Vermutlich fehlte aber auch der ernsthafte Wille, etwas verändern zu wollen. Ich traue der Ministerin das zu. Sie ist Juristin ist und hat gute Nerven.

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Aktuell schafft es die Bundeswehr aber nach Angaben der Wehrbeauftragten Eva Högl nicht einmal, ihre Soldaten im Baltikum mit ausreichend Wärme- und Nässeschutz auszurüsten. Das sind Produkte, die man in jedem Outdoor-Laden kaufen kann.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Kann man alles auf dem freien Markt kaufen. Es muss nicht jedes Fleece bis in die letzte Faser beschrieben werden. Zudem sollte man die Truppe fragen, was erforderlich ist. Bei der Beschaffung neuer Stiefel hat die Bundeswehr ihre Soldaten Probe laufen lassen, welches Modell am besten zu tragen ist. So wird im wahrsten Sinne des Wortes ein Schuh draus.

Wie lange wird es denn dauern, bis die Bundeswehr ihren Auftrag wieder vollumfänglich erfüllen kann?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die Bundeswehr wurde kontinuierlich über 25 Jahre kaputt gespart. Das lässt sich nicht in fünf Jahren ausgleichen. Ich kann Ihnen keine konkrete Zeitangabe machen. Aber wir müssen und werden Tempo machen. Es handelt sich hier um nicht weniger als eine nationale Kraftanstrengung. Alle Bedenkenträger sollen jetzt bitte schweigen. Wir brauchen Tatkraft und Beweglichkeit: In der Politik, im Verteidigungsministerium, in der Beschaffung und in der Industrie.