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Beamtenbund-Vorsitzender : "Bieten Interessierten nicht genügend Perspektive"

Die Menschen spüren, dass der öffentliche Dienst auf Kante genäht wurde und auf Krisen nicht vorbereitet ist, sagt Ulrich Silberbach. Ein Gespräch über Perspektiven.

28.03.2022
2024-03-11T09:49:18.3600Z
3 Min

Herr Silberbach, welche Bereiche des öffentlichen Dienstes sind vom Fachkräftemangel am meisten betroffen?

Ulrich Silberbach: Das ist natürlich zum einen die Pflege, das wurde durch die Pandemie ja deutlich. Aber das sind zum anderen auch die Sozial- und Erziehungsdienste. Wir verhandeln gerade mit den kommunalen Arbeitgebern über diesen Bereich und sind der Auffassung, dass dort attraktivere Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Die kommunalen Arbeitgeber gehen davon aus, dass im Bereich Kita und soziale Arbeit 80.000 Fachkräfte fehlen. Wir gehen hingegen von 100.000 Menschen aus. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass es ab 2026 einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung geben soll.

Foto: Andreas Pein

Ulrich Silberbach ist gelernter Verwaltungsfachangestellter und seit 2017 Bundesvorsitzender des dbb beamtenbund und tarifunion.

Und in der IT hakt es auch, oder?

Ulrich Silberbach: Ja, die Bundesregierung hat festgestellt, dass ihr 30.000 IT-Fachleute fehlen, und das bundesweit und in allen Behörden. Das sind allerdings Zahlen, die die Bundesregierung seit Jahren kennt. Auch die demografische Entwicklung ist nicht über Nacht über den öffentlichen Dienst hereingebrochen, auch das ist eine Entwicklung, die schon lange thematisiert ist. Was die Menschen in diesem Land nun spüren ist, dass der öffentliche Dienst auf Kante genäht wurde und auf Krisensituationen wie eine Pandemie nicht vorbereitet ist. Wir fordern natürlich nicht, Personalüberhänge zu produzieren, man kann sich auch nicht auf alle Szenarien vorbereiten. Aber dass ein öffentlicher Dienst leistungsfähig und aufgabengerecht mit Personal ausgestattet sein muss, sollte mittlerweile dem letzten Hinterbänkler klar sein.

Immerhin hat das Thema Digitalisierung in der Pandemie - Stichwort: Faxgeräte in den Gesundheitsämtern - etwas an Fahrt aufgenommen. Doch gut qualifizierte IT-Fachleute entscheiden sich häufig eher für einen Job in der freien Wirtschaft. Woran liegt das?

Ulrich Silberbach: Eigentlich ist das Interesse gerade bei Absolventen oder Berufsanfängern in den IT-Berufen groß, denn die Arbeit im öffentlichen Dienst ist sehr vielfältig. Aber ein großes Manko ist für viele dann einerseits die Bezahlung; ein anderer großer Punkt ist die Qualifizierung. Da hat der öffentliche Dienst einen großen Nachteil bei der Gewinnung von jungen Menschen. Gerade die Digitalisierung bedeutet einen permanenten Workflow. Wer sich nicht ständig aus- und weiterbildet, hat schnell den Anschluss verpasst. Da bieten wir Interessierten einfach nicht genügend Perspektive.

Wie könnte man die Perspektive denn verbessern?

Ulrich Silberbach: Der öffentliche Dienst kann auf jeden Fall besonders mit der guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf punkten, es gibt zum Beispiel gute Teilzeitangebote. Nicht umsonst kommen viel mehr Frauen in den öffentlichen Dienst als Männer. Das bedient natürlich die klassischen Rollenbilder, die wir eigentlich überwinden wollen: Der Mann geht in die freie Wirtschaft, wo er mehr verdient, und die Frau geht in Teilzeit, aber so ist unser System leider bislang.


„Wer sich nicht ständig aus- und weiterbildet, hat schnell den Anschluss verpasst. Da bieten wir Interessierten einfach nicht genügend Perspektive.“
Ulrich Silberbach

Trotz dieses Pluspunktes: Laut einer Studie, die der dbb mit in Auftrag gegeben hat, können sich 80 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst vorstellen, den Arbeitgeber zu wechseln.

Ulrich Silberbach: Diese Zahlen waren für uns auch überraschend. Dass die Unzufriedenheit groß ist, ist uns bewusst, aber dass es so enorm ist, wiederum nicht. Im Kernbereich des öffentlichen Dienstes fehlen bereits jetzt 330.000 Menschen. Das bedeutet auch, dass die Arbeitsbelastung für alle absehbar immer weiter steigen wird. Die Menschen erkennen das, und gerade jene in der Altersgruppe der 35- bis 45-Jährigen ziehen dann eben in Erwägung, zu wechseln, bevor ein Wechsel aufgrund des höheren Alters eher schwieriger wird. Neben der demografischen Entwicklung kommt deshalb eine weitere Delle auf uns zu: Der vorhandene Mittelbau, auf den wir bislang zählen, denkt immer stärker darüber nach, den öffentlichen Dienst zu verlassen.