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Gastkommentare : Niederlage für die Regierung? Ein Pro und Contra

Der Bundestag hat die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht abgelehnt. Ist die Ampel-Regierung mit ihrer Politik gescheitert?

11.04.2022
2024-03-14T12:06:13.3600Z
4 Min

Pro

Niederlage für Scholz

Foto: Privat
Helene Bubrowski
"Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Foto: Privat

Es war ein Scheitern mit Ansage. Die Impfpflicht verfehlte im Bundestag die erforderliche Mehrheit. SPD und Grüne waren fast geschlossen dafür, aber die FDP bis auf wenige Ausnahmen dagegen. Das war seit Monaten klar. Deshalb hat die Bundesregierung Ende des vergangenen Jahres entschieden, keinen eigenen Gesetzentwurf zur Impfpflicht vorzulegen. Der Bundeskanzler hätte schon die Vertrauensfrage stellen müssen, um die FDP zur Zustimmung zu zwingen - und man kann noch nicht mal sicher sein, dass das gut gegangen wäre.

Stattdessen hat die Bundesregierung die Abstimmung über die Impfpflicht zur Gewissensfrage erklärt und entschieden, in das sogenannte Gruppenverfahren zu gehen. Das ist bei medizin-ethischen Themen möglich, aber nicht zwingend. Olaf Scholz hat versucht, aus der Not eine Tugend zu machen: Weil die FDP ausfiel, sollte die Union als Mehrheitsbeschafferin einspringen. Aber dieses Kalkül ist nicht aufgegangen. Wenn der Bundesregierung nicht schnell etwas einfällt, wird Deutschland genauso unvorbereitet in den nächsten Herbst gehen wie in den vergangenen beiden Jahren. Dabei hatte die Ampel doch eine vorausschauende Politik versprochen.

Diese Niederlage geht mit Bundeskanzler Scholz und seinem Gesundheitsminister Karl Lauterbach nach Hause. Die können sich nicht damit rausreden, sich nur "als Abgeordnete" dem Antrag der Fraktionskollegen angeschlossen zu haben. Diese Erzählung war nie glaubhaft, am Donnerstag hat Scholz sie selbst entschleiert. Der Kanzler hat die Außenministerin Annalena Baerbock aufgefordert, ein wichtiges Nato-Treffen in Brüssel zu verlassen und zur Abstimmung zurück nach Berlin zu kommen. Nun zählte jede Stimme, nicht das Gewissen.

Contra

Gewagte These

Foto: Privat
Hagen Strauß
"Saarbrücker Zeitung"
Foto: Privat

Dass die monatelange Debatte über das Für und Wider einer Impfpflicht, ebenso die Suche nach einem Kompromiss mit immer neuen Altersgrenzen ein kommunikatives Desaster der Ampel-Regierung gewesen ist, lässt sich nicht bestreiten. Der Kanzler, auch der Gesundheitsminister haben keine gute Figur gemacht - die Union im Übrigen auch nicht. Die Folgen müssen jetzt alle in den weiteren Diskussionen ausbaden. Doch von einer großen Niederlage der Regierung zu sprechen, ist eher gewagt. Scholz und Co haben mit ihrer Vorgehensweise bewusst das Parlament gestärkt.

Die leidenschaftliche Debatte im Bundestag über die Impfpflicht hat doch gezeigt, dass das Verfahren richtig gewählt war. Nur selten geht es noch so argumentativ offen, kontrovers und emotional zu. Niemand möchte parlamentarische Lemminge, die ihrer Fraktionsführung einfach nur hinterherrennen. Der Bundestag braucht weitaus mehr Entscheidungen, in denen die Abgeordneten ihrem Gewissen tatsächlich folgen können. Durch das Ampel-Procedere zur Impfpflicht ist dafür hoffentlich die Tür einen Spalt weit aufgestoßen worden.

In der Politik ist allerdings nichts frei von Taktik. Kanzler Scholz hat mit seinem Vorgehen wohl auch vermeiden wollen, die neue, sich noch findende Koalition gleich hinter sich zu zwingen. Die Herausforderungen durch die Ukraine-Krise waren auch schon vor dem Krieg immens. Es war daher klug, eine solche Zerreißprobe zu vermeiden. Scholz scheint zudem aus der Geschichte gelernt zu haben - der Kanzler, der lieber mit Druckmitteln gearbeitet hat und als einziger sogar zweimal die Vertrauensfrage stellte, war SPD-Mann Gerhard Schröder. Und der ist kein gutes Vorbild mehr.