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Streit in der EU : Ende der Einigkeit

Bundeskanzler Scholz sichert Ukraine weitere Unterstützung zu. EU streitet um Öl-Embargo gegen Russland.

23.05.2022
2024-02-26T10:25:20.3600Z
4 Min

So schnell wie möglich weg von russischem Öl und Gas und trotzdem die Energieversorgung in Europa sichern - die EU-Kommission will schaffen, was auf den ersten Blick unvereinbar scheint. Sie plant, bis 2030 bis zu 300 Milliarden Euro zusätzlich in den Ausbau erneuerbarer Energien und gemeinsame Energieeinkäufe auf dem Weltmarkt zu investieren. Schon deutlich früher, bis spätestens Ende 2022, sollen die Mitgliedstaaten vollständig auf den Import von russischem Öl verzichten.

Foto: picture-alliance/dpa/Michael Kappeler

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) blieb in seiner Regierungserklärung zum EU-Sondergipfel Ende Mai nach Ansicht der Opposition viele Antworten schuldig.

Doch Letzteres ist für Ungarn, Tschechien und die Slowakei, die einen Großteil ihres Öls aus Russland beziehen, ein rotes Tuch. Sie fürchten um ihre Energiesicherheit und hohe Folgekosten, Ungarn blockiert deshalb seit Tagen das neue, sechste Sanktionspaket der EU gegen Russland, dessen zentraler Bestandteil das Embargo ist. Ob es bis zum EU-Sondergipfel zum Ukraine-Krieg am 30./31. Mai zu einer Einigung kommt, ist unklar.

Umso bemerkenswerter ist, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das sensible Thema vergangenen Donnerstag im Bundestag allenfalls indirekt ansprach. In seiner Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel betonte er lediglich: "Auf europäischer Ebene geht es vor allem darum sicherzustellen, dass es keine Engpässe bei der Energieversorgung in einzelnen Mitgliedstaaten gibt. Das ist ein Gebot europäischer Solidarität." Zugleich zeigte er sich überzeugt, dass die Probleme am Energiemarkt mittel- und langfristig nur gelöst werden können, wenn "wir uns unabhängig von fossiler Energie machen". Die Vorschläge der Kommission dazu nannte er eine "wichtige Initiative".

Grüne, SPD und FDP für Embargo

Beim grünen Koalitionspartner rennt der Kanzler damit wenig überraschend offene Türen ein. Fraktionschefin Katarina Dröge betonte in der anschließenden Generalaussprache, die Antwort auf die beiden großen Krisen dieser Zeit, den Klimawandel und die Frage der Sicherheit in Europa, sei die Abkehr von fossiler Energie. Dies sei außerdem "das stärkste Instrument, das wir Russland entgegensetzen können". Darüber hinaus versicherte sie, "wir werden niemals aufhören, die Ukraine zu unterstützen". Dazu zähle auch die Lieferung schwerer Waffen.

Zu einem Öl-Embargo gebe es wenig Alternativen, urteilte auch der SPD-Abgeordnete Achim Post. FDP-Fraktionschef Christian Dürr mahnte mit Blick auf bereits mehr als 10.000 getötete Zivilisten und rund 13 Millionen Geflüchtete beziehungsweise Vertriebene in der Ukraine, der Importstopp müsse "so schnell wie möglich" umgesetzt werden. "Die Menschen kämpfen für ein Danach in Freiheit und Wohlstand und dabei unterstützen wir sie."


„Ob das gute Gespräche sind, sei einmal dahingestellt. Wir sind uns jedenfalls bisher nicht einig.“
Friedrich Merz (CDU)

Die Fraktionsvorsitzenden von AfD und Linken, Alice Weidel und Amira Mohamed Ali, warnten hingegen vor den Folgen eines Embargos. Weidel sagte, schon die bisherigen Sanktionspakete der EU schadeten deutschen Bürgern und Unternehmen mehr als Russland. Ein Öl- und Gasembargo wäre "vollends ruinös", da es bisher keinen tragfähigen Ersatz für die ausfallenden Lieferungen gebe. Mohamed Ali warnte, ein Öl-Embargo würde viele Menschen in Deutschland, die schon jetzt massiv unter den Folgen des Krieges wie hoher Inflation und steigenden Energiepreisen litten, noch härter treffen. Beide forderten mehr Hilfen für die Betroffenen. Zudem sprachen sie sich gegen Waffenlieferungen und für eine Verhandlungslösung aus. Ein "immer länger dauernder Krieg" und eine Ausweitung des Konflikts müsse verhindert werden, betonte Mohamed Ali. Weidel sagte: "Der Krieg in der Ukraine ist nicht unser Krieg." Deutschland müsse seine eigenen Interessen vertreten: "Waffenstillstand und Frieden".

Scholz: Nato soll kein Kriegspartei werden

Scholz hatte zuvor betont, dass die Bundesregierung der Ukraine auch weiterhin militärisch den Rücken stärken, aber nichts tun werde, "was die Nato zur Kriegspartei werden lasse". Darüber hinaus müsse Deutschland seine eigene Verteidigungsfähigkeit stärken.

Die Bundesregierung plant dafür ein Sondervermögen für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr in Höhe von hundert Milliarden Euro. Mit ihm sollte sich der Bundestag ursprünglich schon vergangene Woche befassen, um es noch vor der Parlamentarischen Sommerpause auf den Weg zu bringen. Doch das wird knapp, denn um das Sondervermögen im Grundgesetz verankern zu können, ist die Ampel-Regierung auf Stimmen aus der Union angewiesen. "Wir sind dazu in guten Gesprächen, auch mit Ihrer Partei, lieber Herr Merz", umwarb der Kanzler deren Fraktionschef im Plenum. Doch Friedrich Merz (CDU) wies die verbale Umarmung des Kanzlers umgehend zurück: "Ob das gute Gespräche sind, sei einmal dahingestellt. Wir sind uns jedenfalls bisher nicht einig."

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Die Union möchte auch eine jährliche Investition von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung festschreiben. Die Verzögerungen beim Sondervermögen seien jedoch nicht seiner Fraktion anzulasten, bemerkte Merz. "Den Widerspruch gibt es nicht von uns, den gibt es von Ihrer Regierungsfraktion." Der CDU-Politiker kritisierte zudem, dass aus Deutschland in den vergangenen Wochen so gut wie keine Waffen an die Ukraine geliefert worden seien. Auch einen Vorschlag zur geplanten Änderung des Beschaffungswesens für die Bundeswehr bleibe die Koalition schuldig. Sein Fazit: "Praktische Politik sehen wir bisher nicht."