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Parlamentarisches Profil : Der Hannoveraner: Adis Ahmetovic

Die Eltern von Adis Ahmetovic (SPD) flohen einst vor dem Jugoslawien-Krieg. Heute engagiert sich der 28-Jährige im Bundestag unter anderem für Bildungsgerechtigkeit.

27.06.2022
2024-03-05T13:48:49.3600Z
3 Min

Ins Plaudern kommt man mit ihm leicht. Vielleicht liegt es an der Haartolle, die frech nach oben strebt, an den für einen Abgeordneten eher jungen 28 Jahren - oder daran, dass Adis Ahmetovic nicht nur kaum auf den Mund gefallen ist, sondern auch etwas zu sagen hat.

Foto: Fionn Grosse

Der Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic ist 28 Jahre alt und Co-Vorsitzender der SPD Hannover.

Es ist 10 Uhr, er schaltet sich per Zoom zu, aus der Zentrale der Friedrich-Ebert-Stiftung, eine Konferenz: Es geht um die "Zeitenwende", die Kanzler Olaf Scholz ausgerufen hat, sie ist Ahmetovic ein Herzensanliegen. "Wir müssen einiges korrigieren", sagt er, "Zeitenwende bedeutet auch eine neue Europapolitik". Und verweist auf Jahrzehnte, in denen Europa die osteuropäischen Regionen teils vernachlässigt und ein Vakuum geschaffen habe, das von anderen, meist autoritären Staaten gefüllt werde. Ahmetovic sitzt seit 2021 im Bundestag, er ist im Auswärtigen Ausschuss.

Lange von Abschiebung bedroht

Dass die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten soll, findet er "richtig". Kein EU-Mitglied sei bisher Opfer eines Angriffskrieges geworden, sagt er. Aber, möchte man einwenden, stößt es ihm nicht bitter auf, ihm, der seit langem auch für Bosnien-Herzegowina gleiches fordert? Dass die Ukraine nun rasch vorbeiziehen würde? Seine Antwort klingt diplomatisch geschult: "Nein, grundsätzlich lernen wir aus den Fehlern der Vergangenheit. Da zeichnet sich jetzt eine historische Chance ab, auch für den Westbalkan." Außerdem, fügt er hinzu, bedeute ein Kandidatenstatus nicht, dass es auch eine beschleunigte Aufnahme gebe.


„Entweder man gibt sich der Abschiebungsgefahr hin und verzweifelt oder entscheidet sich, selbst zu gestalten.“
Adis Ahmetovic, SPD

Ahmetovic bezeichnet sich als "Kind der Sozialdemokratie". Da war zum Beispiel ein Sozialdemokrat namens Matthias Miersch, der als Anwalt seiner Familie half, nicht abgeschoben zu werden: 1992 waren die Ahmetovics aus dem Jugoslawienkrieg geflohen, ein Jahr später kam Adis zur Welt. Der Aufenthalt war lange gefährdet, über zehn Kettenduldungen erlebte allein der Junge. Miersch ist ebenfalls Bundestagsabgeordneter geworden und heute stellvertretender Fraktionsvorsitzender - und Ahmetovics Biografie schrie nach einem politischen Engagement. "Entweder man gibt sich der Abschiebungsgefahr hin und verzweifelt oder entscheidet sich, selbst zu gestalten", sagt er im Rückblick. Und zählt auf, was ihn neben Anwalt Miersch noch in die Arme der SPD brachte: "Da ist die Bildungsgerechtigkeit, die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts und eben die Möglichkeit, dass sich in der Partei Arbeiterkinder nach oben arbeiten." Sein Vater war in Kotor Varos in Bosnien und Herzegowina Verwaltungsjurist gewesen, in Hannover schlug er sich auf dem Bau und als Lagerist durch; die Mutter arbeitete als Reinigungskraft.

Junge Hoffung der SPD

Bildung, das wurde dem jungen Adis klar, war ein Schlüssel. Das erfuhr er in der neunten Klasse, "damals erhielt ich einen blauen Brief nachhause, ich war kein guter Schüler", sagt er. Er sah die enttäuschten Eltern: "Warum bringst du nicht die Leistungen, die du bringen kannst?", hätten sie gefragt. Daraufhin sei er in eine Bibliothek gegangen, habe in einem Buch von Willy Brandt gestöbert - und seine Leidenschaft für Literatur entdeckt. Brandt half zwar nicht bei Exponentialrechnung direkt, aber Ahmetovics Engagement stieg - und damit auch der Notenschnitt beachtlich.

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Der Schüler wurde Klassensprecher, trat bei den Jusos ein. Studierte Politik-Wirtschaft und Germanistik in seiner Heimatstadt, arbeitete nebenbei für Abgeordnete - und wurde mit 23 Büroleiter sowie später persönlicher Referent von Stephan Weil, dem Ministerpräsidenten und SPD-Landesvorsitzenden. "Anfangs sagte ich zu ihm, wie unglaublich ich es finde, dass er mir all das zutraut", erinnert er sich. "Und er antwortete: 'Adis, es gibt eine Probezeit.'" Die überstand er. War vorher Juso-Chef der Region Hannover geworden, 2020 wählte man ihn zum Co-Vorsitzenden der SPD Hannover. Er galt als Mitreißer, als junge Hoffnung. Und kam dann schnell in die Verantwortung. Der Wahlkreis wurde frei, nach Zögern bewarb er sich: "Ich wollte aber keinen sicheren Listenplatz, sondern habe gesagt, ich möchte es auch ohne sicheren Listenplatz schaffen, also 'all in'". Das klappte, er gewann die Erststimmen im Wahlkreis Stadt Hannover 1. Seine Reise geht weiter.