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Lobbyregister beim Bundestag : Lobbyisten auf den Listen

Seit sechs Monaten ist das neue Lobbyregister online. Es soll Interessenvertretung gegenüber Bundestag und Bundesregierung nachvollziehbarer machen.

11.07.2022
2024-03-18T08:49:48.3600Z
7 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Jörg Carstensen

Aktivisten von "Lobbycontrol" demonstrieren im vergangenen Herbst vor dem Reichstagsgebäude in Berlin für schärfere Transparenzregeln.

Seit gut einem halben Jahr ist das am 1. Januar an den Start gegangene Lobbyregister für Bundestag und Bundesregierung online geschaltet, und mittlerweile umfasst es rund 4.900 aktive Interessenvertreter, darunter knapp 4.200 juristische sowie 269 natürliche Personen, 165 Personengesellschaften und 208 "Netzwerke, Plattformen und andere Formen kollektiver Tätigkeit". Mehr als 27.900 Personen sind danach berechtigt, beim Bundestag und bei der Bundesregierung Interessenvertretung auszuüben, darunter gut 15.300 (gesetzliche) Vertreter der registrierten Organisationen und gut 12.300 benannte Beschäftigte, die die Interessenvertretung unmittelbar ausüben.

Zum Vergleich: Die seit 1972 bis Ende 2021 beim Bundestag geführte "öffentliche Liste" wies mit Stand vom 13. Dezember vergangenen Jahres 2.238 registrierte Verbände aus, die auf Bundesebene Lobbyarbeit betrieben. Anders als beim neuen Lobbyregister war der Eintrag in diese Liste allerdings freiwillig. Auch beschränkte sich die Eintragung auf überregionale Verbände, während Einzelunternehmen oder -personen ebenso wie etwa regionale Organisationen außen vor blieben, desgleichen Angaben zur Finanzierung oder Auftraggebern - in den Augen vieler Kritiker ein zahnloser Tiger.

Lobbyismus gehört zum Wesen der repräsentativen Demokratie

Dass versucht wird, bestimmte Interessen beim Parlament als Gesetzgeber und der Regierung, von der die allermeisten Gesetzentwürfe stammen, geltend zu machen, gehört zum Wesen der repräsentativen Demokratie, die vielfältige und oft gegensätzliche Positionen im Sinne des Gemeinwohls auszutarieren hat und dabei auch auf solche Rückkopplungen angewiesen ist. Bleibt jedoch unklar, wer wie und mit welchem Aufwand den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess politisch Verantwortlicher zu beeinflussen sucht, nimmt das Vertrauen der Bevölkerung in das parlamentarische System Schaden. Transparenz tut also not, und erklärtes Ziel des Lobbyregisters ist es, Strukturen der Einflussnahme von Lobbyisten auf den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess durchschaubarer zu machen.

Schon die Statistiken auf der Startseite des von der Bundestagsverwaltung online geführten Registers bieten interessante Einblicke: Danach handelt es sich bei gut 28 Prozent der Akteure um Unternehmen und bei fast 23 Prozent um "privatrechtliche Organisationen mit Gemeinwohlaufgaben", wie beispielsweise eingetragene Vereine oder Stiftungen; rund 15 Prozent sind ein Wirtschafts- oder Gewerbeverband, etwa zehn Prozent ein Berufsverband und fast ebenso viele eine "nichtstaatliche Organisation (Nichtregierungsorganisation, Plattform oder Netzwerk)". Bei den angegebenen Interessenbereichen liegt "Wirtschaft" mit 46 Prozent vor "Umwelt" mit 41 Prozent und "Wissenschaft, Forschung und Technologie" mit 33 Prozent.

Die Versicherungswirtschaft weist die höchsten Aufwendungen auf

Und wer wendet am meisten Geld für seine Interessensvertretung auf? Wenige Klicks auf der öffentlich zugänglichen Website des Registers geben die Antwort: Von allen Akteuren hat der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mit 15,04 Millionen bis 15,05 Millionen Euro für das vergangene Jahr die höchsten Aufwendungen ausgewiesen. Auf Platz zwei liegt der Verbraucherzentrale Bundesverband mit 11,05 Millionen bis 11,06 Millionen Euro im Jahr 2021. Oder die Aktiengesellschaften: Hier lag im vergangenen Jahr Volkswagen mit 6,49 Millionen bis 6,5 Millionen Euro vor der Mercedes-Benz Group mit 4,08 Millionen bis 4.09 Millionen Euro und der Deutschen Bank mit 3,57 Millionen bis 3,58 Millionen Euro.

Solche Angaben waren bislang öffentlich nicht zu haben; nun müssen Lobbyisten in dem Register die jährlichen finanziellen Aufwendungen im Bereich der Interessenvertretung in Stufen von jeweils 10.000 Euro offenlegen, ebenso wie Jahresabschlüsse oder Rechenschaftsberichte sowie Angaben zu Zuschüssen und Zuwendungen der öffentlichen Hand und zu Schenkungen. Verweigern sie dies - was bislang bei knapp 670 der Fall ist -, wird dies in einer "schwarzen Liste" veröffentlicht; auch kann der Bundestag sie von der Erteilung eines Hausausweises ausschließen. Zudem soll an öffentlichen Anhörungen des Bundestags nur teilnehmen können, wer keine Angaben verweigert hat.

Die Registrierungspflicht gilt für Lobbyismus beim Parlament und der Regierung

In das Register einzutragen sind zudem neben Namen und Anschriften sowie einer Beschreibung des Tätigkeitsbereiches auch Angaben zur Struktur des Verbandes, Vereins oder Unternehmens, wie etwa zu Vorstand, Geschäftsführung oder Mitgliederzahl, ferner unter anderem die Zahl der Beschäftigten im Bereich der Interessenvertretung in Stufen von je zehn Mitarbeitern.

Wer ein Lobbyregister hat

Regeln weltweit Unterschiedliche Regelungen zu Lobbyregistern gibt es etwa in Belgien, Frankreich, Irland, Kanada, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, Slowenien und den USA (Stand: April 2020). Parlament, Rat und Kommission der EU führen gemeinsam ein Transparenzregister.

Regeln in Deutschland Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben verschiedene Bestimmungen zu Lobbyregistern (Stand März 2022).



Die Registrierungspflicht gilt - mit Ausnahmen - für alle, die gegenüber dem Bundestag, seinen Organen, Mitgliedern und Fraktionen sowie der Bundesregierung bis zur Ebene der Unterabteilungsleiter Interessenvertretung ausüben. Sie greift unter anderem, wenn die Interessenvertretung regelmäßig betrieben wird oder auf Dauer angelegt ist, geschäftsmäßig für Dritte betrieben wird oder wenn innerhalb der letzten drei Monate mehr als 50 unterschiedliche Kontakte zur Vertretung von Interessen aufgenommen wurden.

Bei der Pflicht zur Registrierung gibt es zahlreiche Ausnahmen

Die Definition von Interessenvertretung ist im Lobbyregistergesetz weit gefasst; verstanden wird darunter "jede Kontaktaufnahme zum Zweck der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme auf den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess" von Bundestag und Bundesregierung. Und als Interessensvertreter werden neben natürlichen und juristischen Personen auch "Personengesellschaften oder sonstige Organisationen, auch in Form von Netzwerken, Plattformen oder sonstigen Formen kollektiver Tätigkeiten" definiert, die solche Kontaktaufnahmen betreiben oder in Auftrag geben.

Dieser weiten Definition stehen - mit unterschiedlichen Begründungen - zahlreiche Ausnahmen von der Registrierungspflicht gegenüber. So gilt sie etwa wegen der in Verfassungsartikel 9 normierten Tariffreiheit nicht für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, die Einfluss auf Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nehmen wollen, oder wegen der in Grundgesetz-Artikel 5 verankerten Glaubensfreiheit nicht für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Ebenso von der Registrierungsplicht ausgenommen sind die kommunalen Spitzenverbände oder politische Stiftungen, aber auch etwa anerkannte nationale Minderheiten wie Sorben oder Dänen.

Bei Verstößen droht eine Geldbuße von bis zu 50.000 Euro

Nach Inkrafttreten des Lobbyregistergesetzes zum Jahresbeginn blieben den bereits aktiven Lobbyisten als Übergangsfrist noch zwei Monate Zeit, um sich in das Online-Register einzutragen. Seit Anfang März muss, wer gegenüber Bundestag oder Bundesregierung Interessen vertreten will, sich zuvor registrieren lassen. Verstöße gegen die Registrierungspflicht sowie unrichtige, unvollkommene oder verspätet aktualisierte Angaben werden als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 50.000 Euro geahndet. Definiert sind ferner verpflichtende "Grundsätze integrer Interessenvertretung", nämlich "Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit und Integrität".

Als die große Koalition das neue Lobbyregistergesetz am 25. März 2021 gegen die Stimmen der AfD bei Enthaltung der übrigen Fraktionen durchsetzte, war darum im Parlament schon mehr als ein Jahrzehnt gerungen worden, doch hatte keiner der Oppositionsanträge und -Gesetzentwürfe eine Mehrheit gefunden. Vor allem die CDU/CSU-Fraktion hatte stets auf dem Bremspedal gestanden, während auch die SPD für eine solche Regelung eingetreten war.

Affären um Amthor, Maskengeschäfte und die Aserbaidschan-Connection sorgten für Druck  

Auch in der 19. Legislaturperiode legte die Opposition Initiativen zur Einführung eines über die Verbände-Liste hinausgehenden, verbindlichen Lobbyregisters vor - Die Linke bereits direkt zum Beginn der Wahlperiode im Oktober 2017, die Grünen im Februar 2018 und die FDP im Dezember 2019. Die Koalition ließ diese Vorlagen zunächst "schmoren", doch nachdem die Affäre um die im März 2020 publik gewordene und danach beendete Lobbyistentätigkeit ihres Abgeordneten Philipp Amthor für ein US-Unternehmen der Union unschöne Schlagzeilen bescherte, brachte das Regierungsbündnis im September einen eigenen Gesetzentwurf für ein Lobbyregister ein, zeitgleich mit der AfD.

Wirkte die öffentliche Aufregung um Amthor in den Augen vieler als Katalysator für einen Kurswechsel der Union, galt dies umso mehr für die "Maskenaffäre" und die "Aserbaidschan-Connection" von CDU- und CSU-Abgeordneten. Diese Affären sorgten im März 2021 nicht nur im Bundestag für viel Wirbel mit Mandatsniederlegungen und Parteiaustritten, ließen aber auch - ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl - die Forderungen nach schärferen Transparenzregeln im Parlament mächtig anschwellen. Und nachdem der ursprüngliche Koalitionsentwurf des Lobbyregistergesetzes nur auf Interessenvertretung gegenüber dem Parlament gezielt hatte, wurde in den parlamentarischen Beratungen auch die Lobbytätigkeit gegenüber der Bundesregierung in das Regelwerk einbezogen; drei Monate danach zog der Bundestag mit einer deutlichen Verschärfung der Verhaltensregeln für Abgeordnete eine weitere Konsequenz aus den Affären.

Abgeordnete sind laut Grundgesetz "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden"

An denen hätte freilich das Lobbyregister wenig geändert, da es den Volksvertretern anders als die Verhaltensregeln keine Verpflichtungen auferlegt. Ihnen etwa die Offenlegung ihrer Kontakte vorzuschreiben, dürfte kaum mit dem im Grundgesetz-Artikel 38 garantierten "freien Mandat" vereinbar sein, demzufolge sie "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind.

Gleichwohl wurde das Lobbyregistergesetz wie das novellierte Abgeordnetengesetz auch von Organisationen wie "Lobbycontrol" als klare Stärkung von Transparenz und Integrität in der Politik begrüßt. Gänzlich zufrieden mit dem Registergesetz sind indes weder die Transparenzorganisationen noch die damalige Opposition und auch nicht die an dem Werk beteiligte SPD-Fraktion.

Kritiker vermissen den "legislativen Fußabdruck" bei der Vorlage von Gesetzentwürfen

Den Kritikern fehlt unter anderem der "legislative" oder "exekutive Fußabdruck", mit dem sich Gesetzentwürfen entnehmen ließe, welche Interessenvertreter oder externe Berater an der jeweiligen Vorlage mitgewirkt haben. Sauer stoßen ihnen auch die Ausnahmeregeln etwa für die Tarifpartner und die Kirchen auf, und Interessenvertretung gegenüber der Bundesregierung wollen viele nicht auf Kontakte bis hinunter zu Unterabteilungsleitern begrenzen, sondern auch Referatsleiter und Referenten einbeziehen.

Ende 2021 brachte die Linksfraktion einen Antrag ein, das Lobbyregistergesetz entsprechend zu verschärfen; auch soll die Bundesregierung danach den "legislativen Fußabdruck" einführen. Das will auch die AfD-Fraktion, die dazu im April einen Gesetzentwurf vorlegte.

In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die "Ampel"-Koalition Nachbesserungen

Dabei sind solche Forderungen alles andere als unumstritten. Die Kirchen etwa können laut Bundesverfassungsgericht grundsätzlich selbst verbindlich entscheiden, was sie als spezifisch kirchliche Aufgaben definieren. Das umfasst auch karitative Tätigkeit, was ihre Einbeziehung in die Registrierungspflicht etwa in ihrer Rolle als Arbeitgeber schwierig macht. Der legislative Fußabdruck wiederum kann der Bundesregierung, so die Gegenargumentation, aufgrund deren in Verfassungsartikel 65 festgeschriebenen Geschäftsordnungsautonomie nicht vorgeschrieben werden.

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Seine Einführung steht aber ohnedies auf ihrem Arbeitsprogramm: "Für Gesetzentwürfe der Bundesregierung und aus dem Bundestag werden wir Einflüsse Dritter im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben und bei der Erstellung von Gesetzentwürfen umfassend offenlegen", heißt es dazu im Koalitionsvertrag und SPD, Grünen und FPD mit der Einschränkung, dass die Regelung ihre Grenzen in der Freiheit des Mandats finde. Und auch das Lobbyregistergesetz, ist dort weiter zu lesen, wollen die drei Koalitionsparteien "nachschärfen, Kontakte zu Ministerien ab Referentenebene einbeziehen und den Kreis der eintragungspflichtigen Interessenvertretungen grundrechtsschonend und differenziert erweitern". Das Register steht also so oder so schon direkt nach seiner Einführung weiter auf der politischen Agenda.