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Seelische Gesundheit : "Viele Arbeitnehmer überfordern sich vor dem Urlaub"

Der Urlaub ist als Auszeit für das psychische und physische Wohlbefinden von großer Bedeutung, erklärt Arbeitspsychologin Carmen Binnewies im Interview.

25.07.2022
2024-03-14T13:13:41.3600Z
7 Min

Frau Binnewies, wie wichtig ist der Urlaub für die seelische Gesundheit?

Carmen Binnewies: Aus psychologischer Sicht ist der Urlaub als Pause von der Arbeit bedeutsam. Es ist ein Gegenpol zur Arbeit, die uns ja nicht immer gefällt, die anstrengend ist, Energie und Kraft kostet. Dafür braucht es einen Ausgleich. Körper und Geist müssen sich regenerieren können. Dafür leistet der Urlaub einen wichtigen Beitrag.

Foto: Michael Mücke/WWU

Carmen Binnewies leitet den Bereich Arbeitspsychologie am Institut für Psychologie der Universität Münster.

Was spricht dafür, sich auf eine Urlaubsreise zu begeben?

Carmen Binnewies: Die Urlaubsforschung zeigt, dass es eigentlich keinen Unterschied macht, ob man wegfährt oder nicht. Man kann sich im Prinzip zu Hause genauso erholen wie auf Reisen. Allerdings fällt es Menschen leichter, auf Urlaubsreisen psychisch abzuschalten, weil viele neue Eindrücke entstehen. Reisen an sich ist für die Gesundheit nicht in jedem Fall von Vorteil, weil die Varianz groß ist, denn nicht jede Reise ist auch erholsam. Verreisen ist mit Stressfaktoren verbunden. Am Ende kommt es auf die individuell erlebte Qualität des Urlaubs an.

Gilt das auch für das Homeoffice?

Carmen Binnewies: Die Trennung zwischen Arbeit und Privatem geht im Homeoffice natürlich ein Stück weit verloren. Daher ist das Abschalten zu Hause schwieriger, als wenn jemand wegfährt. Metaanalysen zeigen aber, dass sowohl zu Hause wie auch auf Reisen eine Erholung möglich ist. Wenn Leute aber während des Urlaubs zu Hause nicht viel ändern im Alltag, können sie sich auch nicht erholen. Aus psychologischer Sicht ist es wichtig, zu Hause neue Erlebnisse zu schaffen, etwa bei Ausflügen, Treffen mit Freunden oder Unternehmungen mit Kindern.

Was ist mit Menschen, die aus Geldnot nicht verreisen können?

Carmen Binnewies: Das ist natürlich keine einfache Lage. Der entscheidende Befund ist aber, wie zufrieden jemand in der freien Zeit zu Hause ist. Bei Menschen, die ständig damit hadern, dass sie nicht verreisen können, die deswegen traurig sind, kann sich die Stimmung in der Urlaubszeit deutlich eintrüben. Manche Menschen, die Geldmangel haben, entwickeln aber Strategien, wie sie damit umgehen können und machen in der Not das Beste daraus.

Ist Urlaub letztlich doch Luxus?

Carmen Binnewies: In einer epidemiologischen Studie aus Skandinavien wurden Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen analysiert, also Herzproblemen. Die Probanden wurden über viele Jahre hinweg von Forschern begleitet. Die Wissenschaftler haben dabei verschiedene medizinische Faktoren kontrolliert, aber auch, ob sich die Probanden genügend Zeit nehmen für Urlaub und Erholung. Diejenigen Studienteilnehmer, die wenig oder gar keinen Urlaub gemacht haben, sind laut dieser Stichprobe eher gestorben. Insoweit ist Urlaub kein Luxus, sondern ein wichtiger Teil unserer Gesundheit.


„Je mehr die Leute im Urlaub mailen oder chatten, desto schlechter ist es für das psychische Abschalten.“
Arbeitspsychologin Carmen Binnewies

Macht es einen Unterschied, ob jemand ein Wochenende unterwegs ist oder drei Wochen?

Carmen Binnewies: Die Forschung sagt dazu, dass die Länge des Urlaubs für den Effekt keine Rolle spielt. Es gibt dazu allerdings nicht so viele Daten. In den meisten Studien wird davon ausgegangen, dass die Menschen im Jahr mindestens eine Woche Urlaub machen sollten. Es gibt Indikatoren, die dafür sprechen, dass auch Kurzurlaube gut sind für die Erholung. Entscheidend ist nicht die Länge, sondern wie der Urlaub erlebt wird. Mehrere Kurzurlaube könnten sogar günstiger sein, weil der erstrebte Urlaubseffekt jeweils nicht so lange anhält.

Manche Leute sitzen im Urlaub ständig am Handy und lesen Mails vom Chef. Was raten sie denen?

Carmen Binnewies: Wir haben die Kommunikation von Urlaubern analysiert und festgestellt, je mehr die Leute im Urlaub mailen oder chatten, desto schlechter ist es für das psychische Abschalten. Bei arbeitsbezogenen Kontakten ist das nachvollziehbar, aber auch private Kontakte nach Hause waren nicht gut für das erhoffte Abschalten vom Alltag. Also je weniger solche Kommunikation, desto besser. Es kann aber natürlich in bestimmten Berufen sinnvoll sein, auch im Urlaub mal ans Handy zu gehen und Informationen abzurufen. Die Studien haben im Übrigen gezeigt, dass die gemäßigte Nutzung von sozialen Netzwerken im Internet für die Erholung eher unschädlich ist, dafür aber oft schlechte Laune verbreitet, weil die Leute dazu tendieren, sich mit anderen Menschen zu vergleichen, denen es vermeintlich besser geht.

Es gibt Arbeitnehmer, die werden pünktlich zum Urlaub plötzlich krank. Was ist da los?

Carmen Binnewies: Dieses Phänomen nennt sich in der Medizin Leisure Sickness (Freizeitkrankheit) und ist recht typisch. Der Körper setzt, evolutionär bedingt, in einer Stressphase, in dem Fall bei der Arbeit, schützende Hormone frei. Wenn die Hormonausschüttung im Urlaub dann nachlässt, wird auch das Immunsystem schwächer. Viele Arbeitnehmer überfordern sich regelmäßig vor dem Urlaub, weil sie unbedingt noch alles Mögliche schnell erledigen wollen. Das rächt sich dann.

Kann Urlaub einen Burnout verhindern?

Carmen Binnewies: Nein. Ausgebrannte Menschen sind am Ende ihrer Kräfte, die sind nach eigener Schilderung oft so müde, dass sie nicht mehr schlafen können. Die haben nicht mehr die Kraft, sich gut zu erholen. Aus psychologischer Sicht fehlt es diesen Menschen an Selbstregulation. In dem Fall hilft auch kein Urlaub, um aus dem Burnout, der oft von einer Depression begleitet wird, wieder herauszukommen. Es kann sogar sein, dass depressive Menschen, wenn sie zur Ruhe kommen, erst dann realisieren, wie schlecht es ihnen eigentlich geht.


„Letztlich ist es für die Psyche auch ein gesunder Mechanismus, bestimmte Dinge vorübergehend auszublenden.“
Arbeitspsychologin Carmen Binnewies

Manche Leute planen Reisen in ferne Länder und muten sich viel zu. Wie groß ist das Risiko, von der Reisefreude in den Reisestress abzugleiten?

Carmen Binnewies: Reisen kann tatsächlich sehr stressig sein, sodass sich am Ende kein Nettoeffekt bei der Erholung ergibt. Aber es gibt eben auch Lebensträume, die wollen sich manche Leute unbedingt erfüllen, das kann anstrengend sein, aber auch für ein ganzes Leben prägend. Insofern kann auch ein stressiger Urlaub legitim sein. Es gibt im Übrigen eine Tendenz, bestimmte negative Erfahrungen im Urlaub im Nachhinein positiv umzudeuten.

Wie gehen Menschen damit um, dass ihre Fernreise der Umwelt schadet oder das Zielland eine Diktatur ist?

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Carmen Binnewies: Das Umweltbewusstsein ist zuletzt noch stärker in den Fokus gerückt. Das kann psychisch belastend sein, aber viele Menschen verdrängen das im Urlaub. Letztlich ist es für die Psyche auch ein gesunder Mechanismus, bestimmte Dinge vorübergehend auszublenden. Das heißt aber nicht, dass Leute völlig gedankenlos durch diese Welt fahren sollten. Sie können sich vor Ort schon mit den dortigen Problemen auseinandersetzen. Es ist aber schwierig, anderen Leuten für ihre Reiseplanung etwas vorzuschreiben. Moral- und Wertevorstellungen sind sehr persönlich. Wir würden ja auch niemandem vorschreiben, was er essen soll. Niemand ist perfekt.