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Foto: picture-alliance/ZB/euroluftbild.de/Daniel Reiter
Motor München: Besonders die Autobauer machten die bayrische Landeshauptstadt zum Spitzenreiter der Wirtschaft in Deutschland.

Zwischen Main und Isar : Der starke Süden

München, Stuttgart, Rhein-Main-Gebiet: Die Metropolregionen sind Deutschlands erfolgreichste Wirtschaftszentren. Doch warum ausgerechnet diese Standorte?

22.08.2022
2024-03-04T11:11:00.3600Z
7 Min

München ist und bleibt Spitzenreiter: Seit Jahren führt die bayrische Landeshauptstadt den Städtetest an, den die "Wirtschaftswoche", Immobilienscout24 und das Institut für Wirtschaft (IW) Köln regelmäßig erheben und so die wirtschaftsstärksten Standorte in Deutschland ermitteln. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgen traditionell Erlangen, Ingolstadt, Stuttgart und Frankfurt am Main. Bewertet werden dabei unter anderem die Wirtschaftsstruktur eines Standortes, der Arbeitsmarkt, die Lage auf dem Immobilienmarkt und die Lebensqualität.

Die Metropolregionen im Süden Deutschlands sind seit einigen Jahrzehnten die erfolgreichsten Wirtschaftszentren. Große, sehr erfolgreiche und umsatzstarke Branchen wie die Automobilindustrie, die Automatisierungstechnik oder die Pharmaindustrie sind dort vertreten.

Städte im Vorteil gegenüber ländlichen Regionen

Doch warum ausgerechnet diese Standorte? Schließlich gilt für viele urbane Zentren, dass sie gegenüber eher ländlichen Regionen im Vorteil sind: In der Regel sind dort die Verkehrsanbindungen besser, es gibt eine engmaschigere Versorgung mit den Dingen des alltäglichen Bedarfs, das kulturelle und schulische Angebot ist breiter, es gibt mehr Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, der Ausbau der Infrastruktur wie zum Beispiel beim Breitbandinternet ist stärker vorangeschritten als auf dem "platten Land". Doch diese sogenannten Urbanisationsfaktoren haben viele deutsche Großstädte gemein; das erklärt noch nicht, warum gerade die oben genannten Metropolen so viel attraktiver für Unternehmensansiedlungen sind als andere Standorte.

Eine mögliche Erklärung ist erstmal eine historische Herleitung: "Die hohe Unternehmensdichte in Süddeutschland rührt zum Teil aus der Nachkriegsgeschichte her. Damals haben sich Unternehmen, die aus der sowjetischen Besatzungszone geflohen sind, häufig dort niedergelassen. Das waren zum Beispiel Audi mit Wurzeln in Zwickau/Chemnitz oder BMW mit Wurzeln in Eisenach.", sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts. Ragnitz nennt diese Faktoren eine "Zufälligkeit" die zur Expansion süddeutscher Standorte beigetragen habe.

Wohlstands-Treiber nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Autoindustrie

Bayern sei nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch "Entwicklungsland" gewesen, sagt Martin Gornig, Forschungsdirektor für Industriepolitik in der Abteilung Unternehmen und Märkte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Zu dieser Zeit war noch das Ruhrgebiet das Zentrum der deutschen Industrie. Der technologische Wandel von der Stahl- zur Autoindustrie aber habe dann Bayern und Baden-Württemberg nach vorne gebracht.

Technologiesprünge seien immer eine Chance für eine Region, zum Zentrum zu werden, so Gornig: "Es muss sich ein technologischer Wandel ergeben und dann müssen die Regionen auch zuschlagen.". Damals sei das in München auch durch die groß angelegte Erschließung von Flächen geschehen, mit der man die Ansiedlung von Unternehmen und deren Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter erleichtert habe.

Mehr Geld für Forschung und Investitionen 

In den Wirtschaftswissenschaften spricht man von "Ökosystemen", wenn sich in bestimmten Regionen Betriebe der gleichen Branche ansiedeln, weil dort ihre Bedürfnisse leicht erfüllt werden. Wenn also in Baden-Württemberg die Bedingungen für Autobauer gut sind, weil sich dort auch Zulieferer oder Forschungsinstitute niedergelassen haben, genügend Fachkräfte und Infrastruktur vorhanden sind oder die Behörden dort aufgrund einer langjährigen Erfahrung zügig Anträge bearbeiten, dann sei es für ein Unternehmen attraktiver, sich dort niederzulassen, als in einer Region, in der all dies nicht gegeben ist, erklärt Michael-Jörg Oesterle von der Universität Stuttgart. Der Wirtschaftswissenschaftler forscht unter anderem zu internationalem und strategischem Management, Aufbau-Organisation und Markteintrittsformen.


„Erfolg in der Vergangenheit ist kein Garant für zukünftigen Erfolg.“
Michael-Jörg Oesterle, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Stuttgart

Hinzu kommt: Wenn Unternehmen wachsen, investieren sie selbst in Forschung. Das bedingt eine stärkere Konzentration von Exzellenz an den Standorten, was wiederum weitere Forschung begünstigt. Wissenschaftler Ragnitz fasst es so zusammen: "Mit zunehmender Unternehmensgröße steigt häufig die Produktivität in diesem Unternehmen, so dass mehr Geld für Forschung und Investitionen vorhanden ist. Das steigert dann das Wachstum noch einmal mehr." Es gebe also "Pfadabhängigkeiten": Dort, wo es größere Unternehmen gebe, würden diese in der Tendenz noch größer. Damit steige dann auch die Attraktivität einer Region für Arbeitskräfte, so dass es zu Zuzug kommen könne. Auch das könne dazu beitragen, dass wirtschaftlich attraktivere Standorte noch attraktiver werden, so Ragnitz.

Neue Technologien als neue Chance

Eine Möglichkeit für bislang eher strukturschwächere Regionen ergibt sich deshalb aus den von Gornig angesprochenen Technologiesprüngen. Dies ist gut zu sehen bei den Ansiedlungen des Elektroautobauers Tesla in Brandenburg oder des Chipherstellers Intel in Sachsen-Anhalt: In Deutschland gibt es bislang kein Zentrum, das speziell für diese Branchen Infrastruktur bietet, weshalb dies kein Faktor für die Unternehmen ist, sich einen Standort auszusuchen. In diesem Fall werden andere Punkte für die Entscheidung interessanter, wie zum Beispiel niedrigere Lohnkosten und Gewerbesteuern oder billigere Flächen, wie es sie in den Ballungsgebieten im Süden weniger gibt als im Osten oder Norden Deutschlands.

Neue Technologien sind also nicht nur eine Chance für bislang strukturschwächere Regionen, sondern können auch zur Gefahr für die bislang so erfolgreichen Standorte werden, da sind sich die Experten Goring, Ragnitz und Oesterle einig: "Erfolg in der Vergangenheit ist kein Garant für zukünftigen Erfolg", sagt Oesterle. Das habe man im Laufe des 20. Jahrhunderts an den Hansestädten wie Bremen beobachten können. Dort habe man sich zu lange auf den einstmals florierenden Handel und den Schiffsbau verlassen. Als deren Zeit vorbei war, ging auch die wirtschaftliche Leistungskraft zurück.

Einmal strukturschwach, immer strukturschwach?

Ein aktuelles Beispiel, auf das der Stuttgarter Wirtschaftsprofessor verweist, sind die unlängst im baden-württembergischen Landtag diskutierten rückläufige Zahlen bei der Ansiedlung ausländischer Firmen. Ende Juni wurden bei einer Debatte im Landtag Zahlen genannt: Von 75 Anfragen ausländischer Firmen im Jahr 2017 kam es bei 18 zu einer Ansiedlung, das entspreche einer Erfolgsquote von 24 Prozent, rechnete der Liberale Abgeordnete Niko Reith damals vor. Im Jahr 2019 seien es bei 101 Anfragen nur 17 Ansiedlungen gewesen, also eine Erfolgsquote von 17 Prozent.

Die Landesregierung habe es verpasst, lukrative Unternehmen ins Bundesland zu holen, lauten die Vorwürfe aus der Opposition an die schwarz-grüne Koalition. So hätten auch Tesla und Intel Interesse an Standorten in Baden-Württemberg Interesse gehabt, doch man habe die Chance vertan, die Firmen ins Ländle zu holen. Daraufhin räumte auch Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) ein, dass man sich wieder verstärkt um die Ansiedlung bemühen müsse. Bei den momentan aufstrebenden Branchen wie zum Beispiel den erneuerbaren Energien seien Regionen am Meer natürlicherweise im Vorteil, so Hoffmeister-Kraut.

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Doch der Dresdner Ragnitz gibt zu bedenken, dass Strukturwandel, wenn er denn gelingt, nur sehr langsam vorangehe: "Das klappt nur bei Neuansiedlungen. Dass sich Unternehmen einen neuen Standort suchen, kommt so gut wie nie vor. Verständlicherweise, denn ein Großteil der Fachkräfte würde dann nicht mitziehen und das Unternehmen würde einen deutlichen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit erleiden." Deswegen seien die heutigen strukturschwachen Regionen weitgehend dieselben, die es auch vor 60 Jahren schon waren. "Und es wird sich daran voraussichtlich in den nächsten 60 Jahren nichts ändern", prognostiziert Ragnitz. Selbst die vieldiskutierten, aber wenigen neuen Großansiedlungen, wie die von Tesla in den neuen Bundesländern würden daran nichts Grundlegendes ändern.

Oesterle glaubt schon, dass es gelingen kann, wenn sich eine Region technologieoffen zeige und bereit sei, sich auf den erforderlichen Wandel einzustellen. Doch selbst dann dauere es in der Regel Jahrzehnte, bis man einen so nennenswerten Erfolg erreicht habe wie die Spitzenreiter im südlichen Deutschland.