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Interview : "Wir müssen in Europa mit einer Stimme sprechen"

Der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter sieht die Kriegsgefahr in der Ukraine nicht gebannt. Im Umgang mit Russland fordert er Diplomatie und Härte.

21.02.2022
2024-02-23T10:14:24.3600Z
5 Min

Herr Kiesewetter, Russlands Präsident Wladimir Putin behauptet, sein Land ziehe Truppen von der Grenze zur Ukraine ab. Den USA zufolge baut Russland seine Truppenpräsenz im Grenzgebiet aber weiter aus. Wie sind diese Widersprüche zu erklären?

Roderich Kiesewetter: Putin lässt den Westen bewusst im Unklaren. Er stellt die öffentlichen Signale auf Entspannung, rüstet aber in Wirklichkeit weiter auf. Mittlerweile sind zwischen zwei Drittel und drei Viertel der russischen Landstreitkräfte um die Ukraine stationiert. Dazu kommen rund 30.000 Kräfte in Weißrussland und Freischärler in der Ostukraine, die einen möglichen russischen Angriff flankieren können. Die akute Kriegsgefahr ist noch nicht gebannt und wird wohl noch Wochen andauern.

Foto: picture alliance/photothek/Leon Kuegeler

"Putin muss erkennen, dass er wirtschaftlich und politisch mehr davon hat, wenn er mit uns am Verhandlungstisch sitzt", sagte Roderich Kiesewetter.

Was glauben Sie, hat Putin tatsächlich einen Großangriff im Sinn oder versucht er mit einem aufwändig inszenierten Bedrohungsszenario, seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen?

Roderich Kiesewetter: Ich vermute letzteres. Putin baut eine Bedrohungskulisse auf, um die Ukraine und den Westen zu destabilisieren und von innenpolitischen Problemen abzulenken. Sein langfristiges Ziel ist es, die Ukraine und Weißrussland in das russische Territorium einzugliedern. Wahrscheinlich ist ein kleinerer Einmarsch in das Gebiet zwischen Charkiw und Mariupol und dessen Abspaltung von der Ukraine, um Russland einen Landzugang zur Krim verschaffen. Mit großen Widerständen müsste er dabei nicht rechnen.

Warum nicht?

Roderich Kiesewetter: In diesem Gebiet lebt eine mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung. Die Folgen für die Ukraine und uns wären trotzdem immens. Die Regierung um Präsident Selenski würde darüber stürzen und Zehn- bis Hunderttausende Menschen würden aus Angst vor weiteren Schritten Russlands in die EU flüchten. Und Putin weiß genau, wie das Thema Migration unsere Gesellschaften fordert.

Wie sollten EU und Nato auf die russische Aggression reagieren?

Roderich Kiesewetter: Wir sollten nichts an harten Sanktionen ausschließen, zu keinem Zeitpunkt - weder den Stopp der Gas-Pipeline Nord Stream 1 noch die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 und auch nicht den Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift oder das Einfrieren von Konten.

Unser Gas kommt zur Hälfte aus Russland, ein Aussetzen der Lieferungen würde Deutschland hart treffen .

Roderich Kiesewetter: Ein Stopp würde zu höheren Energiepreisen in Deutschland führen, das müssen wir der Bevölkerung ehrlich sagen. Aber wir sollten bereit sein, diesen Preis zu zahlen, für den Frieden in Europa. Leider sind wir in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Russland gerutscht, weil die Vorgänger-Bundesregierungen nicht für Energieunabhängigkeit gesorgt haben - da müssen wir uns auch als Union selbstkritisch hinterfragen. Diese Abhängigkeit erklärt auch, warum die Bundesregierung bisher eher verhalten gegenüber Russland aufgetreten ist. Das muss sich ändern.


„Putin versteht die Sprache der Stärke, wenn sie glaubhaft untermauert ist.“
Roderich Kiesewetter (CDU)

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in Moskau große Entschlossenheit demonstriert, sollte Russland einen Krieg vom Zaun brechen. Gibt es ein Umdenken in der deutschen Außenpolitik, die jahrzehntelang auf gute Beziehungen zu Russland gesetzt hat?

Roderich Kiesewetter: Es ist gut, dass die neue Bundesregierung das "Diplomatie"-Narrativ in "Diplomatie und Härte" geändert hat und sich aktuell im transatlantischen Bündnis klar positioniert. Ich hoffe, dass dieser neue Ton in Moskau verfängt. Deutschland darf nicht länger den Eindruck erwecken, zwischen den Blöcken zu wandern. Putin versteht die Sprache der Stärke, wenn sie glaubhaft untermauert ist.

Sollte Deutschland auch Defensivwaffen an die Ukraine liefern?

Roderich Kiesewetter: Eine schwierige Frage. 2014, nach der Annexion der Krim, haben Deutschland und Frankreich den US-amerikanischen Vorschlag einer militärischen Aufrüstung der Ukraine abgelehnt und den Minsker Prozess im Normandie-Format auf den Weg gebracht. Russland hat uns das als Schwäche ausgelegt und mit weiteren Eskalationen und noch mehr Aufrüstung reagiert. Trotzdem bin ich kein großer Freund von Waffenlieferungen. Zum einen ist es schwierig, zwischen Angriffs- und Defensivwaffen zu unterscheiden. Zum anderen hat die Bundeswehr derzeit nicht mal genug Waffen und Munition, um die Verteidigung der Bundesrepublik zu gewährleisten. Insgesamt sollten selektive Lieferungen aber nicht ausgeschlossen werden.

Wie kann Deutschland der Ukraine dann helfen?

Roderich Kiesewetter: Wir können den Schutz der ukrainischen Soldaten durch spezielle Fahrzeuge oder Panzerabwehrsysteme verbessern. Entsprechende Wünsche der Ukraine werden von der Bundesregierung gerade geprüft. Wichtig ist aber nicht nur das Militär, sondern auch die zivile Unterstützung. Und da leistet Deutschland viel. Wir haben der Ukraine in den vergangenen Jahren mit rund sechs Milliarden Euro geholfen und sind damit der größte Geber. Ein Gedanke dahinter war, eine prosperierende und eng mit der EU vernetzte Ukraine zum Vorbild für die russische Gesellschaft zu machen. Doch davon ist sie noch weit entfernt. Die Ukraine braucht eine bessere Regierungsführung, eine effektivere Kontrolle der Finanzströme und entschlossenere Schritte im Kampf gegen Korruption.

Foto: DBT/Stella von Saldern
Roderich Kiesewetter
Der CDU-Politiker sitzt seit 2009 im Deutschen Bundestag. Er ist Obmann im Auswärtigen Ausschuss und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Foto: DBT/Stella von Saldern

Putin fordert umfangreiche Sicherheitsgarantien von den Nato-Staaten, wie den Stopp der offenen Nato-Osterweiterung und den Abzug der Nato-Truppen aus Osteuropa. Das schließt das Bündnis aber kategorisch aus. Wie können diese gegensätzlichen Positionen in Einklang gebracht werden?

Roderich Kiesewetter: Die Nato sollte hart bleiben. Weder steht eine Osterweiterung an, noch ist denkbar, die nach 1990 geschaffene Friedensordnung in Europa zu verändern. Dann müssten Polen und die baltischen Staaten aus der Nato austreten. Unvorstellbar. Wir sollten stattdessen auch Forderungen stellen: Was ist mit einem Abzug der russischen Nuklear- und Mittelstreckenraketen aus Kaliningrad? Was mit einem Abzug der Truppen aus Abchasien und der Wiedereingliederung in georgisches Gebiet? Was macht Russland in Syrien, Mali und Libyen? Auch über die Rückkehr zu Verhandlungen über nukleare Mittelstreckenraketen in Europa sollten wir sprechen.

Warum sollte Putin Interesse daran haben, über diese Fragen zu verhandeln?

Roderich Kiesewetter: Er muss erkennen, dass er wirtschaftlich und politisch mehr davon hat, wenn er mit uns am Verhandlungstisch sitzt. Es gibt gemeinsame Themen, bei denen es sich auch für ihn lohnt, im Gespräch zu bleiben, Terrorismusbekämpfung etwa, Drogenschmuggel, Klimawandel und Cybersicherheit. Aber es sollte auch um Rüstungskontrolle und vertrauensbildende Maßnahmen gehen. Wir müssen erreichen, dass die Krim-Frage international entschieden wird und Russland sich aus der Ostukraine zurückzieht. Auch ein gemeinsames Sicherheitsabkommen in Europa wäre absolut sinnvoll. Aber das derzeitige russische Verhalten macht Verhandlungen darüber fast unmöglich.

Sehen Sie Anzeichen, dass eine Entspannung in den Beziehungen mit Russland gelingen kann?

Roderich Kiesewetter: Das kommt auch auf uns selbst an. Die Zivilgesellschaft in Deutschland und Europa befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch, durch die Querdenker-Bewegung, den demografischen Wandel, den Druck auf die Sozialsysteme. Wenn wir zulassen, dass unsere Gesellschaft sich weiter spaltet, wird Putin mit seiner Destabilisierungsstrategie bald am längeren Hebel sitzen. Wir können Russland gegenüber nur stark bleiben, wenn wir in Europa mit einer Stimme sprechen und unser Werte- und Wohlstandssystem schützen.