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Parlamentarisches Profil : Anikó Merten will Gesprächsfäden nicht abreißen lassen

Eines ist der FDP Bundestagsabgeordneten besonders wichtig: Freiheitsbestrebungen sind immer und überall zu unterstützen. "In der Ukraine, aber auch weltweit."

21.02.2022
2023-10-04T11:34:43.7200Z
3 Min

Z um Jahreswechsel 2020/2021 wünschte sich Anikó Merten etwas Neues: Langeweile. In Erfüllung ging ihr Begehr kaum. Heute steht sie in ihrem Büro im Jakob-Kaiser-Haus und mustert die Wand hinterm Schreibtisch. Haftnotizzettel kleben am Weiß, auf ihnen steht "Unterkante" oder "Oberkante", "linke Ausrichtung" oder "rechte Ausrichtung"; sie markieren die Position eines Siebdrucks, den Merten aus ihrer Heimat Braunschweig mitgebracht hat, "den fertigte eine liebe Freundin, Karla Helene Hecker, für mich an, aus Freude über meinen Bundestagseinzug". Das ist nicht lange her. Merten, 39, ist neu im Parlament.

Noch lehnt das Bild in Plastik eingepackt an der Wand, das Büro ist gerade bezogen. Das Unikat auf japanischem Papier zeigt verschiedene Muster, die wie Tetris-Steine ineinander purzeln. "Es beschreibt für mich eine Überlappung, ein Miteinander und ein Gegeneinander - ein Zusammenspiel - mit dem wir sinnbildlich auch hier im Bundestag beschäftigt sind", lächelt sie; das Bild wird mittig ausgerichtet hängen, wie es sich für die FDP gehört, für die Merten als Nr. 8 der Landesliste einzog.

Merten sitzt in gleich drei Ausschüssen

Merten studierte Kunstwissenschaften und arbeitet als Lehrbeauftragte an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU. Sie organisierte Veranstaltungen zur politischen Bildung der Naumann-Stiftung und arbeitete im Aufbau von Fortbildungseinrichtungen, etwa in Indien und Kasachstan. Doch dann kam in dieses facettenreiche Berufsleben eine Kandidatur für den Bundestag, "aus einem Impuls heraus": In der Corona-Pandemie sei die Krise der Kultur- und Kreativitätsbranche nie in den Fokus gestellt worden. "Ich wollte ihr eine Stimme geben"; schon vor Corona sei einiges schiefgelaufen: Da seien ein Übermaß an Bürokratie und ein kaum Gehört-werden in der Politik, welche sich der Kultur in verschiedenen Ressorts widme, "zuweilen auch im Gegeneinander". Der Blick ruht auf dem Siebdruck.

In diesen Tagen aber steht anderes in ihrem Fokus: die Ukrainekrise. Merten sitzt in gleich drei Ausschüssen. Neben Klimaschutz und Energie sowie Kultur und Medien hat sie auch den Auswärtigen Ausschuss auf ihrer Sitzungsagenda. Auf die Politik von Präsident Wladimir Putin angesprochen, verweist sie auf den Bundespräsidenten: "Frank-Walter Steinmeier machte in seiner Rede die Stärken der Demokratie auch im Vergleich mit anderen politischen Systemen deutlich." Und zu Kanzler Olaf Scholz etwas schmallippig: "Wir müssen aufpassen, dass wir mit einer Stimme sprechen." Eines aber sei ihr wichtig: dass Freiheitsbestrebungen immer und überall zu unterstützen seien. "In der Ukraine, aber auch weltweit." Putin sei ein Stratege, "es ist immer noch völlig unabsehbar, in welche Richtung sich diese Krise bewegt. Absolut notwendig wird sein, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt, dass die Diplomatie weiterhin spricht."

Nach dem Tod ihres Mannes stellte sich eine neue Bewusstheit ein

Auf ihrer Website rankt der Hashtag #immerweiterfunkeln - ihr Leitspruch, seit sie 2019 ihren Ehemann bei einem Unfall verlor. Sie sei unmittelbar danach wie ein Schatten ihrer selbst gewesen. Momente, die man nicht nachvollziehen könne. Hilfe habe sie sich geholt. "Ich lernte: Das Leben bedeutet auch, zu wirken. Alles, was der Mensch macht, seine Worte und Taten, ist wie der Funkenschlag einer Wunderkerze." Eine neue Bewusstheit habe sich bei ihr seitdem eingestellt. Dafür, dass es gut ist, sich mit dem Tod auseinandersetzen, und sei es über eine Patientenverfügung, "das hilft den Angehörigen". Und dafür, dass der Gesamtbereich der "mental health" in Deutschland zu fördern sei.

Es war nicht ihr erster Moment der Bewusstheit. Nach dem Abi wollte die in einem Dorf zwischen Magdeburg und Wittenberge Aufgewachsene Kunst studieren, was nicht klappte. Während des Lehramtsstudiums in Magdeburg wurde wegen eines lang bekannten Herzfehlers eine OP nötig. "Damals beschloss ich, mehr darauf zu achten, was ich will." Es folgten der Umzug nach Braunschweig, das neue Studium, eine neue Heimat. Kein Leben passt in 4.000 Zeichen. Mertens aber erst recht nicht.