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Asyl- und Migrationspolitik : Ringen um "Rückführungsoffensive"

Die Koalition weist Forderungen von Union und AfD nach verschärften Abschiebemaßnahmen zurück.

03.04.2023
2023-11-24T12:50:10.3600Z
4 Min

Nicht immer wird unter ein und demselben Begriff auch von allen ein und dasselbe verstanden. Das zeigte sich vergangene Woche auch in der Bundestagsdebatte über Oppositionsforderungen nach einer "Rückführungsoffensive". Eine solche zu starten, "um Ausreisen konsequenter umzusetzen", hatten die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt; sie "umgehend auf den Weg zu bringen", fordert nun die CDU/CSU-Fraktion in einem Antrag von der Bundesregierung, während die AfD-Fraktion einer weiteren Vorlage zufolge "die Zeitenwende in der Migrationspolitik mit einer Rückführungsoffensive 2023 einleiten" möchte.

Union will Verstöße ahnden, AfD fordert Gegenmaßnahmen

Was die beiden Fraktionen dazu für erforderlich halten, machten sie in ihren jeweiligen Anträgen deutlich, die erstmals auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums standen. So fordert die CDU/CSU, bei der Aushandlung und Umsetzung von Rücknahmeabkommen mit Herkunfts- und Transitstaaten "alle Kooperationsfelder einschließlich der Visavergabe, Entwicklungszusammenarbeit und Wirtschaftsbeziehung einzubeziehen". Auch dringt sie darauf, Verstöße gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote "konsequent zu ahnden" und sicherzustellen, "dass insbesondere Verstöße von Straftätern unmittelbar in Abschiebungshaft und unverzügliche Aufenthaltsbeendigung münden". Ferner plädiert sie etwa dafür, "pragmatische Lösungen" für Rückführungen von Gefährdern und Straftätern nach Afghanistan zu finden.

Nach dem Willen der AfD-Fraktion soll die Bundesregierung gegenüber Herkunftsstaaten, die bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger nicht oder nur unzureichend kooperieren, Maßnahmen im Bereich der Visavergabe, der Handelspolitik, des Technologietransfers und der Entwicklungszusammenarbeit "konzertiert" einsetzen. Zudem soll die Bundesregierung dem AfD-Antrag zufolge im Verbund mit den Bundesländern dafür sorgen, dass ausländische Straftäter "ausnahmslos abgeschoben werden - entweder in ihr Herkunftsland oder in einen aufnahmebereiten Drittstaat". Ferner fordert die Fraktion die Bundesregierung unter anderem auf, "im Verhältnis zu Syrien Verhandlungen mit der Regierung aufzunehmen, um eine Rückführung von Straftätern sowie von nur subsidiär Schutzberechtigten (...) in die befriedeten Gebiete Syriens zu ermöglichen".

Christoph de Vries (CDU) warf Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in der Debatte vor, weder Maßnahmen zu ergreifen, um die illegale Migration zu unterbinden, noch Maßnahmen in Angriff zu nehmen, um die Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer wirksam durchzusetzen. Dagegen wolle die Union mit ihrem Antrag Abschiebehürden beseitigen und Ausreisepflichten durchsetzen. Das deutsche Asylrecht könne nur Bestand haben, wenn Menschen ohne Schutzanspruch auch zurückgeführt werden.

Überforderte Aufnahmekapazitäten moniert

Gottfried Curio (AfD) beklagte, dass die Aufnahmekapazitäten "mit deutlich über 200.000 Asylbewerbern letztes Jahr - neben einer Million Ukrainern" endgültig überfordert seien. Dabei seien von mehr als 300.000 abgelehnten und vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerbern vergangenes Jahr 96 Prozent in Deutschland geblieben. Diese "Rechtsbruchmentalität Deutschlands, dass Unberechtigte bleiben können", sei ein "Pull-Faktor erster Güte".

Helge Lindh (SPD) betonte dagegen, es sei niemals machbar oder realistisch, mehrere Hunderttausende von Ausreisepflichtigen auszuweisen. Stattdessen konzentriere sich die Ampel "auf Gefährder und Straftäter, und dies nach Recht und Gesetz". Auch setze sie auf Migrationsabkommen. Diese bedeuteten aber nicht Wirtschaftssanktionen oder Streichung von Entwicklungshilfe, wie es auch die Union fordere. Der Ansatz der Koalition und des Bevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen, Joachim Stamp, laute vielmehr "faire Abkommen, Reduktion irregulärer Migration, ein strategisches Verständnis von Abschiebung".

Koalition will Rückführungsabkommen

Stephan Thomae (FDP) argumentierte, die Koalition habe von der Vorgängerregierung 300.000 vollziehbar Ausreisepflichtige "sozusagen geerbt" von denen viele seit fünf oder acht Jahren im Land seien, ohne abgeschoben werden zu können. Da es unwahrscheinlich sei, dass ihre Abschiebung in den nächsten Jahren gelinge, sei es sinnvoller, diese Menschen besser zu integrieren, damit sie hier arbeiten und auf eigenen Beinen stehen können. Auch gebe die Koalition der Förderung freiwilliger Ausreisen, bei denen die Zahlen anstiegen, den Vorzug vor zwangsweisen Abschiebungen. Daneben habe Stamp bereits Gespräche mit Regierungen wichtiger Herkunftsstaaten begonnen über Abkommen, "die auch eine Rücknahme beinhalten". Damit werde vorbereitet, dass Rückführungen künftig besser funktionieren können als bisher.

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Filiz Polat (Grüne) sagte, die Koalitionsfraktionen seien sich einig, dass Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete oder Länder, in denen Folter und Verurteilung ohne faire gerichtliche Verfahren drohen, "der Vergangenheit angehören". Daher komme eine Aufhebung des Abschiebestopps nach Afghanistan oder Syrien für die Koalition wie auch für die meisten Bundesländer nicht infrage. Abgelehnte Asylbewerber seien aus verschiedensten Gründen geduldet, etwa weil sie sich in einer Ausbildungsduldung befänden, von ihren Botschaften keine Pässe erhalten könnten oder es von den Bundesländern einen faktischen Abschiebestopp etwa nach Syrien oder Afghanistan gebe. Der Großteil darunter seien Minderjährige und Menschen im erwerbsfähigen Alter. Darauf brauche man eine "politische Antwort", bei der das sogenannte "Chancen-Aufenthaltsrecht" eine große Hilfe sei.

Clara Bünger (Linke) kritisierte, wer eine Abschiebeoffensive fordere, nehme Brutalität und Menschenrechtsverletzungen in Kauf und zerstöre Menschenleben. Dagegen fordere Die Linke "ein sicheres Bleiberecht für alle Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus".