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Finanzierung der Pflegeversicherung : Chronisch klamm

Die Ampel will höhere Beiträge für die Pflege. Im Bundestag wird dazu grundsätzlich über die langfristige Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung debattiert.

02.05.2023
2024-03-14T14:02:16.3600Z
4 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Waltraud Grubitzsch

Mit der neuen Pflegereform werden unter anderem die Zuschläge in der vollstationären Versorgung erhöht, um Heimbewohner bei den Eigenanteilen zu entlasten.

In einer Gesellschaft mit vielen alten Menschen ist die Pflegeversorgung eine herausfordernde Langzeitaufgabe. Schon seit Jahren genießt die Pflege daher in der Politik besondere Aufmerksamkeit, etliche Reformen wurden bereits auf den Weg gebracht, allerdings ist aus Sicht der Pfleger und Pflegerinnen, der Patienten und ihrer Angehörigen die Versorgungslage weiter prekär. Es mangelt an qualifizierten Pflegekräften, die Versorgung ist zuletzt auch durch die hohen Energiepreise teurer geworden, Familien sind mit den Eigenanteilen in Pflegeheimen schnell überfordert und oft auch mit der ambulanten Pflege von Angehörigen zu Hause, die den Großteil der Pflegearbeit ausmacht.

Derweil beklagen Fachleute seit Jahren eine latente Unterfinanzierung der Pflegeversicherung und fordern einen Befreiungsschlag, etwa über Steuern. Die 1995 eingeführte soziale Pflegeversicherung (SPV) verzeichnet seit Jahren steigende Ausgaben, die nicht in jedem Jahr durch Einnahmen gedeckt sind. Das Defizit der SPV lag Ende 2022 bei geschätzt 2,2 Milliarden Euro. Die Zahl der Leistungsbezieher lag 2021 inklusive der privaten Pflegeversicherung bei rund 4,9 Millionen, Tendenz stark steigend. Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten Jahren weiter steigen wird. In Hochrechnungen werden bis 2030 rund 5,75 Millionen Pflegefälle erwartet. Damit bleibt der Kostendruck auf die SPV erhalten.

Ampel will höhere Beiträge, um Pflegeversicherung zu stabilisieren

Die Ampel-Koalition will mit einem Mix aus Leistungsverbesserungen und höheren Beiträgen die SPV stabilisieren. Der Gesetzentwurf  der Fraktionen von SPD, Grünen und FDP sieht zum 1. Juli 2023 eine Anhebung des Pflegebeitrags um 0,35 Punkte auf 3,4 Prozent vor. Das soll Mehreinnahmen von rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Der Arbeitgeberanteil liegt paritätisch bei 1,7 Prozent. Die Bundesregierung soll dazu ermächtigt werden, den Beitragssatz durch Rechtsverordnung festzusetzen, falls ein kurzfristiger Finanzierungsbedarf auftritt.

Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugunsten einer besseren Berücksichtigung der Kinderzahl bei den Pflegebeiträgen wird der Beitragssatz nach der Zahl der Kinder weiter ausdifferenziert. Ferner soll der Beitragszuschlag für Kinderlose von 0,35 auf 0,6 Beitragssatzpunkte steigen. Für Mitglieder ohne Kinder gilt künftig ein Pflegebeitragssatz in Höhe von vier Prozent.

In der häuslichen und stationären Pflege werden die finanziellen Belastungen begrenzt. So werden das Pflegegeld und die ambulanten Sachleistungen zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent angehoben. Zum Jahresbeginn 2025 und 2028 werden die Geld- und Sachleistungen in Anlehnung an die Preisentwicklung automatisch dynamisiert. Das Pflegeunterstützungsgeld können Angehörige künftig pro Kalenderjahr für bis zu zehn Arbeitstage je Pflegefall in Anspruch nehmen und nicht nur einmalig. Gestaffelt angehoben werden mit Jahresbeginn 2024 auch die Zuschläge der Pflegekassen an die Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen. Je länger die Verweildauer im Heim, umso höher der Zuschlag. Schließlich soll die Reform auch zu besseren Arbeitsbedingungen beitragen. So soll in der stationären Pflege die Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens durch die Vorgabe weiterer Ausbaustufen beschleunigt werden.

Ampel sieht eigenen Entwurf als Kompromiss

Der Entwurf führte in der ersten Beratung vergangene Woche zu einer kontroversen Grundsatzdebatte über die langfristige Organisation und Finanzierung der Pflege. Die Bundesregierung und Redner der Ampel-Koalition räumten ein, dass über eine grundsätzliche Weichenstellung beraten werden müsse und der vorliegende Entwurf ein Kompromiss sei, der in den Beratungen noch verändert werden sollte.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ging auf die kontinuierlich steigenden Ausgaben in der sozialen Pflegeversicherung ein, die sich zwischen 2017 und 2023 fast verdoppelt hätten. Die Pflege sei der am stärksten wachsende soziale Bereich und unterfinanziert. Daher müsse der Beitrag maßvoll angehoben werden. Der Minister sagte, er wolle nichts beschönigen oder verschweigen und fügte hinzu: "Was die langfristige Finanzierung der Pflege angeht, sind wir an einem Wendepunkt." Er kündigte einen Vorschlag dazu im kommenden Jahr an. Dabei werde es um die Frage der Steuerfinanzierung gehen, eine mögliche Vollkaskoversicherung oder auch die Bürgerversicherung. Er versprach eine Reform aus einem Guss.


„Was die langfristige Finanzierung der Pflege angeht, sind wir an einem Wendepunkt.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)

Maria Klein-Schmeink (Grüne) sprach von einer mehr als überfälligen Reform. Sie sehe noch Verbesserungsbedarf, sagte sie und ging insbesondere auf die häusliche Pflege ein, die es zu stärken gelte, denn 80 Prozent der Pflegebedürftigen würden zu Hause betreut. Wenn die Politik nicht dafür sorge, dass Angehörige die Betreuung stemmen könnten, "stehen wir vor einem riesigen Problem". Die Pflege brauche nicht nur Rückhalt im Parlament, sondern auch des Finanzministers.

Nach Ansicht von Nicole Westig (FDP) werden mit der Reform die pflegenden Angehörigen unterstützt. Sie wies Forderungen nach einer Bürgerversicherung zurück. Die in immer kürzeren Zeiträumen auftretenden Finanzprobleme der Pflegeversicherung sehe sie mit großer Sorge. Benötigt werde eine nachhaltige und generationengerechte Finanzierung mit mehr Kapitaldeckung und einer verpflichtenden Zusatzvorsorge. Westig warb für eine offene Diskussion und dafür, die Pflege "endlich auf sicherere Füße" zu stellen.

Änderungen im parlamentarischen Verfahren angekündigt

Verbesserungen im laufenden Verfahren erwartet auch Claudia Moll (SPD). Mit dem Entwurf sei "das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht". Pflege müsse neu gedacht werden. Die Pflegebedürftigen und ihrer Betreuer hätten "Respekt und einen Steuer-Doppel-Wumms verdient". Leistungen müssten zudem individueller, flexibler und niedrigschwellig angeboten werden.

Erich Irlstorfer (CSU) sagte, es sei gut, dass Lauterbach Klartext rede, denn über die Pflege müsse grundsätzlich neu diskutiert werden. Nötig sei eine Strukturreform. Was die Finanzierung angehe, müssten dabei andere Prioritäten gesetzt werden.

Martin Sichert (AfD) sprach von einem "Pflegebelastungsgesetz". Er kritisierte, dass sich die Bundesregierung dazu ermächtigen lassen wolle, "jederzeit willkürlich die Beiträge erhöhen zu können". Damit werde die Gewaltenteilung mit Füßen getreten. Es würden Milliarden für Entwicklungshilfe, Waffen für die Ukraine oder für Zuwanderer ausgegeben, die besser in die Pflege investiert würden.

Ates Gürpinar (Linke) sagte, in der Langzeitpflege gehe es meist um alte, arme und schwache Menschen. Die Altenpflege sei im Vergleich zur Krankenpflege schlecht bezahlt und mit hoher Arbeitsbelastung verbunden. Die geplante Anhebung der ambulanten Leistungen sei unzureichend. Gürpinar sagte mit Blick auf den Gesetzentwurf: "Der Vorschlag der Ampel ist erwartbar schlecht."