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Hofbesuch in Trebbin : Am Boden geblieben

Eine Landwirtschaft, die der Natur nicht schadet und genügend abwirft - geht das überhaupt? Ja, meinen eine Landwirtin und ein Landwirt aus Brandenburg.

02.01.2023
2024-03-11T12:29:11.3600Z
6 Min

Nicht jeder habe es gleich gut gefunden. Jana Gäbert blinzelt gegen die Novembersonne. Zu ihren Füßen wuchert es. Disteln, Malven, Gräser - auf den ersten Blick: Gestrüpp. "Sieht eben nicht aus wie im Vorgarten", sagt sie. Doch wer näherkommt, sieht sie krabbeln und schwirren: Wildbienen und Schwebfliegen, die in den letzten Blüten noch Nektar finden. Hier in Trebbin, eine dreiviertel Stunde südlich von Berlin, hat die Landwirtin zusammen mit ihrem Mann vor Jahren angefangen, am Rand der Äcker mehrjährige Blühstreifen anzulegen. Sie begrünten auch Brachen, schaufelten Abbruchkanten als Nistplatz für Bienen und ließen Saatlücken im Feld, damit Lerchen dort brüten und sich sonnen können. Wieso da nicht angebaut würde, seien sie immer wieder gefragt worden, erinnert sich Gäbert. Angesichts von Ukrainekrieg und globaler Getreideknappheit hätten viele das nicht verstanden. Beirren ließen sie sich nicht. Um aufzuklären hätten sie Schilder aufgestellt, sagt die 40-Jährige und zeigt auf zwei Infotafeln am Wegesrand.

Foto: picture alliance/blickwinkel/R. Koenig

Leben unter der Erde: Regenwürmer, aber auch Kleinstlebewesen wie Bakterien, Pilze und Algen sorgen für einen fruchtbaren Boden, der auch Wasser filtern und Kohlenstoff binden kann.

Solche Lebensräume sind rar geworden. Flächenversiegelung und intensive Landwirtschaft haben hierzulande zu einem massiven Rückgang der Artenvielfalt geführt: Laut der 2021 veröffentlichten Roten Liste der Brutvögel gilt fast jede zweite der 259 heimischen Arten als bedroht. Gerade in Agrarlandschaften, die etwa die Hälfte Deutschlands ausmachen, sind vom Schwund betroffen. Auch mehr als ein Viertel der Insektenarten gilt als bestandsgefährdet. Wie dramatisch ihr Rückgang selbst in Naturschutzgebieten ist, belegte bereits die "Krefelder Studie" 2017.

Schutz der Biodiversität und Produktivität vereinbaren

Zahlen, die natürlich auch die Gäberts kennen. Doch Artenschutz und konventionelle Landwirtschaft müssten kein Widerspruch sein, davon ist das Landwirt-Ehepaar überzeugt. Landwirte trügen Verantwortung für den Schutz der Biodiversität, das dürfe aber nicht zulasten der Produktivität gehen, sagen sie - und sind mitten drin in der Debatte um immer deutlicher zutage tretende Zielkonflikte zwischen Naturschutz und Lebensmittelerzeugung. Begleitet von Wissenschaftlern arbeiten die beiden in einem Netzwerk von Landwirten mit daran, die biologische Vielfalt auf intensiv genutzten Flächen zu verbessern. Jenseits der Grabenkämpfe zwischen Verfechtern biologischer und konventioneller Anbaumethoden suchen sie einen Mittelweg. Ihr Ziel: eine nachhaltige, aber moderne Landwirtschaft. Ein Zurück zu "rückschrittlichen Bedingungen" unter Verzicht auf chemische Dünger und Pflanzenschutzmittel sei keine Alternative, sagt Jana Gäbert. Mit digitaler Technik ließen sich die Mengen aber reduzieren und präziser einsetzen. "Dank GPS-Steuerung fahren unsere Traktoren exakt auf Kante - das hilft beim Säen, aber auch beim Düngen und Spritzen Überlappungen zu vermeiden und den Boden zu schonen", erklärt sie. Hoffnung setzt sie auch in grüne Gentechnik: Pflanzenzüchtungen, die Schädlingen besser widerstehen, könnten zudem Erträge sichern.


„Dank GPS-Steuerung fahren unsere Traktoren exakt auf Kante - das hilft beim Säen, aber auch beim Düngen und Spritzen Überlappungen zu vermeiden und den Boden zu schonen.“
Jana Gäbert, Landwirtin aus Brandenburg

Mit 4.000 Hektar Land und rund 120 Mitarbeitern gehört die von Thomas Gäbert geleitete Agrargenossenschaft Trebbin zu den großen Landwirtschaftsbetrieben in der Region. Der Ackerbau ist neben Milchproduktion und Rinderzucht ein wichtiges Standbein: Auf 2.900 Hektar, einer Fläche so groß wie etwa 4.200 Fußballfelder, bauen sie als "Cash Crops" vor allem Weizen, Roggen und Ölsaaten an, hinzukommen Mais und Luzerne als Futtermittel. Seit den Dürresommern verzichten die Gäberts auf hitzeempfindlichen Raps, experimentieren stattdessen mit Hülsenfrüchten: So pflanzten sie 2020 erstmalig wärmeliebende Kichererbsen an, außerdem Stangenbohnen zwischen den Mais. Der Win-win-Effekt: "Der Mais dient der Bohne als Rankhilfe, der Boden ist stärker verschattet und vor Austrocknung geschützt", erklärt Gäbert, die als Strategiemanagerin für den Biodiversitätsschutz in Trebbin zuständig ist. Das nütze dem Mais. Die Kombination zweier Feldfrüchte führe zu mehr Diversität und Nahrungsvielfalt für Insekten auf dem Acker. Die Bemühungen der Gäberts für den Naturschutz zeigen Erfolg: Über 90 Wildbienenarten wurden in Trebbin im vergangenen Jahr gefunden, davon 28 Rote-Liste-Arten. Mit genügend Raum und Futter kommen sie zurück. "Sie sind noch nicht ganz weg", sagt Jana Gäbert.

Priorität in Trebbin: Bodenschutz und Humusaufbau

Für Landwirte entscheidend ist vor allem die Biodiversität unter der Erde: Regenwürmer, aber auch Kleinstlebewesen wie Bakterien, Pilze oder Algen. Sie sorgen für humusreichen Boden, der gesunde Nahrungsmittel liefern, aber auch Wasser und Kohlenstoff binden kann. Viel tun sie in Trebbin deshalb für Bodenschutz und Humusaufbau: Eine Fruchtfolge hält Nährstoffe im Acker und verringert Krankheiten. Zwischenfrüchte wie Gräser und Hülsenfrüchtler, die nicht gerntet und als Mulch auf dem Feld bleiben, schützen die fruchtbare Ackerkrume vor Wind und Erosion. Das Problem ist nur: Auf den sandigen Böden Brandenburgs gibt sehr wenig davon, trotz aller Bemühungen.

Das musste auch Benedikt Bösel erkennen: Der Geschäftsführer des Öko-Betriebs "Gut & Bösel" hatte eigentlich andere Pläne, als er 2016 den elterlichen Hof übernahm, zu dem heute 150 Rinder, 2.000 Hektar Kiefernwald und etwa 1.100 Hektar Ackerland für den Anbau von Weizen, Dinkel, Gerste und Hafer gehören. Der Agrarökonom war zunächst als Investmentbanker, Venture-Capital-Geber und Berater tätig gewesen. In Alt Madlitz, eine Stunde östlich von Berlin, wollte er Versuchsflächen für Agrar-Start-ups schaffen, digitale Innovationen "in die Fläche" bringen, wie er es nennt. Doch dann stand er nach Wochen ohne Regen im Frühsommer 2018 auf dem Feld und dachte: "Der Boden ist tot. Da hilft auch keine Technik." Die Region gehört seit jeher zu den trockensten Gegenden in Deutschland, doch in den vergangenen Jahren hat sich die Lage verschlimmert: Die sandigen Böden, dazu die Dürre, die Waldbrände - dem 38-Jährigen wurde klar: Wenn er nicht radikal etwas verändert, hat sein Land- und Forstbetrieb keine Zukunft. Bösel begann nach alternativen Lösungen zu suchen. Sein Ziel: Eine Landwirtschaft, die den Folgen des Klimawandels trotzt, den Boden und die Ökosysteme wieder aufbaut. Fündig wurde er bei den Pionieren einer "regenerativen", "syntropischen" Landwirtschaft, die auf eine schonende Bodenbearbeitung und ein autarkes Pflanzsystem zielen, das ohne Bewässerung, Dünger und Pflanzenschutzmittel auskommt.

Förderung für seine Pläne konnte er zunächst nicht erwarten. "Die Leute hielten mich für einen Spinner", erzählt Bösel grinsend. "Also habe ich Auto und Aktien gegen Bäume und Kühe getauscht." Seitdem hat er mit 30 festen Mitarbeitern und jährlich 30 Praktikanten einiges umgekrempelt: Die Rinder lässt er täglich auf wechselnden Grünlandflächen grasen, damit sie nur so viel der Pflanzen fressen, dass ihr Wurzelwachstum angeregt wird. Ihr Dung nährt den Acker, zieht Insekten und Vögel an, das unter den Hufen zertrampelte Gras fördert Mikroorganismen im Boden. Ergänzt wird dieses "ganzheitliche Weidemanagement" in Madlitz durch verschiedene Agroforstsysteme.

Projekte zur multifunktionalen Nutzung werden durch die Wissenschaft begleitet

Wie das in der Praxis aussieht? Bösel, mit Bart und Baseballcap, stoppt seinen Geländewagen vor einem Gatter. Dahinter stehen entgegen der Windrichtung in langen Reihen Gehölze auf einem Feld: Birnenbäume etwa, Haselnusssträucher, aber auch Linden, Pappeln und Hainbuchen in unterschiedlichster Kombination mit Beerensträuchern und Kräutern. "Wir testen, welche Sorten und Arten zusammenpassen, sodass ein autarkes, symbiotisches System entsteht", erklärt Bösel während er von Reihe zu Reihe geht. Gelingt dies, sei das auch zum Vorteil der Ackerfrüchte, die windgeschützt und besser versorgt mit Nährstoffen und Feuchtigkeit zwischen den Baumstreifen gedeihen können. Bösel bückt sich, greift in den Mulch unter der Baumreihe und betastet die Erde. Sie ist feucht, obwohl es schon länger nicht geregnet hat. Bäume und Sträucher seien auch in diesem Dürrejahr gut gewachsen, sagt er stolz.

Seine Projekte zur multifunktionalen Landnutzung lässt der Landwirt wissenschaftlich begleiten. Er will zeigen, dass das, was in Brandenburg funktioniert, auch anderswo klappen - und sich selbst ohne staatliche Subventionen rechnen kann. "Landnutzung ist viel mehr als die Produktion von Lebensmitteln", sagt Bösel. "Landnutzung ist der Schlüssel zur Lösung vieler drängender Probleme - Klimawandel, Artensterben, Hunger, ländliche Entwicklung." Als "Spinner" wird Bösel wohl kaum mehr belächelt. Im Gegenteil: Kürzlich erhielt er von einem renommierten Landwirtschaftsverlag die Auszeichnung "Landwirt des Jahres".