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Streitthema Wolf : Zwischen Rotkäppchen und Herdenschutz

Die Wolfs-Population steigt in Deutschland weiter an. Allerdings vergrößert sich auch die Zahl der Attacken auf Nutztiere und damit der politische Streit.

02.01.2023
2024-03-11T11:27:42.3600Z
4 Min
Foto: picture alliance/blickwinkel/S. Gerth

Zwei Wölfe im Tierfreigehege dem Nationalparks Bayrischer Wald.

Am 12. März 1866 erlegt der Ratschreiber und Landwirt Vincenz Diemer aus Schollbrunn im Stadtwald von Eberbach den letzten Wolf im Odenwald. Zwei Tage lang war das Tier von 150 Schützen, 120 Treibern und 130 Hunden quer durch den Wald gejagt worden. Heute ist der letzte Wolf vom Odenwald ausgestopft im Eberbacher Heimatmuseum so zu bewundern, wie sich die Menschen über Jahrhunderte den "bösen Wolf" vorgestellt haben: Aufrecht stehend mit gebleckten Zähnen. Von der Jagd vor 156 Jahren zeugt an der Abschussstelle ein sogenannter Wolfsstein, den der Lions-Club Eberbach dort im August 2000 errichten ließ. Solche Wolfssteine wurden seit dem 16. Jahrhundert zur Erinnerung an die Jagd auf Wölfe überall in Deutschland errichtet.

Obwohl der Eurasische Wolf (Canis lupus lupus) bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts in den meisten Regionen Deutschlands als ausgestorben gilt, kommt es im 19. Jahrhundert immer wieder zu Sichtungen und Jagden. Am 27. Februar 1904 wird schließlich nahe dem Dorf Sabrodt nördlich von Hoyerswerda der - vorerst - letzte Wolf in Deutschland geschossen.

Einwanderung aus Osteuropa

Nach dem Zweiten Weltkrieg wandern immer wieder vereinzelte Wölfe aus den östlichen Nachbarländern nach Deutschland ein. So wurden bis 1990 mindestens 21 Wölfe in der DDR erlegt. Auch in der Bundesrepublik kommt es zu vereinzelten Abschüssen. Doch erst der Fall des "Eisernen Vorhangs" 1990/91, der Ost- und Westeuropa geteilt hatte, führt in der Folge zu einer dauerhaften Rückkehr des Wolfes nach Deutschland. Ab Mitte der 1990er-Jahre wandern von Polen aus Wölfe verstärkt nach Ostdeutschland ein. Im Jahr 2000 wird schließlich in der sächsischen Lausitz erstmal wieder die Aufzucht von Wolfswelpen auf deutschem Boden beobachtet.

Zwei Jahrzehnte später ist die Wolfspopulation in Deutschland kräftig angewachsen. Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) und der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) leben derzeit 1.175 Wölfe in Deutschland. Die Zahl der Wolfsrudel sei im Jahr 2021/2022 von bundesweit 158 auf 161 gestiegen, verkündeten BfN und DBBW Ende November dieses Jahres. Die meisten Wolfsrudel leben in Brandenburg (47), gefolgt von Niedersachsen (34) und Sachsen (31).

Der Abschuss eines Wolfes ist nur in Ausnahmefällen zulässig.

Die größte Gefahr für den Wolf stellt nach wie vor der Mensch dar, allerdings nicht mehr in Gestalt von Jägern, sondern von Autofahrern. Von den im Berichtsjahr 148 tot aufgefundenen Wölfen starben 102 bei Verkehrsunfällen. Allerdings wurden auch 13 Tiere illegal unter Missachtung des Naturschutzes getötet.

Wölfe in Deutschland besitzen höchstmöglichen Schutzstatus

Der Wolf wird nicht nur nach deutschem Recht, sondern auch nach internationalen Regelungen geschützt. Er fällt sowohl unter das Washingtoner Artenschutzabkommen wie auch die Berner Konvention zur Erhaltung der europäischen Pflanzen, Tiere und Lebensräume und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union. Diese verpflichtet alle EU-Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass Wölfe langfristig einen lebensfähigen Bestand aufbauen können. Umgesetzt ist diese Vorgabe in Deutschland im Bundesnaturschutzgesetz. Vergehen gegen den Schutz streng geschützter Arten wie dem Wolf können mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug oder hohen Geldbußen geahndet werden. Damit besitzen Wölfe in Deutschland den höchstmöglichen Schutzstatus. Für die Umsetzung sind die Bundesländer zuständig.

Der Abschuss eines Wolfes ist nur in Ausnahmefällen zulässig: Zum Beispiel, wenn er sich gegenüber Menschen unprovoziert aggressiv verhält. Ein solcher Fall ist in Deutschland seit der Rückkehr des Wolfes aber nicht aktenkundig. Überhaupt verhalten sich Wölfe entgegen aller Märchengeschichten vom "bösen Wolf" dem Menschen gegenüber eher scheu.

Bei Deutschlands Landwirten und vor allem Schäfern stößt der hohe Schutzstatus für den Wolf allerdings auf wenig Verständnis. Denn zweifelsfrei ist der Wolf ein Raubtier, das neben Wildtieren wie Feldhasen, Hirschen oder Wildschweinen auch Nutztiere reißt. So ist auch die Zahl der Attacken auf Nutztiere parallel zum Anstieg der Wolfspopulation deutlich angestiegen. Im Jahr 2021 wurde 975 Angriffe von Wölfen mit 3.374 verletzten, getöteten oder vermissten Nutztieren gemeldet, im Jahr zuvor waren es sogar rund 4.000. In 72 Prozent der Fälle waren Schafe und Ziegen die Opfer, aber auch Rinder (21 Prozent) oder Pferde wurden angegriffen.

Ausgleichszahlungen erreichen 2020 Höchstwert

Die geschädigten Halter der Nutztiere erhielten 2021 rund 500.000 Euro an staatlichen Ausgleichszahlungen für den Verlust ihrer Tiere. Im Jahr zuvor hatten die Ausgleichszahlungen mit rund 800.000 Euro einen Höchstwert erreicht. Allerdings sind diese Ausgleichszahlungen an bestimmte Voraussetzungen gekoppelt. So müssen Landwirte oder Schäfer ihre Herden durch geeignete Maßnahmen schützen. Im Rahmen des sogenannten Wolfsmanagements haben die Bundesländer 2021 rund 16,6 Millionen Euro an Zuschüssen für den Herdenschutz ausgezahlt. Dazu zählen vor allem Elektrozäune um das Weideland, aber auch der Einsatz von Hütehunden.

Dennoch mehren sich die Stimmen, die eine Begrenzung der Wolfspopulation fordern. Das Wolfsmanagement sei gescheitert, erklärt etwa der Förderverein der Deutschen Schafhaltung und fordert die gezielte "Entnahme", sprich Bejagung, von Wölfen. In Deutschland hätten sich "unverantwortliche Kräfte durchgesetzt, die unter dem Deckmantel des Artenschutzes der Weide- und Landwirtschaft einerseits und dem Natur- und Artenschutz andererseits schwersten Schaden zufügen", erklärte unlängst der Vereinsvorsitzende Wendelin Schmücker und verwies auf die Gefährdung seltener Schafsrassen durch den Wolf. Er reagierte damit auf die wiederholten Klagen des Freundeskreises freilebender Wölfe gegen Abschussgenehmigungen für sogenannte "Problemwölfe", die wiederholt Nutztiere gerissen haben.

Bei Naturschützern stößt die Forderung nach Begrenzung der Wolfspopulation auf Widerstand. Sie setzen weiterhin auf einen flächendeckenden Herdenschutz. Die Forderung nach einer Bejagung des Wolfes sei "reine Augenwischerei", beschied etwa der WWF Deutschland. Damit würden die Mensch-Tier-Konflikte nicht gelöst.