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Foto: picture-alliance/Wolfgang Poelzer/WaterFrame
Hammerhaie verfangen sich aufgrund ihres Körperbaus leicht in Fischernetzen, die Art ist daher stark gefährdet.

In der Tiefsee : "Haie sind wichtig"

Die Meeresbiologin Julia Schnetzer über leuchtende Wasserbewohner, Schweinswale mit Hörschäden und effektiven Artenschutz.

02.01.2023
2024-03-11T11:29:41.3600Z
7 Min

Frau Schnetzer, in Ihrem Buch  erzählen Sie von Korallen, Schnecken und Fischen, die in Neonfarben leuchten. Ein Phänomen, das lange unbekannt war, weil unsere Augen es nicht sehen können. Klären Sie uns auf: Warum braucht ein Fisch Farben im dunklen Ozean?

Julia Schnetzer: Das weiß man bis heute nicht genau, es gibt aber einige Theorien dazu. Bei den Fischen wird vermutet, dass sie es als Tarnung tun, damit sie als dunkler Fleck auf den ebenfalls fluoreszierenden Korallen nicht so schnell auffallen und gefressen werden. Das Leuchten könnte aber auch zum Anlocken von Beute, zum Schutz der Haut oder zur Kommunikation zwischen Männchen und Weibchen gut sein, denn die haben oft unterschiedliche Muster auf der Haut. Für die Kommunikationsthese spricht, dass nicht alle Fische Fluoreszenz sehen können, sondern nur die, die entsprechende Farbpigmente in ihren Augen haben.

Foto: Gabriela Valdespino
Julia Schnetzer
ist Meeresbiologin und Autorin. 2021 erschien in Hanserblau-Verlag in Buch "Wenn Haie leuchten".
Foto: Gabriela Valdespino

Haie leuchten grün, wie Sie selbst auf Ihren Tauchgängen beobachtet haben. Diese Eigenschaft könnte helfen, die in ihrem Bestand stark bedrohten Arten besser zu schützen. Wie genau?

Julia Schnetzer: Haie erfüllen sehr wichtige Funktionen im Meer, weil sie andere Arten in Schach halten und kranke Fische essen, womit sie die Ausbreitung von Krankheitserregern verhindern. Aber sie verenden leider massenhaft als Beifang in Fischernetzen oder werden wegen ihrer Flossen, die in Asien als Delikatesse gelten, gezielt gejagt. Meine Kollegen in Südafrika wollen die Fähigkeit einiger Haie, Fluoreszenz zu sehen, nutzen, in dem sie fluoreszierende Fischernetze anfertigen. Die sollen verhindern, dass die Haie hineinschwimmen. Ich finde den Ansatz sehr vielversprechend, aber leider ist ein erstes Projekt zunächst aus finanziellen Gründen gescheitert.

Auch die Altersforschung an Fischen soll Arten retten. Neuesten Erkenntnissen zufolge kann ein weißer Hai bis zu 70 Jahre alt werden und nicht, wie bisher gedacht, nur 40 Jahre. Der Granatbarsch, ein beliebter Speisefisch, wird bis zu 150 Jahre alt und nicht nur 30, wie lange vermutet. Beeindruckend - aber wofür ist dieses Wissen nützlich?

Julia Schnetzer: Die Altersforschung ist wichtig, um nachhaltigen Fischfang betreiben zu können. Denn je älter ein Fisch wird, desto später wird er geschlechtsreif. Damit er sich noch fortpflanzen kann, darf er also keinesfalls zu früh gefangen werden. Das sollte bei den Fangquoten berücksichtigt werden. Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass der stark überfischte Granatbarsch sein fortpflanzungsfähiges Alter erst mit 30 bis 35 Jahren erreicht. Seine Population konnte nur durch ein zeitweiliges Fangverbot gerettet werden.

Weltweit gelten über 35 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände als überfischt und 57 Prozent als maximal genutzt. Was hat das für Auswirkungen auf die Nahrungsnetzwerke in den Ozeanen?

Julia Schnetzer: Auch das ist bisher kaum erforscht. Dass es aber selbst über große Distanzen enge Verbindungen gibt, hat erst letztes Jahr eine Studie über den vom Aussterben bedrohten europäischen Aal gezeigt. Er wandert zur Fortpflanzung von den Flüssen in die Meere, wo er, wie die Forscher herausgefunden haben, eine sehr wichtige Nahrungsquelle für Wale ist. Wenn wir also in Europa Aale wegfangen, kann das dazu führen, dass irgendwo im Atlantik andere Fische verhungern. Ähnlich könnte es bei den riesigen Sardinenschwärmen sein, die sich insbesondere vor der Küste Südafrikas bilden. Die Überfischung einzelner Arten kann definitiv ein riesiges Problem sein.

Was muss passieren, um das zu verhindern?

Julia Schnetzer: 30 Prozent des Meeres sollten zu Schutzgebieten erklärt werden, in denen weder gefischt noch Schifffahrt betrieben werden darf. Das zu kontrollieren, ist natürlich kostspielig, und Schutzgebiete sind in internationalen Gewässern schwer durchzusetzen. Da ziehen die Staaten bisher auch nicht an einem Strang. Russland und China sperren sich dagegen, die Arktis als Schutzgebiet auszuweisen. Und selbst in Deutschland werden jetzt LNG-Terminals in die Nordsee gebaut, obwohl klar ist, dass sie den Schweinswalen schaden.


„Dreißig Prozent des Meeres sollten zu Schutzgebieten erklärt werden, in denen weder gefischt noch Schifffahrt betrieben werden darf.“
Julia Schnetzer, Meeresbiologin und Autorin

Was ist an ihnen so schädlich für die Tiere?

Julia Schnetzer: Das Flüssiggas wird mit riesigen Schiffen zu den Terminals transportiert. Das macht ungeheuren Lärm, von dem die Schweinswale mit ihrem sehr sensiblen Gehör Hörschäden bekommen. Sie sind dann nicht mehr überlebensfähig, weil sie wie fast alle Meerestiere Schall nutzen, um sich zu orientieren und zu kommunizieren.

Auch der Bau von Offshore-Windparks macht viel Lärm. Andererseits gilt Windenergie als wichtiger Baustein im Kampf gegen den Klimawandel. Wird der Artenschutz hier einmal mehr einem anderen Ziel untergeordnet?

Julia Schnetzer: Im Falle der Windparks vor den Küsten sehe ich das weniger kritisch. Zum einen wird die Schallausbreitung beim Bau der Anlagen durch technische Maßnahmen verringert. Außerdem sind die Offshore-Parks im Grunde auch Schutzzonen, denn dort darf beispielsweise nicht gefischt werden. Mehr grüne Energie ist im Kampf gegen den Klimawandel außerdem notwendig. Denn der ist ein ernsthaftes Problem für die Arten im Meer, weil damit eine Erwärmung und Versauerung des Wassers einhergeht. Viele Arten finden keine Nahrung mehr, sie sterben aus oder wandern ab in andere Gewässer, wo sie andere Spezies bedrohen. Daher schützt alles, was das Klima schützt, auch die Meere. Umgekehrt gilt das übrigens genauso. Denn die Meere sind, Stichwort Kohlenstoffpumpe, ein wichtiger Teil des Kohlenstoffkreislaufs und damit auch für unser Klima.

Können Sie die genauer erklären?

Julia Schnetzer: Zum einen sorgt die physikalische Kohlenstoffpumpe dafür, dass das von den Ozeanen aufgenommene und im Wasser gelöste CO2 in tiefere Schichten getragen wird. Dort kann es locker tausend Jahre bleiben. Bei der biologischen Kohlenstoffpumpe nehmen Mikroalgen und Bakterien, das sogenannte Plankton, das CO2 auf, um es für die Photosynthese, also für die Produktion von Zucker, zu nutzen. Fische, die das Plankton fressen, nehmen das darin gebundene CO2 in ihren Körper auf. Wenn sie sterben, sinken sie in die Tiefsee hinab und nehmen das CO2 mit. Dieses System funktioniert wegen des Klimawandels allerdings immer schlechter, weil die Ozeane mehr CO2 aufnehmen, als sie verarbeiten können. Das Wasser wird sauer, das Plankton weniger, und in der Folge kann noch weniger CO2 gebunden werden.

Weltweit sollen mehr als 150 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Meeren treiben. Tiere verheddern sich in alten Fischernetzen oder fressen das Plastik und sterben daran. Was halten Sie von Initiativen wie "The Ocean Cleanup", die den Müll in den Ozeanen wieder einsammeln wollen?

Julia Schnetzer: Ich denke, das ist nicht optimal. Die Leute von Ocean Cleanup fahren mit zwei großen Schiffen durchs Meer und fischen mit Netzen nach dem Plastik. Auch da entsteht viel tierischer Beifang und Lärm, noch dazu ist es ökologisch fragwürdig. Statt das Plastik mühsam wieder aus dem Meer zu fischen - was ich auch für unmöglich halte -, müssen wir verhindern, dass noch mehr davon in die Ozeane gelangt. Sammelaktionen an Land sind da sinnvoll, aber auch Barrieren in Flüssen, eine bessere Entsorgung und noch mehr Verzicht auf Plastikverpackungen.

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Deutschland hat sich bereits verpflichtet, mindestens 30 Prozent der Meere bis 2030 wirksam zu schützen. Die Bundesregierung hat außerdem im Oktober erklärt, bis auf weiteres keine Anträge mehr auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen wie Kobalt oder Mangan in der Tiefsee zu unterstützen. Wie zuversichtlich sind Sie, was die Zukunft der Meere betrifft?

Julia Schnetzer: Ich sehe bisher nicht, dass der Meeresschutz international richtig angegangen wird. Dass sich aber Länder wie Deutschland, Spanien, Costa Rica und viele andere gegen den Tiefseebergbau ausgesprochen haben, hat mich überrascht und sehr gefreut. Denn wir wissen einfach nicht, was wir mit dem Abbau anrichten können. Welche Arten vielleicht in der Tiefsee brüten und was es für das Klima bedeutet, wenn wir den Boden aufwühlen und dadurch CO2 freisetzen. Die wenigen Studien über die Tiefsee zeigen: Sie ist kein Wald, den man in 20 Jahren wieder hochziehen kann. Dort läuft alles sehr langsam ab, nichts regeneriert sich schnell. Statt also Rohstoffe aus dem Meer zu holen, sollten die Staaten ihre Ressourcen lieber in das Recycling vorhandener Rohstoffe stecken. Auch in unserem eigenen Interesse müssen wir auf die Ökosysteme im Meer gut aufpassen und schnell anfangen, sie besser zu schützen.