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Anhörung zur geplanten Pflegereform : Große Zweifel an der Pflegereform

Experten vermissen bei der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Pflegereform ein langfristiges Konzept zur Finanzierung der Pflege.

15.05.2023
2024-01-05T09:58:44.3600Z
3 Min

Die heftige Kritik an der Pflegereform zieht sich durch alle Fachverbände. In der Anhörung zu dem Gesetzentwurf in der vergangenen Woche machten die Sachverständigen keinen Hehl aus ihrer Skepsis und forderten von der Bundesregierung Nachbesserungen. Das Geld für die Versorgung reiche vorne und hinten nicht, ein Konzept für die langfristige Finanzierung der Pflege liege auch nicht vor, bemängelten die Experten in der Anhörung des Gesundheitsausschusses.

Mit der Pflegereform sollen Pflegebedürftige entlastet und die Einnahmen stabilisiert werden. Dazu ist eine Anhebung der Beiträge zum 1. Juli 2023 um 0,35 Punkte vorgesehen sowie zugleich eine Differenzierung der Beiträge nach der Zahl der Kinder. Die Bundesregierung soll ferner dazu ermächtigt werden, den Beitragssatz durch Rechtsverordnung festzusetzen, falls auf einen kurzfristigen Finanzierungsbedarf reagiert werden muss. In der häuslichen und stationären Pflege werden Leistungen aufgestockt. So werden das Pflegegeld und die ambulanten Sachleistungen zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent angehoben.

Pflegeverband kritisiert große Lücken in der Reform

Die Interessenvertretung der pflegenden Angehörigen, "wir pflegen!", kritisierte, etliche wichtige Vorhaben seien gar nicht berücksichtigt worden, so etwa die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen über Steuern. Pflegebedürftige und Angehörige müssten zudem bei Bedarf die Leistungen auch erhalten können, das sei jedoch nicht der Fall. Die pflegerische Infrastruktur weise gravierende Lücken auf. In der Folge würden gesetzliche Leistungsansprüche nicht in Anspruch genommen werden. Der Interessenverband forderte eine stärkere Anhebung des Pflegegeldes um 20 Prozent sowie der ambulanten Sachleistungsbeträge um mindestens 30 Prozent noch in diesem Jahr sowie einen Rechtsanspruch auf Tagespflege.

Eine ähnlich kritische Einschätzung kam von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, die eine große Systemreform anmahnte, um die Pflegeversicherung zukunftsfest zu gestalten. Nach Ansicht des Verbandes sind die geplanten Erhöhungen des Pflegegeldes und der ambulanten Sachleistungen nicht ausreichend. Schon heute müssten die Familien große Abstriche in der Versorgung hinnehmen, weil die Kosten einer am Bedarf orientierten Versorgung explodierten. Nötig sei die sofortige Dynamisierung der Leistungen.

Sozialverband Deutschland kritisiert das Fehlen grundlegender Lösungen 

Nach Ansicht des Sozialverbandes Deutschland bleibt die Vorlage weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Trotz der angespannten Situation in der Langzeitpflege beschränke sich der Entwurf auf kurzfristig wirkende Vorschläge. Grundlegende Lösungen zur langfristigen Stabilisierung der pflegerischen Versorgung würden vertagt. Zugleich sei mit der Streichung der ursprünglich geplanten Zusammenführung von Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege zu einem gemeinsamen Jahresbetrag eine zentrale Entlastungsregelung entfallen. Das werteten auch andere Sachverständige in der Sitzung als gravierenden Nachteil.

Der Deutsche Pflegerat (DPR) warnte vor einem Zusammenbruch der Versorgungsstrukturen, da die Akteure ihren Auftrag nicht sicherstellen könnten. Die Anhebung der Beiträge und die geringen Anpassungen der Leistungen seien keine langfristigen Lösungen, um den Herausforderungen in der Versorgung entgegenzutreten.

Spitzenverband sieht Beitragserhöhung per Verordnung kritisch

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) kritisierte, wenn die Regierung den Beitragssatz künftig per Verordnung anheben könne, schränke das die parlamentarische Entscheidungsmöglichkeit ein. Auf die Ermächtigung sollte daher verzichtet werden.

Die Einzelsachverständige Carola Reimann hob die Stärkung der häuslichen Pflege als zentrale Aufgabe hervor. Mit dem Entwurf würden keine Initiativen ergriffen, mit denen Potenziale zum Erhalt und zur Förderung der Selbstständigkeit und Fähigkeiten der Pflegebedürftigen gestärkt werden könnten, um Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern, kritisierte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Dazu wäre eine Neuausrichtung der Kurzzeitpflege geeignet. Für diese strukturellen Weiterentwicklungen müssten zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt werden. Reimann betonte in der Anhörung: "Die Langzeitpflege ist eine der größten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die wir haben."

Der Arbeitgeberverband BDA stellte die Umsetzung der geplanten Beitragsdifferenzierung nach Kindern zum 1. Juli 2023 infrage. Die dazu nötige Erhebung der Daten sei aufwendig, das sei in dem vorgesehenen Zeitraum nicht zu bewältigen. Sinnvoll wäre überdies, für diesen Zweck eine zentrale, digitale Erfassungsstelle einzurichten.