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Ortstermin : Eine Biografie des bescheidenen Aufstiegs

Autorin Marlen Hobrack schreibt über Herkunft und Aufstiegschancen. Mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas spricht sie über ihr neues Buch „Klassenbeste“.

15.05.2023
2024-02-27T13:13:33.3600Z
3 Min
Foto: DBT/Heinl/photothek

Autorin und Journalistin Marlen Hobrack (l.) liest vergangenen Dienstag im Bundestag aus ihrem Roman „Klassenbeste. Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet“. Mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) spricht sie über Aufstiegschancen und Bildungspolitik.

Drei Jahre lang ist Marlen Hobrack während ihrer Jugend nicht zur Schule gegangen. Im sächsischen Bautzen geboren ist sie in einem "bildungsfernen Haushalt" aufgewachsen. In der Schule wurde sie gemobbt. Eines Tages entschied sie sich, nicht mehr hinzugehen. Von ihrer Familienbiografie handelt Hobracks Buch "Klassenbeste. Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet". Am vergangenen Dienstag stellte die Journalistin ihr Werk bei einer Lesung im Deutschen Bundestag vor.

"Herkunft legt das Fundament für unser Leben, kann Gemeinschaft schaffen oder Menschen ausschließen", sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in ihren einleitenden Worten. Sie hat eine Ausgabe des Buches vor sich liegen, viele Stellen sind durch bunte Zettel markiert. Besonders Kinder litten darunter, aufgrund ihrer Herkunft ausgeschlossen zu sein, sagte Bas. Die SPD-Politikerin ist ebenfalls in einer Arbeiterfamilie groß geworden und hat ähnliches erlebt: "Auch ich wollte immer dazu gehören".

Bas: Bildungsaufstieg hängt zu sehr von Zufällen ab

Wenn Kinder die Schule abbrechen, würden sie nicht das Lernen ablehnen, sondern sich der Gesellschaft verweigern, schreibt Hobrack. Nicht das Kind sei dabei das Problem, sondern die Gesellschaft, die diesem Kind seine freie Entwicklung nicht ermögliche, ergänzte Bas. Noch immer hänge der Bildungserfolg von Kindern aus benachteiligten Familien viel zu sehr von glücklichen Zufällen oder individuellen Förderern ab, kritisierte sie. Auch Hobrack hatte eine solche Förderin oder "stille Heldin", wie sie schreibt. Letztendlich habe zwar der Wunsch zu studieren sie zurück in die Schule gebracht, doch ohne die Unterstützung ihrer Mutter wäre ihr Bildungsweg wohl erneut unterbrochen worden oder zu Ende gewesen: Kurz nachdem sie begonnen hatte, wieder den Unterricht zu besuchen, wird sie mit 19 Jahren schwanger. Durch die Hilfe ihrer Mutter kann die alleinerziehende Hobrack weiter zur Schule gehen und ihren Abschluss machen.

Hobracks Familiengeschichte ist eine vom "bescheidenen Aufstieg". Es ist nicht die Erzählung vom Tellerwäscher, der zum Millionär wird. Es ist die Geschichte von einer Frau, die es aus der Arbeiterklasse in die Mittelschicht geschafft hat. Oder besser gesagt von zwei Frauen, denn Hobracks Mutter spielt die zentrale Rolle in ihrem Buch.

Erzählungen zu Arbeiterfrauen fehlen

Auch an diesem Abend steht die Biografie ihrer 67-Jährigen Mutter im Mittelpunkt. Viele Ausführungen zur Arbeiterklasse würden Männer in den Fokus nehmen und Arbeiterfrauen in der Gesellschaft dadurch "doppelt unsichtbar" machen, sagte Hobrack. Es fehle an Erzählungen darüber, "wie sich eine Arbeiterin als Subjekt fühlt".

Hobracks Mutter wächst wie ihre Tochter in Ostdeutschland auf. Nach der neunten Klasse muss sie die Schule verlassen, weil "ein Lehrlingsgehalt höher ist als Kindergeld", erzählte Hobrack. Ihre Mutter arbeitete unter anderem als Fleischfachverkäuferin. Dass sie während der Wiedervereinigung in einem Gefängnis als Sachbearbeiterin beschäftigt ist, wird für die Hobracks zum Glücksfall: Die Mutter wird verbeamtet. Trotzdem lebt die Familie nach der Trennung der Eltern zeitweise in Armut.

"Eine Mutter, die bis zur Erschöpfung für den Bildungsaufstieg ihrer Kinder kämpft" resümierte Bas und bedankte sich bei Hobrack dafür, dass diese so offen über ihre Biografie schreibt und spricht. Was ihre Mutter von dem Buch hält, möchte ein Zuhörer wissen. Anfangs ist sie laut Hobrack gekränkt gewesen, dass ihre Tochter von einem bildungsfernen Elternhaus schreibt. Doch mittlerweile sei sie stolz auf das Buch. "Meine Mutter wäre selbst nie auf die Idee gekommen, dass ihr Lebensweg irgendjemanden interessieren könnte", sagte Hobrack.