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Foto: picture alliance/imageBROKER/Daniel Schoenen
Die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament stehen im Frühjahr 2024 an. Die neuen Sperrklauseln sollen aber erst bei der übernächsten Wahl im Jahr 2029 wirksam werden.

Neue Regeln für Europawahlen : Zwei-Prozent-Hürde für Europawahlen beschlossen

Mit einer Zweidrittelmehrheit hat der Bundestag eine Mindesthürde von zwei Prozent für den Einzug ins Europaparlament ab 2029 beschlossen.

19.06.2023
2024-02-28T16:04:58.3600Z
3 Min

Bundestags- und Europawahl unterscheiden sich bisher in einem wichtigen Punkt: Bei Bundestagswahlen gilt für die Parteien eine Sperrklausel, bei der Europawahl nicht. Deutschland ist damit zusammen mit Spanien europaweit eine Ausnahme. 2019 zogen Abgeordnete aus 14 deutschen Parteien ins Europäische Parlament (EP) ein, darunter sehr kleine wie die Satirepartei "Die Partei", Volt oder die Tierschutzpartei. Von ihnen hätte mit einem Stimmenergebnis von 2,4 Prozent nur "Die Partei" Sitze im EP bekommen, hätte es schon eine Zwei-Prozent-Hürde gegeben.

Die aber soll mit dem sogenannten Direktwahlakt 2018, kurz DWA 2018, den der Rat der Europäischen Union am 13. Juli 2018 beschlossen hat, ab der übernächsten Europawahl im Jahr 2029 in ganz Europa - mindestens - kommen. Den Mitgliedstaaten steht es im Bereich von zwei bis fünf Prozent frei, wie hoch die Schwelle letztlich ausfällt.

Direktwahlakt von fast allen Staaten ratifiziert

Inzwischen haben alle Länder außer Deutschland, Spanien und Zypern den Direktwahlakt 2018 ratifiziert, Deutschland ist der Ratifizierung vergangene Woche immerhin ein Stück näher gekommen: Das von der Bundesregierung im Mai vorgelegte Zustimmungsgesetz zum DWA 2018 - zwingend aufgrund von Regelungen im Grundgesetz und im Integrationsverantwortungsgesetz - nahm die erste Hürde und passierte den Bundestag mit der von der Bundesregierung für notwendig befundenen Zweidrittelmehrheit von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und CDU/CSU-Fraktion. AfD und Linke, die Nachteile für kleinere Parteien fürchten, lehnten den Entwurf ab. Auch ein gleichlautender Gesetzentwurf der Unionsfraktion und ein weiterer Entwurf der Union für eine Änderung des Europäischen Wahlgesetzes fanden keine Mehrheit.

Damit die Sperrklausel in Kraft tritt, muss nun - ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit - noch der Bundesrat zustimmen. Doch das letzte Wort könnte einmal mehr das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) haben. Schließlich gab es in Deutschland derartige Mindesthürden für die Europawahl bereits - das Gericht hat sie zweimal, 2011 und 2014, gekippt. In beiden Fällen sahen die Richter keinen Grund, mit einer Sperrklausel so erheblich in die Stimmrechtsgleichheit und in die Chancengleichheit der Parteien einzugreifen.

Dass es auch im dritten Anlauf so sein könnte, stellte in einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses der Rechtswissenschaftler Ulrich Vosgerau von Universität Köln in Aussicht. Jede Hürde im Wahlrecht führe dazu, "dass die Stimmen von Hunderttausenden Wahlberechtigten vom Tisch fallen", sagte er. Während die Karlsruher Richter die Sperrklausel bei der Bundestagswahl unter anderem damit gerechtfertigt haben, dass der Deutsche Bundestag die Regierung trage, falle diese starke verfassungsrechtliche Begründung auf EU-Ebene aus.

Experten halten auch höhere Hürden für zulässig

Die drei weiteren geladenen Experten hatten indes keine Bedenken - die Argumente, die das BVerfG damals vorgebracht habe, würden mit dem Inkrafttreten des DWA 2018 nicht mehr gelten, urteilten sie. Denn damit gebe es jetzt eine europarechtliche Vorgabe, betonte Bernd Grzeszick von der Universität Heidelberg. Auch Patrick Hilbert von der Universität Münster sagte, ein mit Zweidrittelmehrheit beschlossenes Zustimmungsgesetz sei verfassungsändernd, daher lasse sich ein verfassungsrechtliches Verbot nicht mehr begründen. Voraussetzung sei aber, dass die Sperrklausel nicht über das geforderte Minimum von zwei Prozent hinausgehe und erst zur übernächsten EP-Wahl nach Inkrafttreten des DWA 2018 eingeführt werde. Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld hielt demgegenüber auch eine höhere Hürde und ein früheres Inkrafttreten für zulässig.

Neue Regeln für Europawahlen

🗳 Der sogenannte Direktwahlakt 2018 legt für den Einzug in das Europäische Parlament ab 2029 eine Hürde zwischen zwei und fünf Prozent fest. Wie hoch sie letztlich ausfällt, können die EU-Mitgliedstaaten selbst entscheiden. 

📝 Am 3. Mai 2022 hat das Europäische Parlament außerdem den Direktwahlakt 2022 beschlossen. Die Sperrklausel soll danach in größeren Staaten bei 3,5 Prozent liegen. Geplant ist außerdem eine gesamteuropäische Wahlliste und eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Auch soll es geschlechterparitätische Wahllisten geben.

✍🏻 Der Direktwahlakt muss aber erst von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden.



Der DWA 2018 könnte indes schon bald überholt sein. Denn im März 2022 stimmte das EU-Parlament für eine noch umfassendere Wahlreform, die unter anderem darauf abzielt, dass Parteien mit einem Stimmenanteil von weniger als 3,5 Prozent in den größeren EU-Staaten nicht ins EP einziehen dürfen.