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Interview mit Michael Roth (SPD) : "Israel hat das Recht, sich mit harten Maßnahmen zu verteidigen"

Israel muss im eigenen Land wieder in Sicherheit leben können, sagt der SPD-Außenpolitiker Michael Roth. Bei den Deutschen vermisst er Empathie.

14.10.2023
2024-02-23T09:13:51.3600Z
5 Min

Herr Roth, viele fragen sich nach den brutalen Angriffen der Hamas auf Israel, wie Hunderte Terroristen einfach nach Israel gelangen und dort mehrere Stunden lang unbehelligt morden konnten. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Michael Roth: Der israelische Botschafter in Berlin, Ron Prosor, hat das sehr offen und selbstkritisch gesagt: Nicht nur wir im Westen, in Europa und den USA, sondern auch viele Menschen in Israel, haben die diabolische Gewaltbereitschaft der Hamas-Terroristen unterschätzt. Niemand hat diese Taten für möglich gehalten. Umso wichtiger ist jetzt, dass diesem Terror endlich die Grundlage entzogen wird.

Foto: Michael Farkas

Michael Roth (SPD) sitzt seit 1998 im Bundestag und leitet dort seit 2021 den Auswärtigen Ausschuss.

Staatspräsident Isaac Herzog hat in den letzten Monaten wiederholt gewarnt, der gesellschaftliche Streit über den von der ultrarechten Regierung unter Benjamin Netanjahu betriebenen Umbau des Justizwesens könne auch die nationale Sicherheit gefährden. Hat das niemand ernst genommen?

Michael Roth: Netanjahu ist von der israelischen Zivilgesellschaft und der Opposition scharf kritisiert worden für den Versuch, den Rechtsstaat abzubauen. Viele Reservistinnen und Reservisten wollten keinen Militärdienst mehr leisten. Diese Spaltung des Landes hat laut Experten die Verteidigungsfähigkeit des Landes geschwächt. Dass die Regierung nun, nachdem mehr als 1.200 Menschen ermordet wurden, massiver Kritik ausgesetzt ist, zeichnet eine lebendige und streitbare Demokratie aus.

Die Gewalt hat in den vergangenen Jahren auf beiden Seiten zugenommen, bei militanten Palästinensern ebenso wie auf Seiten der zunehmend radikalisierten Siedlerbewegung. Warum hat es trotzdem keine nennenswerten Initiativen für eine Friedenslösung gegeben?

Michael Roth: Tatsächlich haben wir uns in Deutschland und Europa um einen nachhaltigen Frieden im Nahen Osten nicht bemüht. Wir spielen als Friedensstifter im Nahen Osten keine große Rolle. Das liegt auch daran, dass die EU in Israel nicht als besonders glaubwürdige Maklerin anerkannt ist. Aber auch an Initiativen aus den USA hat es gemangelt. Dieser Umstand ist aber keine Rechtfertigung für diesen furchtbaren Terror gegenüber der israelischen Bevölkerung. Israel ist das Opfer, die Hamas-Terroristen sind die Täter. Punkt. Einen Frieden mit der Hamas kann es ohnehin nicht geben. Hamas kämpft nicht für Gerechtigkeit für das palästinensische Volk oder eine Zweistaatenlösung. Sie will Israel zerstören. Das muss bei uns allen auf erbitterten Widerstand stoßen.

Wie groß ist die Gefahr, dass der Iran oder andere militante Palästinenserorganisationen wie die Hisbollah im Libanon die fragile Situation nutzen und ebenfalls militärisch gegen Israel vorgehen?

Michael Roth: US-Präsident Joe Biden hat das klar formuliert: Wagt es nicht - wir werden dafür sorgen, dass dieses geschundene Land so wehrhaft ist, dass es für Euch sehr riskant wäre, es zu attackieren. Dieses Stoppschild wird hoffentlich Wirkung entfalten. Die Feinde Israels in der Region wissen ganz genau, dass sie es in Israel mit einer der besten Armeen der Welt zu tun haben, die in einer engen militärischen Partnerschaft mit den USA äußerst stark ist.

Aber auch ohne direkte Konfrontation kann der Iran als Unterstützer von Hamas und Hisbollah Israel weiter massiv schaden. Selbst wenn ihm keine direkte Beteiligung an den Angriffen der Hamas nachgewiesen werden kann, wären diese ohne Waffen und Geld aus dem Iran so wohl kaum möglich gewesen.

Michael Roth: Deswegen geht es jetzt darum, den Terrorismus der Hamas zu stoppen. Ein für allemal. Das ist schwer, aber es gibt auch positive Entwicklungen. So haben die Friedensbemühungen Israels im islamischen Raum in den vergangenen Jahren durchaus Früchte getragen. Es hat stabile Beziehungen mit ehemaligen Feinden aufgebaut, etwa mit Bahrein, Sudan, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Marokko. Gerade hat Israel Friedensverhandlungen mit Saudi-Arabien geführt. Der Krieg bremst diesen Prozess zwar aus, aber ich habe Hoffnung, dass es weiter eine Chance auf Verständigung gibt.

Der Iran stellt das Existenzrecht Israels offen infrage. Warum verhandelt die Bundesregierung trotzdem mit Teheran über dessen Nuklearprogramm, als wäre das Regime ein weitgehend normaler Gesprächspartner?

Michael Roth: Die Iranpolitik Deutschlands und der EU zielte bisher vor allem darauf ab, den Iran unter allen Umständen von der Herstellung von Atomwaffen abzubringen. Das war völlig richtig. Doch es hat sich gezeigt, dass man mit diesem Terrorregime nicht auf verlässlicher Basis zusammenarbeiten kann. Das Atomabkommen ist faktisch tot, weil das Regime es hat sterben lassen. Wir müssen den Iran jetzt noch stärker isolieren, etwa durch weitere Sanktionen. Wir in Deutschland müssen als nach wie vor wichtigster Handelspartner des Iran in Europa unsere wirtschaftliche Kooperation massiv zurückfahren.


„Israelis müssen in ihrem eigenen Land wieder in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können.“
Michael Roth, SPD

Schon jetzt will die Bundesregierung alle Hilfen für die Menschen in den Palästinensergebieten auf den Prüfstand stellen. Heißt das, sie hat bisher nicht so genau hingeschaut, ob sie direkt oder indirekt Terroristen zugute kommen?

Michael Roth: Wir müssen jedenfalls noch genauer hinsehen. Ich halte es nach wie vor für richtig, dass die Menschen in Gaza über Nahrungsmittel, sauberes Wasser und eine medizinische Grundversorgung verfügen. Aber manche fragen seit Jahren: Warum bezahlt Ihr Beton für Schulen und Krankenhäuser, während die Hamas ihr Geld in Beton für Munitionsdepots, Waffenlager und Tunnel investiert? Es ist das Dilemma von Entwicklungszusammenarbeit in autoritären Staaten, dass sie Gutes erreichen will, damit aber auch zur Stabilisierung von Diktaturen und Terrorregimen beitragen kann.

Der Bundeskanzler hat im Bundestag noch mal versichert, dass Deutschland fest an der Seite Israels steht. Wie kann es das Land jetzt konkret unterstützen?

Michael Roth: Das Wichtigste ist es, unserer eigenen Bevölkerung zu erklären, warum Israel das Recht und die Pflicht hat, mit teils sehr harten Maßnahmen gegen die Hamas-Terroristen vorzugehen. Israelis müssen in ihrem eigenen Land wieder in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können - und uns in Deutschland steht es gut an, Solidarität zu zeigen, statt immer etwas oberlehrerhaft zu erklären, was die Israelis dabei gefälligst zu beachten haben. Diese Debatte führt die kritische Zivilgesellschaft in Israel selbst. Die brauchen keine Nachhilfe aus Deutschland.

Der Kanzler hat das Recht Israels auf Selbstverteidigung ja betont. Aber gilt das grenzenlos? Die Vereinten Nationen haben die Abriegelung des Gaza-Streifens bereits als Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht verurteilt.

Michael Roth: Israel ist eine liberale, rechtsstaatliche Demokratie und wird die Prinzipien des Völkerrechts achten. Aber klar ist auch: Das ist ein Krieg. Er wird furchtbar sein. Er wurde von der Hamas begonnen und Israel muss sich entschlossen verteidigen. Es ist erschütternd, wie schwer es vielen in Deutschland fällt, dafür Verständnis und Empathie aufzubringen. Erst recht gehen mir die Bilder von den Solidarisierungsbekundungen mit den Terroristen auf deutschen Straßen nicht aus dem Kopf.

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Das antisemitische Berliner Netzwerk Samidoun, das sie organisiert hat, soll nun verboten werden, für die Hamas soll es ein Betätigungsverbot geben. Warum kommt beides erst jetzt?

Michael Roth: Wir haben dem Thema lange nicht die notwendige Bedeutung beigemessen. Dabei haben wir vor dem Hintergrund unserer Geschichte eine besondere Pflicht, jüdisches Leben zu schützen. Es beschämt mich zutiefst, dass uns dies nicht so gelingt, wie es notwendig wäre. Die Tatsache, dass Antisemitismus und Judenhass auch in Deutschland seit Jahren zunehmen, macht den Kampf um das Existenzrecht Israels umso wichtiger. Israel ist und bleibt für Jüdinnen und Juden aus aller Welt der letzte Zufluchtsort.

Michael Roth (SPD) sitzt seit 1998 im Bundestag und leitet dort seit 2021 den Auswärtigen Ausschuss.