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Polnische Parlamentswahlen : Kommt es zum Bündnis mit den Rechtsextremen?

Polens Regierungspartei PiS hat viel unternommen, um einen Machtwechsel zu erschweren. Bei der Wahl dürfte sie aber die absolute Mehrheit verpassen.

14.10.2023
2024-02-23T12:54:30.3600Z
4 Min

Der neueste Wahlspot von Polens Regierungspartei PiS spielt wenige Tage vor der Entscheidung an den Urnen vom Sonntag noch einmal mit der Angst: Der Krieg in der Ukraine, die "Invasion von Flüchtlingen an der Grenze zu Belarus", die Energiekrise, Inflation und Covid. "Hätte Donald Tusk mit seiner Chaos-Regierung darauf eine Antwort gehabt?", fragt Premierminister Mateusz Morawiecki. In dunklen Farben wird sodann eine herzlose Politik der Vorgänger gezeichnet, die die Bürger zwischen 2007 und 2015 in Armut und Verzweiflung getrieben habe. Dann werden die Farben wieder hell: "PiS bedeutet konkrete Taten, gehaltene Wahlversprechen, reale Problemlösungen", sagt Morawiecki und verspricht neue, bessere Renten und Wohnungsbauprogramme.

Spots der liberalen Opposition wirken blass

Polens liberale und linke Opposition wirbt dagegen für eine Lockerung des rigiden Abtreibungsgesetzes, eingetragene Lebenspartnerschaften für jegliche Geschlechter, ein besseres Gesundheitssystem und einen geringeren Einfluss der katholischen Kirche. Doch ihre Wahlspots in TV und Internet wirken verglichen mit PiS oft zahm und farblos.

Davon hebt sich einzig die rechtsextreme "Konföderation" ab, die vor allem Online präsent ist und gezielt mit dem Bürgerwunsch nach Niedrigsteuern und der Abneigung gegen die rund eine Million ukrainischen Flüchtlinge im Land spielt.

Foto: picture alliance/dpa

Donald Tusk (links) hat wenig Chancen gegen den amtierenden Regierungschef Mateusz Morawiecki (rechts) - die Opposition hat es trotz monatelanger Verhandlungen nicht geschafft, sich zu einen.

Ausgerechnet die „Konföderation“ dürfte das Zünglein an der Waage werden, wenn Jaroslaw Kaczynskis konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) – wie alle neueren Umfragen andeuten – zwar erneut stärkste Partei in Polen, aber keine absolute Mehrheit mehr im Parlament erreichen würde. Ideologisch sind die Rechtsextremen PiS am nähesten; ein paar ihrer Vertreter haben von 2005 bis 2007 mit der ersten Kaczynski-Regierung zusammengearbeitet. Der neue „Konföderation“-Chef Slawomir Mentzen hat im Wahlkampf versprochen, keine Koalition mit PiS einzugehen. Doch dies könnte sich am Tag nach der Wahl rasch ändern. 

PiS setzt im Wahlkampf auf Angst vor Geflüchteten

Im Wahlkampf pocht die PiS immer wieder auf die gewachsene Bedeutung Polens als Nato-Frontstaat, bedient aber auch die kriegsbedingten Ängste der Polen vor einer Invasion, vor Fremden und sozialen Nöten. Wie im Wahlkampf von 2015 – der PiS nach acht langen Jahren zurück an die 2007 vorzeitig verlorene Macht gebracht hatte – geht es auch diesmal viel um die Angst vor Geflüchteten: PiS-Spots zeigen brennende Autos in den Pariser Vorstädten, endlos erscheinende Kolonnen dunkelhäutiger Männer und Steine werfende Migranten an der Grenze zu Belarus. 

Dazu spielt PiS erneut die „deutsche Karte“, ein Schachzug Kaczynskis zur Verunglimpfung seines liberalen Erzfeindes Donald Tusk, des einstigen EU-Ratsvorsitzenden. Kaczynkis Behauptung ist einfach und suggestiv zugleich: Tusk, Vorsitzender der von ihm einst mitgegründeten Bürgerplattform (PO), sei ein Lakai Berlins, der in seiner Regierungszeit von 2007 bis 2014 die pro-russische Politik Angela Merkels in Polen vertreten habe und heute die deutsche Hegemonie in der EU wiederherstellen und die Bezahlung von Reparationen für den Zweiten Weltkrieg verhindern wolle. Diese Verschwörungstheorie verfängt vor allem bei älteren Bürgern, denn sie greift gezielt auf Versatzstücke der kommunistischen anti-westlichen Propaganda zurück. 

Polnische Opposition bleibt uneins

Um das Gefühl der äußeren Bedrohung zu verstärken, hat die PiS-Regierung, dem Vorbild Viktor Orbans in Ungarn folgend, am Tag der Parlamentswahl noch ein Referendum mit Fragen zur Migrations-, Sicherheits- und Privatisierungspolitik angesetzt. 
Die Opposition, die es im Vorfeld trotz monatelanger Verhandlungen nicht geschafft hat, sich auf eine Einheitsliste zu einigen, ruft mehrheitlich zum Boykott dieses Referendums auf. Gleichzeitig versucht sie, eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. So gibt es spezielle Kampagnen, die sich an Frauen, Jugendliche und Nichtwähler richten. In diesen Kreisen sieht sie noch Potenzial. Rund 30 Prozent der Polen wollen laut Umfragen nicht an die Urnen gehen, etwa acht Prozent wissen noch nicht, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen. 


„Ich ziehe es vor, mit den Polen statt mit dem Lügner Donald Tusk zu sprechen.“
Jaroslaw Kaczynski der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS)

Immer mehr Polen sind indes ermüdet vom nunmehr bereits fast 20 Jahre dauernden Zweikampf zwischen den beiden Altpolitikern Kaczynski (74) und Tusk (66), die sich immer aggressivere Schlammschlachten liefern. So lehnte PiS-Chef Kaczynski eine TV-Debatte mit Tusk mit dem Verweis ab, mit „Lügnern“ würde er nicht reden. Tusk wiederum schimpfte Kaczynski einen „Feigling“ und bezeichnete ihn als weltfremden Junggesellen. Der Streit der beiden einstigen „Solidarnosc“-Dissidenten Kaczynski und Tusk bindet mittlerweile auch Ressourcen des polnischen Staates. So hat PiS in den vergangenen acht Jahren viel unternommen, um einen liberalen Machtwechsel zu erschweren.

Gegen Polen läuft Rechtstaatsverfahren der EU

Der sofort nach dem Wahlsieg vom Herbst 2015 einsetzende Umbau der Staats-, Justiz- und Medienlandschaft mag zwar teils ideologisch begründet sein, er beeinflusst inzwischen aber auch künftige Wahlen. So befindet sich etwa das Oberste Gericht, das die Rechtmäßigkeit der Wahlergebnisse bestätigen muss, inzwischen fast völlig in den Händen von regierungsnahen Richtern. Das Gleiche gilt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dazu wurden bereits 2016 das Verfassungsgericht, der Landesjustizrat und die Bezirksgerichte den Bedürfnissen der PiS unterworfen. Diese umstrittene Justizreform hat Warschau mehrere EU-Rechtsstaatsverfahren eingehandelt und zum Einfrieren von rund  35 Milliarden Euro aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds geführt. 

Landesweit hochgerechnet deuten die Umfragen der vergangenen Tage auf einen Vorsprung von PiS und „Konföderation“ von vier Parlamentssitzen vor den drei möglichen oppositionellen Koalitionsparteien PO, Linke und „Dritter Weg“ hin. Sie könnten 228 von 460 Sitzen im Sejm gewinnen. In Prozenten schneidet PiS regelmäßig rund fünf Prozent besser ab als die PO. 


Kommt es so, würde Staatspräsident Andrzej Duda nach Bestätigung der offiziellen Ergebnisse durch das Oberste Gericht dem heutigen Regierungschef Morawiecki den Regierungsbildungsauftrag übertragen. PiS hätte danach 30 Tage Zeit, die rechtsextreme „Konföderation“ mit ins Boot zu holen, sei es in einer formellen Regierungskoalition oder für eine von der „Konföderation“ geduldete Minderheitsregierung.     

Der Autor ist freier Journalist in Polen.