
Frankreich in der Krise : Macrons letzte Patrone
Verteidigungsminister Sébastien Lecornu soll nun als neuer Regierungschef die Blockade in Frankreich auflösen. Falls er scheitert, drohen Neuwahlen.
Amtsübergaben sind im Hôtel de Matignon, dem Sitz des französischen Regierungschefs, längst Routine. Das Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert erlebte seit 2017 sieben Premierminister. Keiner von ihnen hielt jedoch eine so kurze Antrittsrede wie Sébastien Lecornu. In nur drei Minuten kündigte der 39-Jährige am Mittwoch einen neuen Kurs an. "Es braucht einen Bruch. Nicht nur in der Form, sondern auch in der Methode", sagte der scheidende Verteidigungsminister. Dabei wolle er "kreativ" sein und auch mit der Opposition sprechen.
Sein Vorgänger François Bayrou hörte sich die Worte äußerlich ungerührt an. Doch Lecornus Rede richtete sich vor allem gegen ihn. Das Parlament hatte dem 74-Jährigen am Montag das Vertrauen entzogen, weil es seine Sparpläne mehrheitlich ablehnt. 364 Abgeordnete stimmten gegen, nur 194 für ihn. Sogar einige Konservative, die zu seiner Regierungskoalition gehörten, votierten mit Nein. Bayrou hatte es den ganzen Sommer über versäumt, mit der Opposition über sein Haushaltsprojekt zu diskutieren.
Proteste gegen den geplanten Sparhaushalt der französischen Regierung
Angesichts der Rekordverschuldung Frankreichs wollte der Zentrumspolitiker knapp 44 Milliarden Euro im nächsten Haushalt einsparen und dafür unter anderem zwei Feiertage streichen. Gegen seine Pläne protestierten am Mittwoch rund 200.000 Menschen, die sich in der Bewegung “Bloquons tout” ("Lasst uns alles blockieren") zusammengetan hatten.

Unter dem Motto "Lasst uns alles blockieren" ("Bloquons tout") demonstrierten wie hier in Paris in ganz Frankreich am Mittwoch rund 200.000 Menschen gegen die Sparpläne.
Der Premierminister hinterlässt seinem Nachfolger nun die schwierige Aufgabe, bis zum Jahresende das Budget für das nächste Jahr zu verabschieden. Den mit seinem Abgang ist die Haushaltskrise Frankreichs, das 3,34 Billionen Euro Schulden hat, nicht gelöst. "Sie können die Regierung stürzen, aber nicht die Realität auslöschen", warnte der Christdemokrat in seiner letzten Rede vor dem Vertrauensvotum.
Der neue Premierminister Lecornu muss Mehrheiten im gespaltenen Parlament finden
Lecornu, der wie Bayrou nur eine Minderheitsregierung führen wird, dürfte nun auf die Unterstützung der Sozialisten setzen. Die Partei ist mit ihren 66 Abgeordneten das Zünglein an der Waage. Sie will aber nur kooperieren, wenn ihre Forderungen erfüllt werden. Dazu gehört eine Besteuerung großer Vermögen und die Aussetzung der umstrittenen Rentenreform, die eine Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre vorsieht. "Wir werden viel mehr verlangen als beim letzten Mal", kündigte der Fraktionschef der Sozialisten im Senat, Patrick Kanner, an.
Der Macron-Vertraute und ehemalige Konservative Lecornu ist für den Parti socialiste (PS) ein rotes Tuch. Kanner kritisierte seine Ernennung gar als "Provokation". Doch Lecornu ließ sich davon nicht entmutigen und machte bereits eine Geste an die Sozialisten: Er kündigte ein neues "Konklave" zur umstrittenen Rentenreform an. Im Frühjahr hatten die Sozialpartner erfolglos über Nachbesserungen bei der Rente mit 64 verhandelt. Die Gespräche waren ein Zugeständnis Bayrous an den PS gewesen, der daraufhin im Parlament den Haushalt passieren ließ.
Die Sozialisten scheuen eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Laut einer vergangene Woche veröffentlichten Umfrage würde davon vor allem der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen profitieren. Macron hatte bereits im vergangenen Jahr das Parlament aufgelöst, nachdem seine Partei bei den Europawahlen eine Niederlage erlitten hatte. Die Dreiteilung der Nationalversammlung in einen Block der Mitte, ein Linksbündnis und Le Pens RN war die Folge.
Le Pen drängt auf Parlamentsauflösung und Neuwahlen
Auch wenn die Rechtspopulisten bei Neuwahlen die absolute Mehrheit verfehlen dürften, setzt Le Pen genau darauf: "Die Auflösung des Parlaments ist keine Option, sondern eine Verpflichtung", sagte sie vor der Nationalversammlung. Sie selbst könnte allerdings bei Wahlen vorerst nicht kandidieren, da ein Pariser Strafgericht sie im Frühjahr wegen der Veruntreuung von EU-Geldern zu fünf Jahren Unwählbarkeit verurteilt hatte. Die 57-Jährige kritisierte Lecornus Ernennung ebenfalls scharf. "Der Präsident schießt die letzte Patrone des Macronismus ab", schrieb sie im Kurznachrichtendienst X.
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Falls der neue Premierminister scheitert, dürften die Rücktrittsforderungen an Macron lauter werden. Die Linksaußenpartei La France Insoumise (LFI) fordert diesen Schritt bereits jetzt. "Wir wollen keinen x-ten Premierminister. Die Frage, die sich dem Land jetzt stellt, ist der Abgang des Präsidenten", sagte LFI-Fraktionschefin Mathilde Panot.
Präsident Macron schließt aber aus, vor dem regulären Ende seiner Amtszeit zurückzutreten. "Das Mandat, das mir die Franzosen anvertraut haben, wird bis zum Ende ausgeübt werden."
Die Autorin ist freie Korrespondentin in Paris.