Piwik Webtracking Image

Foto: picture alliance / SIPA
Gegen die Sparpläne von Präsident Emmanuel Macron sind in den vergangenen Tagen in Frankreich wieder Tausende Menschen auf die Straße gegangen.

Schuldenabbau in Frankreich : "Die Parteien sind derzeit unfähig zum Kompromiss"

Frankreich-Expertin Ronja Kempin erwartet keine schnelle Lösung im Haushaltsstreit. Niemand wolle seine Chancen auf die Präsidentschaft schmälern.

11.09.2025
True 2025-09-11T16:18:27.7200Z
5 Min

Frau Kempin, mit Frankreich strauchelt Europas zweitgrößte Wirtschaftsnation. Könnte die hohe Schuldenquote für die gesamte Eurozone zum Problem werden?

Ronja Kempin: Viele Ökonomen sind besorgt, dass eine neue Eurokrise auf Länder mit einer ähnlich hohen Staatsverschuldung übergreifen könnte, auf Italien, Griechenland oder Portugal. Ob das so kommt, hängt meines Erachtens davon ab, wie schnell die aktuelle politische Krise behoben und der Haushalt konsolidiert werden kann. Die Frage ist allerdings, welcher Sparkurs sich durchsetzen wird. Die Parteien haben in den vergangenen Monaten viele alternative Vorschläge auf den Tisch gelegt, allerdings sind diese vom Einsparvolumen her deutlich hinter den Vorschlägen des jetzt zurückgetretenen Premiers François Bayrou zurückgeblieben.

Bayrou ist der vierte Regierungschef in drei Jahren, der wegen des Streits um den Staatshaushalt gehen muss. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die Parteien jetzt auf eine gemeinsame Lösung verständigen?

Ronja Kempin: Das ist schwer abzusehen. Leider scheinen die demokratischen Kräfte derzeit unfähig, einen Kompromiss zu schließen. Das spielt insbesondere dem rechten Rassemblement National von Marine Le Pen beziehungsweise Jordan Bardella in die Hände, der immer mehr Zulauf erfährt. Das Ganze hat auch mit der politischen Kultur in Frankreich zu tun, die anders als bei uns nicht auf Konsens ausgerichtet ist. Der französische Präsident hat große Macht und alle politischen Kräfte im Land haben nur ein Ziel: den Elysée Palast. Niemand will seine Chancen auf die Präsidentschaft durch Zugeständnisse an Kontrahenten schmälern. So werden Kompromisse verunmöglicht.


„Es ist klar, dass Macron sich jetzt sehr viel stärker als in den vergangenen zwei Jahren in der Innenpolitik engagieren muss.“
Ronja Kempin

Wie viel Verantwortung trägt Präsident Macron für die Lage?

Ronja Kempin: Er ist maßgeblich dafür verantwortlich. Zum einen hat er die Verschuldung noch mal kräftig nach oben getrieben, um die Folgen der Corona-Pandemie mit milliardenschweren Hilfsprogrammen abzufedern. 2024 hat er die Nationalversammlung überstürzt und aus meiner Sicht völlig grundlos aufgelöst. Die Folge ist ein extrem zersplittertes Parlament mit noch stärkeren Parteien am linken und rechten Rand; Mehrheiten kommen so nicht mehr zustande. Sein größter Fehler aber war es, dass er die Sorgen der Menschen nicht ernst genommen hat. Macron hat harte und notwendige Reformen durchgeführt, bei Arbeitsmarkt und Rente, und sie haben der Wirtschaft auch geholfen. Aber er hat dabei die Überzeugung ausgestrahlt: Nur ich weiß, was für Euch richtig ist. Das nehmen ihm viele Menschen übel.

Kann ein innenpolitisch gelähmtes Frankreich auch für die EU zum Problem werden?

Ronja Kempin: Es ist klar, dass Macron sich jetzt sehr viel stärker als in den vergangenen zwei Jahren in der Innenpolitik engagieren muss. Ihm läuft die Zeit davon mit Blick auf die Konsolidierung des Haushalts und die Stabilisierung des politischen Systems. Andererseits ist die Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik in Frankreich exklusives Vorrecht des Präsidenten. Macron hat im Unterschied zum deutschen Bundeskanzler viel mehr Handlungsspielraum und ist nicht auf die Zustimmung des Parlaments angewiesen, wenn er beispielsweise Friedenstruppen für die Ukraine organisieren will.

Foto: SWP
Ronja Kempin
gehört der Forschungsgruppe EU-Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) an. Schwerpunkt ihrer Arbeit sind die deutsch-französischen Beziehungen und der Populismus in Frankreich.
Foto: SWP

Aber um wie versprochen die nationalen Verteidigungsausgaben zu erhöhen, braucht er schon die Zustimmung des Parlaments.

Ronja Kempin: Das hängt in der Tat davon ab, ob es 2026 einen regulären Haushalt geben wird. Ich sehe in dieser Frage aber interessanterweise einen parteiübergreifenden Konsens. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Verteidigungsausgaben auf einem hohen Niveau erhalten bleiben und nicht der Sparpolitik zum Opfer fallen.

Deutschland und Frankreich ziehen inzwischen bei wichtigen Themen, etwa der Unterstützung der Ukraine, an einem Strang. Könnte die politische Krise in Frankreich das wieder ändern?

Ronja Kempin: Mit einer neuen Regierung kommen auch wieder neue Gesichter. Da muss erneut Vertrauen aufgebaut werden, bevor man gemeinsame Vorhaben voranbringen kann. Die Regierungskrise setzt also ein weiteres Pausezeichen, was besonders schade ist, da wir tatsächlich gerade eine Wiederbelebung der bilateralen Zusammenarbeit erleben. Perspektivisch müssen wir uns aber ohnehin auf neue Akteure in der französischen Politik einstellen, denn Macron kann bei den Präsidentschaftswahlen 2027 nicht mehr antreten.

Wie geschickt ist es von Macron, mit Sebastien Lecornu wieder einen Vertrauten aus dem eigenen Lager zum Regierungschef zu machen und damit erneut die links-grüne Mehrheit im Parlament zu übergehen?

Ronja Kempin: Für die Opposition ist das eine Provokation. Macron scheint zu hoffen, dass Lecornu mehr Geschick in den Haushaltsverhandlungen aufbringt. Aber er bietet dem linken Lager keine Anreize, ihm inhaltlich entgegenzukommen. Die politische Blockade lässt sich so nicht auflösen. Wenn Lecornu scheitert, scheitern nicht nur die Haushaltsverhandlungen. Macron müsste dann wohl erneut das Parlament auflösen. Dem Rassemblement National wäre damit die Tür zur Macht geöffnet.

Mehr zur Lage in Frankreich

Marine Le Pen und Jordan Bardella vor Publikum
Nach dem Urteil gegen Marine Le Pen: Die Hoffnung der Rechtspopulisten kämpft gegen das politische Aus
Marine Le Pen attackiert nach ihrer Verurteilung wegen Veruntreuung von EU-Geldern die zuständigen Richter - und schadet damit womöglich sich selbst.
Fankreichs Präsident Emmanuel Macron geht umrahmt von Soldaten durch das Schloss Versailles.
Regieren in Frankreich: Royaler Stil im Elysée-Palast
Der französische Präsident ist eine Art demokratisch legitimierter König. Seine Machtfülle hat er Charles de Gaulle zu verdanken.
Der Co-Vorsitzende der Versammlung, Andreas Jung (CDU, Mitte) mit Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU, links) bei der Sondersitzung am Mittwoch in Berlin
Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung: "Wir alle wollen, dass Schengen gut funktioniert"
Die Innenminister Deutschlands und Frankreichs verteidigen die Kontrollen an den Binnengrenzen als vorübergehend. Am Schengen-Raum wollen sie festhalten.