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Wahlen in Spanien : Sánchez setzt alles auf eine Karte

Spaniens Regierungschef Sánchez will seine Linkskoalition durch vorgezogene Parlamentswahlen retten. Doch Konservative und Rechtspopulisten könnten triumphieren.

10.07.2023
2024-02-09T10:17:53.3600Z
4 Min

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez setzt alles auf eine Karte. Nur wenige Stunden nach der schmerzhaften Niederlage seiner Partei bei den Regional- und Kommunalwahlen Ende Mai kündigte der Sozialist an, die eigentlich im Dezember geplanten Parlamentswahlen vorzuziehen. Am 23. Juli wird Spanien entscheiden: Weiter mit einer Koalition aus der sozialistischen PSOE von Sánchez und dem linksalternativen Spektrum, das mit einem neuem Bündnis unter dem Namen Sumar antritt, oder aber eine rechte Regierung unter der Führung des Vorsitzenden der konservativen Partido Popular (PP), Alberto Nuñez Feijóo, mit der rechtsextremen VOX.

Spanien steht vor Richtungswahl

"Es ist notwendig, dass die Spanier klarstellen, welche Politik gemacht werden soll und welche Kräfte diese Politik umsetzen", erklärte Sánchez seine Entscheidung. Das Land steht jetzt vor einer Richtungswahl, wie es sie seit dem Ende der Herrschaft von General Francisco Franco 1975 nicht erlebt hat. Denn erstmals könnten mit VOX wieder die ideologischen Erben jener national-katholischen Diktatur ins Regierungskabinett einziehen.

Sánchez tritt die Flucht nach vorn an: Seit der Ankündigung zieht er durch die Morgenprogramme und stellt sich jenen Moderatoren, die seit Jahren Stimmung gegen ihn machen.

Nach den Neuwahlen am 23. Juli will Pedro Sánchez (links) weiterregieren. Doch die konservative PP unter Führung von Alberto Nuñez Feijóo (rechts) könnte gewinnen - für eine Regierung bräuchte sie aber die rechtsextreme VOX.   Foto: picture-alliance/EPA/S.Perez

Seit der Sozialist 2018 erstmals per Misstrauensvotum an die Macht kam und die wegen Korruption verurteilte PP ablöste, muss der Ministerpräsident für seine Politik werben. Seine Linkskoalition hat während Covid-Pandemie und Ukrainekrise den Sozialstaat in Spanien ausgebaut wie nie zuvor. Der Mindestlohn stieg um fast das Doppelte, die Renten wurden im zweistelligen Bereich angehoben, der Kündigungsschutz erweitert, ein Mieterschutz sowie Krisenhilfen für Selbstständige eingeführt. Ein breites Kurzarbeitsprogramm rettete Hunderttausende Arbeitsplätze und Tausende Unternehmen in der Tourismusbranche. Dank einer Energiepreispolitik, die der Spanier zusammen mit seinem portugiesischen Amtskollegen in Brüssel durchsetzte, stiegen die Strompreise in Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine weniger als im restlichen Europa. Ambitioniert zeigte sich die Linkskoalition auch in der Klimapolitik sowie bei der Gleichstellung sexueller Minderheiten: Nach der Ehe für alle ist Spanien einmal mehr Vorreiter mit einem Gesetz, das die Änderung des Geschlechts für Transsexuelle erleichtert.

Opposition will Großteil der Reformen zurücknehmen

All diese Maßnahmen konnte die linke Minderheitsregierung nur dank eines Sammelsuriums kleinerer linker Parteien und Vertretern aus Regionen wie dem Baskenland und Katalonien durchs Parlament bringen. PP und VOX stimmten selbst dann gegen Vorhaben, wenn sich - wie etwa bei der Arbeitsmarkt- oder Rentenreform - Gewerkschaften und Arbeitgeber geeinigt hatten. Für den Fall eines Wahlsiegs hat Feijóo bereits angekündigt, einen Großteil der Reformen zurücknehmen zu wollen. Ökonomisch ging es jedoch aufwärts: Während Länder wie Deutschland in die Rezession rutschen, wächst Spaniens Wirtschaft wie keine andere in Europa. Die Arbeitslosigkeit ist mit 12,7 Prozent so niedrig wie seit 15 Jahren nicht mehr. Auch die Jugendarbeitslosigkeit liegt erstmals seit Jahrzehnten unter 30 Prozent.

Dass die Sozialisten trotz dieser Erfolgsbilanz bei den Regional- und Kommunalwahlen verloren haben, liegt nicht zuletzt an einer geschickten Kampagne der spanischen Rechten. Seit Sánchez' Amtsantritt sprechen sie dem Sozialisten jegliche Legitimität ab. "Regierung Frankenstein" nennen sie die Koalition und meinen damit nicht nur das Bündnis der Sozialisten mit Linksalternativen und Postkommunisten, sondern auch die parlamentarische Unterstützung durch die "Feinde Spaniens", Parteien aus dem Baskenland und Katalonien.


„Was wir da sehen, ist die Vorschau eines Gruselfilms, einer Regierung PP-VOX.“
Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez

Kampagnenhöhepunkt war der Regionalwahlkampf. Für Feijóo und die PP gab es nur ein Thema: Die Unterstützung des baskischen Parteienbündnisses Bildu für Sánchez, zu dem auch ehemalige Mitglieder der vor über zehn Jahren aufgelösten Separatistenorganisation ETA gehören. "ETA lebt und ist an der Macht", lautete das Motto. Mit Hilfe der konservativen Medien und Morgenprogramme gelang es der PP so, aus dem Urnengang eine Art Referendum über den "Sánchismus" und seine vermeintliche Zerstörung der spanischen Einheit zu machen.

Das erfolgreiche Wahlkampfmodell hätte Feijóo gern weitergeführt. Doch die PP hat plötzlich ein Imageproblem: Sie regiert nun mit Unterstützung der VOX in sechs Regionen und mehr als einhundert Gemeinden - darunter 30 Provinzhauptstädte - und ist nicht zimperlich, wenn es um Zugeständnisse an die Rechtsextremen geht. In Regionen mit eigener Sprache wird Kastilisch wieder zur Hauptsprache ernannt. Umweltzonen mit PKW-Fahrverbot und Fahrradwege werden abgeschafft. Bürgermeister verbieten die LGBT-Flagge an öffentlichen Gebäuden. "Was wir da sehen, ist die Vorschau eines Gruselfilms, einer Regierung PP-VOX", warnt Sánchez. Der Sozialist glaubt fest daran, dass er Regierungschef bleiben kann. Er muss dazu nicht einmal gewinnen: Es reicht, dass PP und VOX keine absolute Mehrheit erreichen. Denn eine Rechtskoalition wird keine Unterstützung aus den Regionen mit eigener Kultur und Sprache erhalten. Das haben Parteien wie die im Baskenland regierende konservative PNV bereits angekündigt.

Wahlkampf bleibt spannend

Der Wahlkampf verspricht bis zuletzt spannend zu bleiben. Die Umfragen sind alles andere als eindeutig. Während die konservative Presse eine absolute Mehrheit für PP und VOX vorhersagt, geht das öffentliche Meinungsforschungsinstitut CIS davon aus, dass Sánchez erneut regieren wird.

Doch Prognosen sind in Spanien schwierig. "Am 23. Juli finden keine nationalen Wahlen statt, sondern 52 Wahlen auf Provinzebene. Ein Mehrfachspiel", erklärt die viel gelesene Internetzeitung eldiario.es. Die Parlamentssitze werden nach dem D'Hont-Auszählverfahren vergeben. Vor allem in kleinen und mittleren Provinzen, die zwei bis sechs Abgeordnete entsenden, führt dies zur Benachteiligung aller Parteien, die nicht auf den ersten beiden Plätzen landen. Bei den vergangenen Wahlen gab es Fälle, in denen die drittstärkste Partei mit 18 Prozent der Stimmen leer ausging. Bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen können eine Handvoll Stimmen in genau diesen Provinzen entscheidend sein. 

Der Autor ist Korrespondent der taz in Spanien.