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US-Wahl : Enges Rennen

Atempause für Präsident Joe Biden, blaues Auge für Vorgänger Donald Trump: Bei den "Midterms" schneiden die Demokraten besser ab als erhofft.

14.11.2022
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4 Min

Auch wenn er diesmal nicht komplett ins Schwarze traf - Michael Moore entwickelt sich zum stabilen Orakel für den Ausgang von wichtigen Wahlen in den Vereinigten Staaten. Nach der treffenden Vorhersage des Sieges von Donald Trump gegen Hillary Clinton 2016 hatte sich der links-progressive Film-Regisseur zuletzt gegen den Demoskopen-Mainstream gestellt und den Demokraten einen Erfolg bei den diesjährigen "midterms" prophezeit. "Jeder einzelne stinkende Verräter unserer Demokratie" werde aussortiert, polterte Moore. Was gemünzt war auf die Heerscharen von Wahl-Leugnern, die Donald Trumps Lügen-Saga von der "gestohlenen Wahl" zu ihrem Glaubensbekenntnis gemacht haben und dafür von ihm bei ihren Kandidaturen unterstützt wurden.

Foto: picture-alliance/Sarasota Herald-Tribune-USA TODAY/Mike Lang

Der wiedergewählte republikanische Gouverneur Floridas, Ron DeSantis, gilt als möglicher Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2024 - zum Unwillen von Ex-Präsident Trump.

Dagegen hatten die meisten US-Meinungsforscher bis zuletzt die Aussicht auf einen "roten Tsunami" betont, sprich: einen deklassierenden Sieg der Republikaner gegen die Partei von Präsident Joe Biden, dessen Beliebtheitswerte unter 40 Prozent dümpeln. Diese "rote Welle" blieb am 8. November eine Fata Morgana. Von den Wahl-Leugnern haben es dennoch viele ins Parlament geschafft. Aber Moore hat durchaus recht, wenn er von einer "blauen Wand" spricht, mit der die Demokraten Trump und der von ihm beherrschten republikanischen Partei Grenzen gesetzt hätten.

Dünner Vorsprung

Historisch betrachtet wird bei den alle zwei Jahre stattfindenden Zwischenwahlen der amtierende Präsident samt dessen Partei abgestraft. Sitz-Verluste zwischen 30 und 60 Mandaten sind keine Ausreißer. Diesmal kam es anders. Im Repräsentantenhaus, wo bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht alle 435 Wahlbezirke gerichtsfest ausgezählt waren, wird der dünne Vorsprung der "Grand Old Party" nach Analysten-Sicht voraussichtlich "um die zehn Mandate liegen". 218 braucht man zur Mehrheit. Im Senat wird, falls nicht in Arizona und Nevada durch die Zählung Tausender Briefwahl-Umschläge schnell Klarheit herrscht, am 6. Dezember in Georgia eine Nachwahl zwischen Herschel Walker (Republikaner) und Raphael Warnock (Demokraten) über die endgültige Machtverteilung entscheiden. Und damit darüber, wie eng das Zwangskorsett sein wird, in das Biden gesteckt werden soll.

Was ein Déjà-vu zu 2021 wäre. Damals hatten die Republikaner Kelly Loeffler und David Perdue in Georgia das Nachsehen gegen die Demokraten Jon Ossoff und Raphael Warnock. Der Wahlausgang bescherte den Demokraten im Senat eine hauchdünne Mehrheit von 51:50-Stimmen (inklusive Vizepräsidentin Kamala Harris als Patt-Auflöserin).


„Für die Konservativen wirkte sich die Einmischung von Donald Trump negativ aus.“

Negativ für die Konservativen wirkte sich die Einmischung von Donald Trump aus. Anstatt die konservativen Kandidaten nach Kräften zu promoten, überzog der ich-bezogene Immobilienunternehmer den Süd-Staat mit dem gerichtlich widerlegten Lamento von der gestohlenen Wahl. Um eine erneute Ablenkung der Wähler zu verhindern und Walker nicht zu schaden, wurde in den vergangenen Tagen massiv Druck auf Trump ausgeübt, seine indirekt für den 15. November angekündigte Bekanntgabe der Präsidentschaftskandidatur für 2024 zu verschieben. Bisher stieß das Ansinnen bei dem 76-Jährigen auf taube Ohren.

In den Kommentaren wie auch in großen Teilen der republikanischen Funktionärsklasse besteht Einvernehmen darüber, dass Trump "der große Verlierer" der Zwischenwahlen ist, die wie ein Propeller für seine präsidialen Ambitionen wirken sollten. Das Narrativ dazu: Weil Trump in Schlüssel-Bundesstaaten wie Pennsylvania und Georgia extreme oder mediokre Kandidaten und Wahl-Leugner protegierte, die der Wählerschaft nicht vermittelbar waren, hat er einen republikanischen Kantersieg verunmöglicht. Einen Sieg, der angesichts der Rahmendaten - hohe Inflation, große Unbeliebtheit Bidens, ungeklärte Einwanderung, gestiegene Kriminalität - wie ein Spaziergang hätte ausfallen können, heißt es etwa beim ehemaligen Gouverneur von New Jersey, Chris Christie.

Einige Republikaner fordern eine Emanzipation von Trump

Wagten sich bisher nur randständige Republikaner öffentlich gegen den mit harter Hand regierenden informellen Parteivorsitzenden zu agitieren, so bildet sich mittlerweile ein vielstimmiger Chor heraus, der die Emanzipierung von Trump fordert, der im Prinzip nur über seinen "Wahlbetrug" reden möchte und einer Erneuerung im Weg steht. Sie schauen dabei in den Südosten des Landes. Unter der Führung von Gouverneur Ron DeSantis, der mit seiner triumphalen Wiederwahl endgültig zu Trumps ernsthaftestem Konkurrenten um die Kandidatur 2024 aufgestiegen ist, hat sich der Sonnenschein-Bundesstaat politisch konsolidiert: weg von einem wankelmütigen Swing-State, in dem mal "Blau" (Demokraten) und mal "Rot" (Republikaner) gewann, hin zu einer stabil-konservativen Trutzburg. Das könnte landesweit Schule machen, wünschen sich die Republikaner. Trump hat den Rivalen, der ihm die erste Amtszeit als Gouverneur 2018 maßgeblich verdankt, bereits mit ersten Warn-Salven eingedeckt. Tenor: Ich weiß etwas sehr Unvorteilhaftes über DeSantis, das ich zu gegebener Zeit öffentlich machen könnte.

Einige Demokraten wollen einen Generationenwechsel 

Stimmen für einen Generationenwechsel gibt es auch bei den Demokraten, wo Präsident Biden, der in Kürze 80 Jahre alt wird, das Wahlergebnis wie eine Vitaminspritze aufgenommen hat. Er will sich nach Beratungen mit First Lady Jill Biden und seiner Familie Anfang 2023 verbindlich zu seinen Zukunftsplänen äußern. Aus der Überzeugung heraus, der einzige Demokrat zu sein, der über Wählerschichten hinweg so viel politisches Gewicht auf die Waage bringt, Trump ein zweites Mal schlagen zu können, wird - Gesundheit vorausgesetzt - mit einer weiteren Kandidatur Bidens gerechnet. Der seit einem halben Jahrhundert wirkende Spitzenpolitiker aus Pennsylvania will den Beweis antreten, dass seine umstrittene, von milliardenschweren Staats-Investitionen für Soziales, Infrastruktur-Ertüchtigung und Klimaschutz geprägte Politik, auf Sicht Früchte trägt und Amerika auf sozial ausgewogene Weise modernisieren kann.

Noch hat sich kein aussichtsreicher Demokrat für eine Nachfolge-Debatte instrumentalisieren lassen. Was sich ändern kann, falls der Kongress in den nächsten Wochen doch noch komplett in Republikaner-Hand fallen sollte. Programmierte Dauer-Obstruktion könnte Biden nachhaltig so mürbe machen, dass er freiwillig aufgibt, heißt es in demokratischen Kreisen.

Der Autor ist Korrespondent der Funke-Mediengruppe in Washington.