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Experten zur Kindergrundsicherung : Ein weiter Weg bis zum Ziel

In einer Anhörung des Familienausschusses äußern die Sachverständigen erhebliche Zweifel, ob der Regierungsentwurf das Ziel erreicht, Kinder aus der Armut zu holen.

16.11.2023
2024-03-15T09:02:59.3600Z
3 Min

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung für eine Kindergrundsicherung stößt bei Experten auf deutliche Kritik. In einer Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Montag begrüßten die Sachverständigen zwar einhellig die Grundidee, familienpolitische Leistungen zusammenzuführen und dadurch leichter zugänglich zu machen. An der Art und Weise, wie dies geschehen soll, gab es jedoch durchweg Zweifel. Insofern drehte sich ein erheblicher Teil der Diskussion um die Ausgestaltung des neuen "Familienservice", dessen Aufbau nach Ansicht der Experten die Verwaltungskosten in die Höhe treiben, das System unnötig verkomplizieren und Mehrfachzuständigkeiten auch nicht beenden würde.

Foto: picture alliance / Zoonar

Mehr Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, auch über Sport-, Spiel- und Bewegungsangebote, ist eines der Ziele der Kindergrundsicherung.

Kindergrundsicherung soll aus drei Teilen bestehen

Ziel der Kindergrundsicherung ist es, Millionen Kinder aus der Armut zu holen, indem die bisherigen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zusammengeführt werden. Organisiert werden soll die Grundsicherung im Wesentlichen von einem neu zu schaffenden "Familienservice" bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) - in Anlehnung an die bisherigen Familienkassen. Die Kindergrundsicherung soll aus drei Teilen bestehen: dem einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag für alle Kinder und Jugendlichen (entspricht dem bisherigen Kindergeld), dem einkommensabhängigen und altersgestaffelten Kinderzusatzbetrag sowie den Leistungen für Bildung und Teilhabe. Dadurch, dass Unterhaltsleistungen und Unterhaltsvorschuss bei der Bemessung des Kinderzusatzbetrages nur zu 45 Prozent berücksichtigt werden, soll sich die Situation von Alleinerziehenden, die Bürgergeld erhalten, und Alleinerziehenden mit noch nicht eingeschulten Kindern besonders verbessern.

Für die Bundesagentur für Arbeit (BA) betonte Vanessa Ahuja, dass die Agentur geübt darin sei, komplexe Gesetze umzusetzen. "Aber wir brauchen mehr Zeit". Es müsse die IT angepasst, Personal akquiriert und qualifiziert und ein Schnittstellenmanagement aufgebaut werden, um Familien unnötige Weg zu ersparen. "Das ist für die BA zum 1. Januar 2025 nicht realisierbar", sagte sie.

Strukturen in den rund 1.000 Jobcentern nicht zerstören

Andere Sachverständige mahnten, die vorhandenen Strukturen nicht zu zerschlagen, die sich in den rund 1.000 Jobcentern für Familien im Bürgergeld-Bezug etabliert haben. 100 Familienservice-Stellen könnten diese nicht ersetzen, sagte Diana Stolz, Vorsitzende der Betriebskommission des Kommunalen Jobcenters Neue Wege Kreis Bergstraße. "Kinderarmut ergibt sich aus Elternarmut, deshalb muss man die ganze Familie in den Blick nehmen" und könne nicht die Kinder vom Familienservice und die Eltern durch das Jobcenter betreuen. Marc Elxnat vom Deutschen Städte- und Gemeindebund stellte fest, der anfänglichen Euphorie über die Kindergrundsicherung sei nun Ernüchterung gewichen: "Es werden unnötige Parallelstrukturen geschaffen." Ähnlich äußerten sich die anderen Vertreter der kommunalen Spitzenverbände.


„Kinderarmut ergibt sich aus Elternarmut, deshalb muss man die ganze Familie in den Blick nehmen.“
Diana Stolz, Jobcenter Bergstraße

Kritik gab es mehrfach auch daran, dass der Gesetzentwurf bisher keine Anhebung des soziokulturellen Existenzminimums für Kinder vorsieht. Dies bezeichneten vor allem die Vertreter von Wohlfahrtsverbänden als enttäuschend. Andreas Aust vom Paritätischen Gesamtverband betonte, eine Kindergrundsicherung müsse deutlich mehr sein als eine Verwaltungsreform. "Um Armut zu bekämpfen, brauchen Familien schlicht und einfach mehr Geld." Für einen Großteil der armen Kinder würden sich die Leistungen aber nicht ändern, sagte er.

Sozialverband: Ungleichbehandlung von Familien abschaffen

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverband VdK Deutschland, bekräftigte, dass die Bündelung von Leistungen ein ganz wichtiges Ziel der Kindergrundsicherung sei, denn das jetzige System funktioniere nicht so, wie es nötig wäre. Sie appellierte an die Abgeordneten, die Ungleichbehandlung von Familien mit viel Geld und jenen mit wenig Geld abzuschaffen.

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Bernd Siggelkow, Vorstand der Kinderstiftung "Arche", verwies darauf, dass es armen Kindern nicht nur an Geld mangele, sondern auch an Ressourcen, unter anderem an einem ganz anders aufgestellten Bildungssystem. Auch müsse sichergestellt werden, dass die Leistungen bei den Kindern direkt ankommen, lautete sein Appell an die Abgeordneten.