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Debatte zur Gewalt gegen Frauen : Jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch Femizid

Die Koalition will Frauen zukünftig besser vor Gewalt schützen. Doch es fehlen Plätze in Frauenhäusern und Personal zum Schutz der Betroffenen.

17.11.2023
2024-03-15T10:20:10.3600Z
4 Min
Foto: picture-alliance/dpa-tmn/Bernd Diekjobst

Mit dem sogenannten Handzeichen häusliche Gewalt können Betroffene signalisieren, dass sie sich bedroht fühlen und Hilfe benötigen.

Die Zahlen sind erschütternd. Alle drei Tage stirbt in Deutschland eine Frau durch Femizid. Mehr als 170.000 Frauen wurden im letzten Jahr Opfer häuslicher Gewalt. 126.349 Frauen wurden laut aktuellem Lagebild "Häusliche Gewalt" des Bundeskriminalamtes (BKA) im Jahr 2022 Opfer von Partnerschaftsgewalt.

Partnerschaftsgewalt, so erläuterte Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne) am Donnerstag vor dem Bundestag, sei Nötigung, Stalking, Bedrohung, leichte und schwere Körperverletzung, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung, Femizide, Mord und Totschlag. "Vier von fünf Betroffenen sind Frauen. 80 Prozent der Täter sind Männer", sagte Paus während der Debatte zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, der am 25. November begangen wird.


„Ich will, dass Frauen frei von Gewalt leben können.“
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne)

Die von Paus genannten Zahlen betreffen jedoch nur die Fälle, die der Polizei auch bekannt geworden sind. Viele Frauen gingen gar nicht zur Polizei, sagte die Ministerin. Ermittler und Experten vermuteten daher, dass jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt erfährt. Gewalt gegen Frauen sei allgegenwärtig, sei alltäglich. "Ich will, dass Frauen frei von Gewalt leben können", machte Paus deutlich.

Ihre Kabinettskollegin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), wies darauf hin, dass die Gewalt meist zu Hause hinter verschlossenen Türen stattfinde. "Viele verharmlosen das immer noch als sogenannte Beziehungsprobleme und tun es damit als Privatsache ab", beklagte sie. "Dieses Thema gehöre aber in die Öffentlichkeit".

Frauen zukünftig noch besser schützen

Die beiden Ministerinnen gaben vor dem Plenum auch Auskunft darüber, was sie zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen tun - oder zumindest zu tun beabsichtigen. Paus will Lücken im Netz der Frauenhäuser und Beratungsstellen schließen und die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt aus dem Jahr 2011, "vorbehaltlos umsetzen". Außerdem werde gerade ein Gesetz erarbeitet, "das Frauen das Recht auf Schutz und Beratung gibt, kompetent und zuverlässig, egal ob in der Stadt oder auf dem Land". Gemeinsam mit BKA und BMI habe sie zudem eine Dunkelfeldstudie in Auftrag gegeben.

Innenministerin Faeser will die Polizeien sensibilisieren, damit sie Anzeichen und Warnsignale besser erkennen und auf die Frauen zugehen könnten. Nach dem Motto: Früh eingreifen und Schlimmeres verhindern.

Lob für die Dunkelfeldstudie und die geplante Umsetzung der Istanbul-Konvention gab es von Silvia Breher (CDU). "Ich frage mich aber, wieso Sie nach zwei Jahren in dieser Regierung jetzt erst mit der Strategie beginnen", sagte Breher. Die anzugehenden Themen lägen auf dem Tisch und seien auch im Koalitionsvertrag vereinbart. Es fehlten aber noch immer Frauenhausplätze. Den angekündigten bundesweiten Rechtsrahmen gebe es ebenfalls noch nicht, kritisierte sie.

Tausende Plätze in Frauenhäusern fehlen

Heidi Reichinnek (Die Linke) nannte es einen Skandal, "dass wir jedes Jahr wieder das Thema Gewalt gegen Frauen diskutieren". Noch immer fehlten mehr als 14.000 Frauenhausplätze. Die Beratungsstellen seien chronisch unterfinanziert und hätten viel zu wenig Personal, das wiederum viel zu viel leisten müsse. "Die Prävention bleibt dabei vollständig auf der Strecke", sagte Reichinnek.

Martin Sichert (AfD) thematisierte Gewalt gegen Frauen durch Migranten aus Kulturkreisen, "in denen es normal ist, dass Frauen öffentlich ausgepeitscht werden und in der Öffentlichkeit gesichtslos sind". Jeder Junge, der in einem solchen Umfeld aufwachse, werde Frauen als minderwertig betrachten, sagte Sichert. Komme er dann als junger Mann nach Deutschland, sei das Drama hierzulande vorprogrammiert. "Vor Gewalt von diesen Männern kann man Frauen in Deutschland nur schützen, wenn man jeden Einwanderer ab dem ersten Tag zur Integration zwingt", betonte Sichert.

Hilfe bei häuslicher Gewalt

Hilfetelefon rund um die Uhr: 116 016 ist die Telefonnummer für ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erleben oder erlebt haben.

Frauenhäuser für besonderen Schutz: Im Jahr 2022 gab es in Deutschland etwa 350 Frauenhäuser und rund 40 Frauenschutzwohnungen.

Internationales Abkommen: Am 1. Februar 2018 trat das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt für Deutschland in Kraft.



"Gewalt gegen Frauen ist nicht importiert", entgegnete ihm Ulle Schauws (Grüne). Es gebe sie seit Jahrhunderten, "und auch in der AfD sitzen deutsche Täter". Schauws machte deutlich, dass es Gewaltschutz nicht kostenlos gibt. Es brauche daher den politischen Willen bei Bund und Ländern, "diesen Kraftakt der Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen gemeinsam anzugehen".

Personalmangel auch beim Schutz von Frauen

Das Thema griff auch Nicole Bauer (FDP) auf. Wenn sie Frauenhäuser besuche, so die FDP-Abgeordnete, so werde ihr oft davon berichtet, dass die Prävention besonders wichtig sei. Den Frauenhäusern fehle es aber an Personal. "Bevor wir also über einen Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz diskutieren, müssen wir erst einmal dringend das Personalproblem lösen", forderte sie.

Ariane Fäscher (SPD) rief die Union dazu auf, die Gesetze der Koalition mitzutragen. "Sei hatten 16 Jahre Zeit, haben aber die Initiative nicht übernommen", sagte sie. Außerdem verlangte sie mehr Sensibilisierung. Die Einordnung als Eifersuchtsdrama sei eine Täter-Opfer-Umkehr, die die Frauen erneut demütige. "Das dürfen wir nicht länger zulassen", sagte Fäscher.