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Medikamentenmangel : Gegenseitige Schuldzuweisungen in der Arzneimittelkrise

Die Lieferengpässe bei wichtigen Medikamenten machen Gesundheitspolitikern Sorgen. Eine schnelle Lösung ist eher unwahrscheinlich.

19.06.2023
2024-01-10T11:19:32.3600Z
3 Min

Der Medikamentenmangel hat in der vergangenen Woche für heftigen Streit zwischen Regierung und Opposition geführt. In einer von der Unionsfraktion beantragten Aktuellen Stunde beschuldigten sich insbesondere Union und SPD gegenseitig, für die Arzneimittel-Lieferengpässe verantwortlich zu sein.

Redner von Union, Linke und AfD bezweifelten in der Aussprache am Donnerstag, dass der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf gegen Arzneimittel-Lieferengpässe nachhaltige Lösungen bringen werde. Abgeordnete der Ampel-Koalition verteidigten die Vorlage, räumten aber ein, dass die Problemlage komplex sei und Lösungen Zeit in Anspruch nähmen.

Vorwurf: Gesundheitsminister Lauterbach hat zu spät reagiert

Tino Sorge (CDU) sprach mit Blick auf den Medikamentenmangel von einem ernsten Problem. Er warf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor, die Herausforderungen kleinzureden und viel zu spät auf die Engpässe reagiert zu haben. Sorge kritisierte, in der Gesundheitspolitik werde immer deutlicher, dass sich Lauterbach nicht gegen Finanzminister Christian Lindner (FDP) durchsetzen könne.

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Rednerinnen von SPD, Linken, Grünen reagierten empört und erinnerten die Union daran, dass sie selbst als Regierungspartei über Jahre keine entscheidenden Regelungen zur Sicherung der Arzneimittelversorgung beschlossen habe. Heike Baehrens (SPD) räumte ein, die Medikamentenversorgung sei nicht so, wie sie sein sollte, allerdings sei nicht nur Deutschland von Lieferengpässen betroffen, sondern auch andere Länder. Die Probleme hätten sich über Jahre aufgebaut und vielschichtige Ursachen. Baehrens versprach: "Wir werden alles tun, damit die Menschen auch bei globalen Krisen auf eine hochwertige Arzneimittelversorgung setzen können."

Langer Vorlauf nötig

Paula Piechotta (Grüne) sprach von einem komplexen Sachverhalt. Sie erinnerte an den langen Vorlauf für bestimmte Regelungen gegen den Mangel an Medikamenten. Seit 2011 sei wenig oder gar nichts passiert, jedenfalls nicht genug. In der langen Zeit seien die Arzneimittelimporte aus China von einem eher "inexistenten" Niveau in den Milliardenbereich hochgeschnellt. Sie resümierte: "Wenn wir früher interveniert hätten, wäre das Problem nicht so groß geworden."

Kathrin Vogler (Linke) erinnerte an die verzweifelten Eltern während der Infektionswelle im vergangenen Herbst und Winter, als es keinen Fiebersaft für Kinder mehr gab und auch andere wichtige Medikamente fehlten. Hier müsse endlich gehandelt werden. In der Vergangenheit seien nur die Profite der Hersteller gesichert worden, nicht aber die Versorgung der Bevölkerung. Für neue Medikamente würden Phantasiepreise abgerechnet, während bei Rabattverträgen die Preise in eine "gnadenlose Abwärtsspirale" geschickt würden. Sie forderte die Bundesregierung auf, die Industrie in die Pflicht zu nehmen.

AfD sieht Deutschland als "Medikamenten-Mangelland"

Die AfD-Fraktion warf SPD und Union Versagen in der Arzneimittelpolitik vor. Martin Sichert (AfD) sprach von einem lange bekannten Problem, das die Regierungsparteien nicht angegangen seien. "Sie sind die Hauptverursacher des Medikamentenmangels und spielen jetzt die Empörten." SPD und Union hätten das Gesundheitswesen an die Wand gefahren, rügte Sichert und fügte hinzu: "Union, SPD, Grüne und FDP haben Deutschland von der Apotheke der Welt zum Medikamenten-Mangelland gemacht." Das Gesundheitswesen sei von einem sozialen Versorgungssystem zu einem Wirtschaftsbetrieb umfunktioniert worden. Im Jahr 2000 seien noch mehr als die Hälfte der Wirkstoffe in Europa hergestellt worden, heute kämen mehr als 80 Prozent der Wirkstoffe aus China und Indien. Deutschland sei völlig abhängig von Asien.

Lars Lindemann (FDP) machte deutlich, dass eine kurzfristige Abhilfe nicht zu erwarten sei. "Das Problem ist sehr langfristig entstanden, und wir werden es auch nur sehr langfristig wieder beseitigen können." Lindemann dankte Apothekern und pharmazeutischen Großhändlern, die in der Pandemie Großartiges geleistet hätten. Nun gehe es darum, Regelungen, die sich in der Pandemie bewährt hätten, zu verstetigen. Zugleich müssten die Bedingungen für die Pharmaindustrie stimmen, dann gebe es auch keine Engpässe mehr.